Geopolitik

Parlamentarismus: Die AfD zielt auf das Herz | ABC-Z

Der größte Verlierer der Wahlen
in Sachsen und Thüringen ist keine Partei, sondern eine Institution: das
Parlament. Jener Raum, in dem gewählte Vertreter der Bevölkerung einander
begegnen, miteinander streiten, an Kompromissen arbeiten und am Ende Gesetze
beschließen.

Die politische Arbeit in den Landtagen
genießt schon seit Längerem kein besonders hohes Ansehen – auch das zeigen die
über 30 Prozent für die AfD in Sachsen und Thüringen. Wählerinnen und Wähler
wenden sich von etablierten Parteien ab und einer Partei zu, die ihnen
verspricht, näher dran zu sein. Weniger Distanz, weniger Verdruss und vor allem: mehr Volkswille. Doch mit parlamentarischer Demokratie hat dieses Versprechen
wenig zu tun.

Die AfD will die Parlamente schwächen

Die AfD verachtet den
Parlamentarismus – und aus ihrer Weltsicht heraus ist das durchaus schlüssig.
Eine Partei, die für sich in Anspruch nimmt, als Einzige den sogenannten
Volkswillen zu kennen und zu repräsentieren, kann am öffentlichen Ringen um das
stärkere Argument – also dem Wesen des Parlamentarismus – schon grundsätzlich
kein Interesse haben. Schließlich gibt sie vor, das Wahre, wirklich Gewollte
bereits zu kennen.

Die AfD verspricht mehr direkte
Demokratie, doch was sich in ihren Wahlprogrammen widerspiegelt, zeugt vor
allem von Misstrauen gegenüber den Parlamenten. So schlägt sie etwa vor, dem
Volk das “letzte
Wort
” über schon beschlossene Gesetze der Landtage zu geben. In Thüringen
ist sie sogar für die Möglichkeit einer Abberufung des Landtags per
Volksentscheid. Mit dieser Strategie zielt sie nicht nur auf die Zerstörung von
Parteien wie der CDU oder den Grünen, die sie verächtlich “Altparteien” nennt.
Sie will die Parlamente strukturell schwächen.

Doch die AfD belässt es insoweit nicht
bei Programmen. Seit sie im Bundestag und in fast allen Landtagen vertreten ist,
nutzt sie die Parlamente, um deren Prozesse zu stören, zu verlangsamen,
vorzuführen. Ihr Ziel: den parlamentarischen Prozess lächerlich zu machen. Sie
ist die Partei, die – im Bundestag und in den Landtagen – die meisten
Ordnungsrufe kassiert. Die Parlamente dienen ihr als Bühne, auf der sie für
ihre Follower auf TikTok und YouTube politische Statements abfilmt. Interesse
an der echten politischen Auseinandersetzung und Entscheidungsfindung dort hat
sie dabei kaum.

Je stärker aber die AfD in den
Parlamenten vertreten ist, desto schlechter funktionieren sie – und umso
leichter ist es für die AfD, sie als entscheidungsschwach und sklerotisch zu
verhöhnen. Die Zerstörung der parlamentarischen Demokratie bekommt so die
Dynamik einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Sie ist bereits im Gange, ganz
ohne, dass die AfD in Regierungsämtern sitzt.

Das gilt besonders für den Osten
Deutschlands. Die demokratischen Parteien haben dort von jeher viel weniger
Mitglieder – und sie verlieren laufend weiter an gesellschaftlicher Bindekraft.
Das verdeutlichen neben den starken Zugewinnen der AfD auch die zweistelligen
Ergebnisse für das BSW. Denn das haben die Wähler dieser beiden populistischen
Parteien gemeinsam: Für die Botschaften von SPD, CDU oder Grünen sind sie kaum
noch empfänglich. Jenseits des Wahlakts verstehen sich diese Wähler zunehmend
als “unpolitisch”. “Entparteipolitisierung
nennt das der Soziologe Steffen Mau.

Dem liegt auch ein grundsätzlich eher
parteifernes Politikverständnis zugrunde. Parteien werden besonders im Osten als
weit weg, bürokratisch und ineffizient empfunden. Vertrauen bringt man vor
allem jenen entgegen, die man persönlich kennt – zu kennen glaubt. Es soll, so
stellen sich das viele besonders im Osten vor, in den Parlamenten nicht um
Parteipolitik gehen, sondern um unideologische Sacharbeit. Die wahre Volkspartei
in den ostdeutschen Kommunen sind nicht ohne Grund die Parteilosen.

Schon eine Ebene weiter oben, bei
Landtagswahlen, wählen allerdings dieselben Leute oft die AfD. Für Sachsen etwa
haben Untersuchungen gezeigt, dass die AfD bei der Landtagswahl 2019 dort
stärker abgeschnitten hat, wo auf kommunaler Ebene parteiunabhängige
Wählerbündnisse besonders stark sind. Unpolitisch ist hier also gar nichts.

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