Wirtschaft

13 Milliarden Euro Nachzahlung: Das Apple-Urteil ist nur ein kleiner Sieg gegen riesige Steuerflucht | ABC-Z

Der längste Kartellstreit aller Zeiten endet mit einer krachenden Niederlage für Apple. Doch wichtiger als die Buße ist die Botschaft: Brüssel kann die Steuerflucht von Großkonzernen bekämpfen – wenn der politische Wille da ist. Sie nutzen längst die nächsten Schlupflöcher.

Wenn sich EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager Ende November endgültig aus der Politik zurückzieht, kann sie sich entspannt zurücklehnen. Die heutigen Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EUGH) in Sachen Google und Apple bestätigen Vestagers jahrelangen Kampf gegen die Marktmacht und die Steuerflucht von Tech-Giganten und anderen internationalen Großkonzernen. Besonders die Apple-Entscheidung ist für Vestager ein Ritterschlag vor der Rente.

Sie bedeutet das Ende eines fast zehnjährigen Feldzugs gegen die größte und reichste Firma der Welt: (2016 hatte Vestager Irlands geheime Steuerdeals mit Apple als illegale Staatshilfen gebrandmarkt und den iPhone-Hersteller zur Nachzahlung von 13 Milliarden Euro verdonnert. Der EUGH hat nun Apples erfolgreichen Widerspruch gegen den Bescheid vor einem niedrigeren Gericht gekippt und Vestager in letzter Instanz Recht gegeben: Die grotesken Steuervergünstigungen der irischen Regierung – Apple zahlte zwischen 2003 und 2014 weniger als ein Prozent auf seine Gewinne – waren rechtswidrige Wettbewerbsverzerrung.

Damit endet das längste Kartellverfahren aller Zeiten. Das Urteil sei “ein großer Sieg für Europas Bürger und die Steuergerechtigkeit”, freut sich Vestager auf X. Juristisch ist es endgültig. Für Vestager bedeutet es den Traumstart in den Ruhestand. Doch für die EU kann es nur der Anfang sein. Denn die Saga um Apples Steuertricks zeigt wie keine andere Geschichte, dass nur politisches Handeln gegen die Selbstbereicherung globaler Internetriesen hilft. Und den Regierungen weiterhin allzu oft der Biss fehlt. Die Tech-Giganten sind deshalb längst in die nächste Steueroase weitergezogen.

Apple ist einer der größten Steuerzahler – nur nicht in Europa

Kein Wunder, dass Apple “enttäuscht” von der Entscheidung ist. “Wir zahlen immer alle Steuern, die wir schulden, wo auch immer wir tätig sind, und es hat nie eine Sonderabmachung gegeben”, teilte der Konzern mit. “In diesem Fall ging es nie darum, wie viele Steuern wir zahlen, sondern an welche Regierung wir sie zahlen müssen.”

Das ist richtig. Und zugleich genau das Problem: Während Apple in den USA einer der größten Steuerzahler ist, hat der Konzern mit seinen iTricks in Irland über Jahrzehnte das Wunder vollbracht, auf seine Gewinne in der EU faktisch keine Steuern zu zahlen. Schon 2013 lenkte ein Bericht des US-Senats den Blick der Öffentlichkeit auf die obszöne Bereicherung der größten Firma der Welt an der Allgemeinheit außerhalb der USA. Denn obwohl der Tech-Konzern Jahr für Jahr Millionen iphones und Apps an seine Kunden von Stockholm bis Barcelona verkauft, schleuste er die Gewinne daraus mit legalen Luftbuchungen für Patente an zwei Briefkastenfirmen in Cork. Und von dort weiter in karibische Steueroasen – faktisch steuerfrei.

Da die Firmen auf dem Papier in Irland saßen, waren sie in den USA nicht steuerpflichtig. Und da die virtuelle irische “Hauptzentrale” für Apples Tech-Patente aber angeblich aus den USA geführt wurde, musste sie auch in Irland fast nichts zahlen. Denn dort galt bis 2015 eine weltweit einmalige Ausnahme: Firmen konnten legal in Irland registriert sein, ohne Steuern zu zahlen, wenn sie von woanders gemanagt und kontrolliert wurden.

Apples Profitjagd wurde also durch die abstruse Gesetzeslücke der Dubliner Regierung erst möglich, die damit im globalen Unterbietungswettlauf der Regierungen wenigstens ein paar Krümel des internationalen Steueraufkommens der Tech-Riesen zu erhaschen versuchte. Nicht nur der iphone-Hersteller, sondern faktisch alle internationalen Großkonzerne bunkerten mit dem Trick Billionen in der Karibik. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzte vor einigen Jahren, dass rund 40 Prozent aller Investitionen weltweit nur der Steuerflucht dienen, und keinem wirklichen, produktiven Zweck.

Die Multis sind längst weitergezogen

Doch paradoxerweise wehrte sich nicht nur Apple, sondern auch Irland selbst jahrelang dagegen, das verlorene Steuergeld zu kassieren, das Brüssel einforderte. Das zeigt, dass es bei der Angelegenheit weniger um Recht als um Politik ging. Vestagers Nachzahlungsbescheid erscheint im Nachhinein wie eine Art juristische Notwehr gegen die jahrelange politische Untätigkeit der EU-Staaten bei der grotesken Steuerflucht. Die EU-Kommissarin versuchte, mithilfe der Wettbewerbspolitik zu heilen, wo Regierungen versagt hatten.

Am Ende führten auch nicht Gerichtsurteile zu Veränderung: den “Double Irish” schaffte Dublin 2015 erst unter internationalem Druck ab, eben weil Vestager aus Brüssel gegen Apple zu Felde zog. Viel zu lange blockierten nicht nur Steueroasen wie Irland, sondern auch Malta, Zypern, die Niederlande oder Luxemburg strengere und einheitliche Regeln.

2021 haben sich nun zwar rund 140 Länder auf eine weltweite Mindeststeuer von 15 Prozent für multinationale Konzerne geeinigt, darunter auch steuerfluchtfreundliche EU-Staaten wie Irland, Ungarn und Estland. Doch schon Ende vergangenen Jahres warnte Nobelpreisträger Joseph Stiglitz in einem Bericht, die bahnbrechende Einigung sei “durch eine Reihe von Schlupflöchern und Sonderregeln weitgehend zahnlos gemacht” worden. Die zu erwartenden Einnahmen aus der globalen Mindeststeuer lägen bei weniger als 5 Prozent des weltweiten Steueraufkommens der multinationalen Konzerne: “Wir müssen sicherstellen, dass diejenigen auf der höchsten Sprosse der Einkommensleiter, die zweifellos die finanziellen Mittel haben, sich nicht aus ihrer Verantwortung winden.”

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