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Das Ulmer Münster hat nicht mehr den höchsten Kirchturm der Welt. Und jetzt? – Panorama | ABC-Z

Nach 135 Jahren muss das Ulmer Münster den Titel „Höchster Kirchturm der Welt“ an die Sagrada Família abgeben. Durch das Aufsetzen eines Kreuzsegments wuchs der Bau in Barcelona um mehr als einen Meter und überragt jetzt mit einer Höhe von 162,91 Metern das Ulmer Münster (161,5 Meter). Dazu ein Gespräch mit der Ulmer Prälatin Gabriele Wulz, 66, Stellvertreterin des Landesbischofs und seit 24 Jahren Predigerin im Ulmer Münster.

Frau Wulz, die Nachricht kam kurz vor dem Reformationstag: Die Türme der Sagrada Família überragen das Ulmer Münster. Wie geht es Ihnen damit?

Gabriele Wulz: Na ja, wir haben schon lange damit gerechnet, dass das mal so kommt. Und jetzt ist es halt so weit.

Prälatin Gabriele Wulz. (Foto: privat)

Ihr Landesbischof sagte, man müsse das „sportlich nehmen“. Erklären Sie uns doch mal, wie er das gemeint hat.

So ist er halt, unser Landesbischof. Ein sportlicher Mensch. Aber ich muss Ihnen jetzt mal ehrlich sagen: Dieser Wettkampf um den höchsten Turm oder die größte Kirche oder sonstige Superlative – darauf kommt es im Leben doch gar nicht an.

Nicht?

Letztlich geht es hier um Herrschaftssymbole. In vom Islam geprägten Ländern darf ein Kirchturm nicht höher sein als ein Minarett, hier ein Minarett nicht höher als ein Kirchturm. In Österreich durften evangelische Kirchen einst keinen höheren Turm haben als katholische. Da ging es immer um Macht, Behauptung, Dominanz. Aber heute noch dieses Spiel mitzuspielen, es mag ja weitverbreitet und vielleicht auch nachvollziehbar sein, das ist nichts für mich. Es gibt Wichtigeres.

Blick auf die Basilika Sagrada Familia, die am Donnerstag nach der Anbringung des ersten Kreuzsegments auf dem Turm Jesu Christi den höchsten Kirchturm der Welt hat.
Blick auf die Basilika Sagrada Familia, die am Donnerstag nach der Anbringung des ersten Kreuzsegments auf dem Turm Jesu Christi den höchsten Kirchturm der Welt hat. (Foto: Emilio Morenatti/Emilio Morenatti/AP/dpa)

Frau Wulz, machen Sie es sich hier nicht zu leicht?

Na ja, dieses „Schneller, Höher, Weiter“ – das sind halt so Urbedürfnisse. Aber das Ulmer Münster bleibt ja auch so einzigartig für die Stadt, für die Bürger, die Kirche, die Touristen. Vor fast 650 Jahren wurde hier der Grundstein gelegt. Das Gotteshaus hat den Krieg quasi unbeschadet überstanden und so vielen Menschen Hoffnung gemacht. Und es muss auch heute noch ständig gepflegt werden, damit es auch für künftige Generationen erhalten bleibt. Das finde ich tatsächlich interessant und auch sehr berührend.

Waren Sie eigentlich schon mal in Barcelona?

Nein. Aber in einem Monat gehe ich in den Ruhestand. Danach vielleicht.

Da gibt’s sogar einen Aufzug in der Kirche.

Na, sehen Sie mal! Den haben wir in Ulm nicht. Weil es sich eben um ein historisches Gebäude handelt. Ein Alleinstellungsmerkmal!

Haben international nicht längst Großkonzerne den Kampf um das – ein heikles Wort gerade – „Stadtbild“ längst gewonnen? Also das Stadtbild des Kapitalismus?

Sicher. Aber wir sehen es ja: Glücklich macht der ständige Tanz ums Goldene Kalb den Menschen nicht. Wissen Sie, eine meiner Lieblingsgeschichten in der Bibel, das ist der „Turmbau zu Babel“. Den habe ich auch immer in meinen Predigten in Ulm thematisiert. Da wollen Menschen ein Gebäude errichten, das bis in den Himmel reicht. Es wird dieses menschliche Gefühl thematisiert: Wir müssen etwas schaffen, was uns groß macht und was bleibt. Doch der Bau des Turms wird dann gar nicht vollendet. Zurück bleibt jedoch, wie schön kulturelle und sprachliche Vielfalt ist und was man gemeinsam alles erreichen kann. Am Ende zeigt diese uralte Geschichte also, dass die großen menschlichen Identitätssymbole, zum Beispiel Gebäude, nie das halten, was sie versprechen. Und sie zeigt, wie wichtig es ist, dass man als Menschen zusammenhält. Wenn schon, dann sind hohe Türme für mich nichts anderes als ein Fingerzeig nach oben. Eine Mahnung.

Wenn mehr Frauen wie Sie in kirchlichen und politischen Ämtern in den vergangenen 2000 Jahren das Sagen gehabt hätten: Wären heutige Kirchtürme vielleicht kleiner?

Ich bitte Sie! Das ist jetzt hochspekulativ. Ob Frauen wirklich widerstandsfähiger gegenüber Irrtümern, Konkurrenz oder Angeberei sind? Das wage ich zu bezweifeln.

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