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Fußball: Felix Brych im Interview über Matchplan eines Schiedsrichters | ABC-Z

Herr Brych, nach dem 2:1-Sieg des FC Bayern München im Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund wurde Schiedsrichter Bastian Dankert von Dortmunder Seite vorgeworfen, er habe keine klare Linie bei der Spielleitung gehabt. Sehen Sie das auch so?

Nein, weil ich gar nicht verstehe, was damit gemeint sein soll. Es wird gerne nach einem Spiel gesagt, dass der Schiedsrichter keine klare Linie hatte. Ich finde, da muss man schon genauer kritisieren.

Dortmunds Sportdirektor Sebastian Kehl sagte, es habe die „Balance in der Spielleitung“ gefehlt.

Ja, damit kann ich mehr anfangen. Balance ist ein wichtiges Wort für uns Schiedsrichter. Ich würde sagen, die Linie an sich ist nicht so entscheidend. Worum es geht, ist die Balance. Also darum, ob im Verlauf eines Spiels ähnliche Vergehen gleich bewertet werden.

Was ist Ihre Definition für das, was man allgemein „die Linie“ nennt?

Die Linie ist der Matchplan des Schiedsrichters. Den überlegt man sich vor dem Spiel, genauso wie das Trainer für ihre Mannschaften machen. Und dieser Matchplan fällt eher kleinlich oder großzügig aus, je nachdem, ob man ein eher ruppiges Spiel erwartet oder eines, in dem die Mannschaften spielerische Lösungen bevorzugen.

Wann entscheidet sich, ob der Matchplan, den man im Kopf hat, auch umgesetzt werden kann?

Mit den ersten Entscheidungen des Spiels. Damit setzt man den Ton, den Maßstab, nach dem man als Schiedsrichter dann beurteilt werden kann. Gebe ich in der dritten Minute eine Gelbe Karte oder nicht? Wenn ich sie gebe, muss ich sie auch in der 87. Minute für ein ähnliches Vergehen geben. Das ist die Berechenbarkeit, die Balance, von der Sebastian Kehl gesprochen hat.

Haben denn alle Schiedsrichter eine persönliche Linie, so wie Trainer eine eigene Handschrift haben?

Ich glaube schon, das ist ein guter Vergleich. Teilweise wird das auch bei der Einteilung berücksichtigt, also welcher Typ Schiedsrichter für welches Typ Spiel angesetzt wird.

Drückt ein guter Schiedsrichter seine­ ­Linie dem Spiel auf, oder passt er sich ans Spielgeschehen an?

In keinem Fall drückt man als Schiedsrichter seine Linie durch. Man wartet erst mal ab, was passiert. Die Spieler agieren, wir Schiedsrichter reagieren. Der Charakter eines Spiels kann sich immer verändern, zum Beispiel durch Tore oder Feldverweise, aber auch durch äußere Umstände wie das Abbrennen von Pyrotechnik. Als Schiedsrichter muss man immer flexibel sein und, wenn erforderlich, den Matchplan anpassen.

Felix Brych ist seit Oktober im DFB für Talententwicklung und Spitzencoaching zuständig.
Felix Brych ist seit Oktober im DFB für Talententwicklung und Spitzencoaching zuständig.dpa

Akzeptieren die Spieler und Trainer das auch?

Ja, die merken ja, wenn sich ein Spiel verändert. Allerdings merken sie auch, wenn so eine Veränderung der Linie aus dem Nichts kommt. Da sind die Spieler sehr feinfühlig geworden, die wollen ganz genau wissen, warum es zum Beispiel vorher eine Gelbe Karte gab und jetzt nicht. Die achten sehr auf Gleichbehandlung und fordern auch fundiertere Antworten als früher. Man kann als Schiedsrichter nicht mehr auf Durchzug schalten.

Angenommen, man verliert als Schiedsrichter im Spiel seine Balance bei der Entscheidungsfindung: Wie gewinnt man sie wieder?

Das ist nicht so einfach und kostet viel verbale Arbeit. Diese eine Gelbe Karte in der 72. Minute, die eben nicht in die Linie passt, die hört man sich im weiteren Verlauf des Spiels noch fünfmal von jedem Spieler an. Am besten gibt man beim nächsten Foul dem anderen auch eine Gelbe Karte, die entsprechend hart ist. Dann ist man wieder dabei.

Sie haben davon gesprochen, dass die Spieler Gleichbehandlung fordern. Es gibt auch Spieler, die wesentlich ruppiger spielen als andere, in der Bundesliga ist das zum Beispiel Dominik Kohr vom 1. FSV Mainz 05, der schon 100 Gelbe Karten sah. Muss man für die nicht eine andere Linie finden?

Als Schiedsrichter weiß man um Kohrs auffällige Spielweise, die ist ja auch seine Stärke, das bietet er der Mannschaft an. Wenn ich Dominik Kohr nach 25 Minuten mit Gelb-Rot vom Platz stelle, habe ich als Schiedsrichter nichts gewonnen, ich komme höchstens danach ins Gerede. Viel interessanter ist es doch, diesen Spieler für mich zu gewinnen, damit er sich an diesem Tag an die Regeln hält.

Im Gespräch. Aber das sind Erfahrungswerte, die ich mir über fünfzehn Jahre erarbeitet habe, und die ich jetzt nicht in einem Satz zusammenfassen kann. Aber ich kann Ihnen ein Beispiel geben.

In einem wichtigen Champions-League-Spiel hat mir Sergio Ramos mal nach zwei Minuten gesagt, dass er zwei Gelbe Karten hat, aber ganz gerne im Rückspiel spielen würde. Da kann man jetzt als Schiedsrichter so und so reagieren. Ich habe ihm gesagt: ,Okay, ich habe das im Blick, aber dafür machst du heute kein einziges Foul. Und den Varane und den Pepe, da sorgst du auch für Ruhe.‘ Und dann hat Ramos das ganze Spiel über aufgepasst, dass sich niemand bei mir beschwert.

Seit dem 1. Oktober sind Sie bei der „Schiri GmbH“ des DFB für Talententwicklung und Spitzencoaching verantwortlich. Was raten Sie jungen Schiedsrichtern, die ihre Linie noch entwickeln müssen?

Ich würde raten, gar keine eigene Linie zu entwickeln. Jedes Spiel erfordert eine andere Linie, einen anderen Matchplan. Als Ausbilder werde ich darauf hinarbeiten, dass sich die jungen Schiris möglichst viel mit Fußball beschäftigen, dass sie immer wissen, was sie an dem Tag erwartet, an dem sie pfeifen. Diese Erwartungshaltung hat mir sehr geholfen. Am Ende meiner Karriere habe ich vor jedem Spiel versucht, die Spielsysteme der Mannschaften zu visualisieren, den Spielverlauf oder sogar das Ergebnis vorauszuahnen. Das hat mich immer unglaublich beruhigt.

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