Botschaft an Putin? Das ist der Verfassungsschutz-Chef | ABC-Z

- Der Verfassungsschutz ist der Inlands-Nachrichtendienst Deutschlands
- Geleitet wird er aktuell von Sinan Selen
- Was ist über den obersten Verfassungsschützer bekannt?
Es ist eine Premiere für den deutschen Verfassungsschutz: Erstmals wird der deutsche Inlands-Nachrichtendienst von einer Führungskraft mit türkischen Wurzeln geleitet: Seit dem 8. Oktober 2025 ist der bisherige Vizepräsidenten Sinan Selen (53) Präsidenten des Kölner Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Sinan wurde 1972 in Istanbul geboren, kam mit vier Jahren als Sohn türkischer Einwanderer nach Deutschland. Er wuchs in Köln auf und studierte dort später Rechtswissenschaften. Seine türkische Staatsbürgerschaft hat Selen vor einigen Jahren abgegeben, Anfeindungen wegen angeblicher Verbindungen zur Türkei soll er gelegentlich dennoch ausgesetzt sein.
Selens Karriere ist sicher ein Musterbeispiel für eine erfolgreiche Einwandererkarriere. Gleichzeitig ist es vor allem auch ein klares politisches Signal, dass ausgerechnet er den Verfassungsschutz leitet – ein Signal an Russland und seinen Präsidenten Wladimir Putin.
Denn Selen, der zuvor Vizechef des Verfassungsschutzes war, steht für eine verstärkte Konzentration der Behörde auf die Bedrohung durch Russland – vor anderen Aufgaben wie Terrorabwehr oder dem Kampf gegen gewaltbereiten Extremismus. So wie die Bundeswehr sich wieder auf die Landesverteidigung konzentriere, gewinne auch die Aufgabe des Verfassungsschutzes als Abwehrdienst zunehmend an Bedeutung, glaubt Selen. Putin sehe Deutschland als „zentrale Zielfläche in Europa“. Der Präsident warnt: „Unsere Gegner gehen immer aggressiver und komplexer vor.“
Verfassungsschutz-Chef: Besorgt über russische Angriffe
Im August 2025 sagte Selen der „Welt am Sonntag“: „Auf unser Land richtet sich ein breites Spektrum russischer Aktionen: Neben Low-Level-Agenten sind das vermehrt Cyberangriffe, Desinformation und handfeste Sabotage“. Besorgt beobachten Selen und die 4500 Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, wie breit die russischen Aktivitäten sind. Da geht es nicht nur um Angriffe auf die kritische Infrastruktur, sondern auch um Attacken auf zivile Behörden wie etwa Bürgerämter oder auf private Unternehmen.
Als Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz stellte Sinan Selen (links) im Juni an der Seite von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) den Jahresbericht des Bundesamtes vor.
© picture alliance / SZ Photo | Jürgen Heinrich
Weil Putins Geheimdienste zunehmend sogenannte „Wegwerf-Agenten“ in Deutschland und anderen europäischen Staaten einsetzen, die ohne große Erfahrung für einzelne Einsätze angeheuert werden, ist nach Einschätzung Selens die Gefahr gestiegen, dass die Aktionen aus dem Ruder laufen und womöglich blutig enden.
Neben Russland macht der Verfassungsschutz aber auch China und den Iran als Hauptakteure von Spionage, Sabotage, Einflussnahme, Desinformationskampagnen und Cyberangriffen aus. Propaganda und Desinformation haben vor allem im Zeitraum der Bundestagswahl 2025 zugenommen. Selen setzt auch darauf, dass der Verfassungsschutz sich unabhängiger von den US-Sicherheitsbehörden macht. Vor allem bei der Abwehr von akuten Terrorgefahren sind die deutschen Behörden immer wieder auf US-Informationen angewiesen. Der Austausch mit den US-Diensten sei zwar „vorzüglich“, lobt der Verfassungsschutz-Chef, aber man dürfe sich nicht ausschließlich auf einen Partner verlassen.
Selens Vorgänger scheiterte mit Bundestags-Kandidatur
Für seine Aufgabe gilt Selen als hervorragend geeignet: Fachlich exzellent, dabei in der Öffentlichkeit zurückhaltend genug, um Innenminister Dobrindt nicht in die Quere zu kommen. Nach seinem Studium der Rechtswissenschaften hatte er im Bundeskriminalamt verschiedene Aufgaben des Staats- und Personenschutzes übernommen, war auch für die Sicherheit der Bundesregierung von Gerhard Schröder (SPD) verantwortlich. Anschließend wechselte er ins Bundesinnenministerium als Leiter des Referats „Ausländerterrorismus und Ausländerextremismus.“
Russlands Präsident Wladimir Putin sieht Deutschland als zentrale Zielfläche in Europa, warnt der designierte Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Sinan Selen.
© Maxim Shemetov/Pool Reuters/AP/dpa
Es folgte eine Station als Vize-Abteilungsleiter im Präsidium der Bundespolizei, danach war Selen 2012 zurück im Innenministerium mit operativen Fragen der Terrorismusbekämpfung betraut. Nach einem Zwischenspiel beim Tui-Konzern, wo er eine konzernweite Sicherheitsstruktur aufbaute, kam der Jurist schließlich zum Verfassungsschutz.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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Selens Vorgänger Thomas Haldenwang hatte seinen Posten im November 2024 überraschend verlassen, weil er mit einer CDU-Nominierung in Wuppertal für den Bundestag kandidieren wollte. Das sorgte seinerzeit für einige Irritationen, am Ende verfehlte Haldenwang den Einzug ins Parlament. Selen galt in dieser Zeit schon als Favorit für die Nachfolge, die Berufung verzögerte sich durch den Regierungswechsel und den Abstimmungsbedarf in der Koalition jedoch.
Im Amt angekommen, warteten und warten auf Selen dann große Aufgaben: Tatsächlich muss der Präsident, dessen Posten mit etwa 13.300 Euro Monatsgehalt dotiert ist, nicht nur die Abwehr hybrider Angriffe aus Russland im Blick behalten. Er will den Verfassungsschutz auch moderner aufstellen. Politisch brisant ist zudem der Umgang mit der AfD. Es ist also viel zu tun.















