Plastikmüll an Stränden: In Dänemark wird gesammelt | ABC-Z

Unvorstellbar! Am Strand in Hvide Sande Plastik zu finden, scheint ein reichlich aussichtsloses Unterfangen. Blitzsauber sieht es hier an der dänischen Westküste schließlich aus. Der Sand ist weiß und fein. Das Gras in den aufgetürmten Dünen wiegt sich in der feinen Brise. Die Wellen schwappen an diesem sonnigen Urlaubstag ans Ufer. „Und doch, glaubt mir“, sagt Daniel Sano Mirecki, als sich nach einem kurzen Spazierweg durch die kleine Hafenstadt die Schuhe mit jedem Schritt im Sand eingraben. „Es wird nicht lange dauern!“
Mit einem Spiel will der Deutsch-Däne auf ein Umweltproblem aufmerksam machen, das längst nicht nur Dänemark, sondern die ganze Welt betrifft: angespülter Plastikmüll an den Stränden. Dafür breitet er die Plane aus, die er unter dem Arm mit hergetragen hat. Sechs Felder sind darauf zu sehen – eines für jede Art von Plastik, das am Strand keine Seltenheit ist: vom Haushaltsmüll bis zu Fischernetzen, von winzigen Industrie-Pellets bis zu luftleeren Ballons. Wer alles einmal gefunden hat, hat Strand-Bingo. Das Spiel beginnt jetzt!
Zwar scannt man dabei erst einmal den Boden in der direkten Umgebung. Doch es lohnt sich auch, zwischendurch den Kopf zu heben und in die Ferne zu schauen. Schließlich bekommt man einen Eindruck, warum viele so gern hierher kommen, um Ferien zu machen. Die Nordseeküste Jütlands ist äußerst verwöhnt mit schier endlosen Paradiesstränden, die von wilden, weißen und mit Graspuscheln bewachsenen Sanddünen flankiert werden. Hier kann man baden, entspannen oder sich für unterschiedlichste Wassersportarten in die Fluten stürzen. Oder Ausflüge in die Umgebung unternehmen: durch Heide- und Naturschutzgebiete radeln, im Bunkermuseum in Tirpitz mehr über die Geschichte lernen oder Whiskys beim Tasting in der „Stauning Distillery“ probieren. Für einen spannenden Kontrast an den Stränden sorgen dabei die alten Bunkeranlagen, die hier und da zu finden sind. Sie sind Relikte des Atlantikwalls aus dem Zweiten Weltkrieg, als Dänemark von Nazi-Deutschland besetzt war. Am Strand von Blåvand, weiter südlich, wurden sogar einige umfunktioniert: Mit Maultierköpfen und -schweifen versehen, wurden sie zu Kunstprojekten – und überaus beliebten Fotomotiven.
Auch Daniel zog 2019 ohne berufliche Pläne mit der Familie hierher, weil er so immer seiner Surf-Leidenschaft nachgehen kann. Dafür verließ der 49-Jährige Kopenhagen, hing seinen Schiffsmaklerjob an den Nagel und fand zusammen mit der Co-Inhaberin Katrine Kock Frandsen seine neue Bestimmung mit „omhu:“, dessen Shop mit kleinem Café sich mitten im lebendigen Zentrum von Hvide Sande befindet. Der Ort mit seinem Fischerei-Museum, der Schleuse und dem Fischereihafen, wo täglich eine Fischauktion stattfindet, liegt mitten auf der Nehrung Holmlands Klit. Steigt man auf Dänemarks höchstem Leuchtturm Lyngvig Fyr die 280 Stufen und 38 Meter in die Höhe, hat man einen weiten Blick über diesen schmalen Landstreifen, die weiten Gewässer, über Campingplätze und Ferienhäuser, bis zu den Ortschaften mit maritimem Flair, in denen sich viel um Fischerei, Schiffsbau und natürlich Tourismus dreht – auch weit in Richtung Süden genauso wie nach Norden. Zwischen Søndervig und Nymindegab trennt die Nehrung die Nordsee und den großen Ringköbing-Fjord voneinander, auf dem sich die Surfer gern vom Wind herumpusten lassen. Mehr als 40 Kilometer ist sie lang, aber nur ein bis zwei Kilometer breit. Egal, wo man also ist, man ist immer nah am Strand und am Wasser. Dort, am 52 Kilometer langen Strand der Kommune, landen laut Daniel etwa 100 Tonnen Müll pro Jahr. Zwischen 2020 und 2024 wurden durch das Projekt in der Gegend immerhin mehr als 28.000 Kilo Müll entfernt.
„An unserer Küste werden Netze und Schnüre der Fischerei-Industrie angespült, aber auch jede Menge Haushaltsmüll aus Deutschland – der kommt über die Elbe hierher“, sagt Daniel. Luftballons kämen hingegen häufig aus Großbritannien rübergeweht.
Was das bedeutet, sieht man sofort, während man den eigentlich sehr sauberen Strand etwas genauer unter die Lupe nimmt. Hier liegen zwei Wattestäbchen, dort verblichene Verpackungen und die Reste eines Luftballons. Bei noch genauerem Hinsehen findet man viele der winzigen, runden Plastikpellets, die in der Industrie verwendet werden. Wie kommen die aber an die Strände? Auf unterschiedlichsten (Um-)Wegen: „Die gehen zum Beispiel containerweise beim Transport über Bord oder werden bei der Produktion in den Fabriken in die Gullis gefegt.“
Währenddessen erzählt Daniel, dass er die umweltbewusste Unternehmung 2020 mit Katrine Kock Frandsen gegründet hat. Die beiden hatten sich davor bei einer Müllsammel-Aktion am Strand kennengelernt, die sie organisiert hatte. „Was Gutes machen und am Strand sein – ich fand das eine geile Idee“, erinnert sich der in Hamburg geborene Deutschdäne, der im nahegelegenen Ringköbing aufgewachsen ist, an die Anfänge von „omhu:“. „Der Name ist ein dänisches Wort, das so viel bedeutet wie ordentlich oder fürsorglich.“ Genau darum geht es bei dieser Aktion schließlich im Hinblick auf die Natur: sie pfleglich zu behandeln, Ordnung zu schaffen.
Im Winter organisiert Daniel Schulprojekte, im Sommer dann jeden Mittwoch eine Strandreinigung. Jeder kann kommen und beim Müllsammeln helfen. Daniel hofft nicht nur, die Leute mit den Aktionen zu mehr Umweltschutz zu bewegen. Gleichzeitig will er auch, dass sie dabei Spaß haben. Alles ohne erhobenen Zeigefinger, sondern mit einem Lächeln und einer Belohnung für die getane Arbeit, bei der er den Sammelnden auch einiges erklärt: Was liegt hier? Und warum? Ironisch nennt er das „Trash Talk“.
Eigentlich darf man sich nichts nehmen, was am Strand liegt. Das gehöre nach einem uralten Gesetz dem Königreich. „Wenn wir was Cooles oder was Wertvolles finden, melden wir es dem Strandvogt“, sagt Daniel. „Wir sammeln aber normalerweise ja eh nur Müll.“ Und vom gefundenen Müll nimmt er sich dann, was er gebrauchen kann – der Rest wird entsorgt. Im kleinen Shop, der zu „omhu:“ gehört, verkauft er schließlich auch Souvenirs aus dem gefundenen Plastik. Man kann sich zudem sein persönliches Erinnerungsstück gießen. Dafür hat er extra eine Maschine bauen lassen: Das 220 Grad heiße Plastik spritzt man damit wie zähflüssiges Kaugummi in unterschiedlichste Förmchen für Schlüsselanhänger oder Armbänder.
„Nicht jedes Plastik ist dafür geeignet“, erklärt Daniel. PET-Flaschen seien beispielsweise giftig beim Erhitzen. HDPE-Plastik von alten Fischkisten oder Shampoo-Flaschen hingegen ließe sich gut verarbeiten. Waschen, schreddern, schmelzen und dann mit der Maschine in eine Form drücken. Die Farbmischungen jedes Stücks sehen anders aus. Jedes Teil ist ein individuelles Souvenir.
Zurück zum Plastiksammeln am Strand. Dort hat es nicht lange gedauert, schon konnte jemand „Bingo!“ rufen. Jedes dieser Teilchen war im Umkreis von wenigen Metern im Sand versteckt. Daniel sieht den Strand heute anders – und mehr als nur die Wellen zum Surfen. Auch bei den Mitsammelnden und Bingo-Spielenden weckt er das Bewusstsein und schärft den Blick. Doch auch wenn man nicht nur die Strände in Dänemark danach mit anderen Augen sieht: Weniger traumhaft sind sie deshalb nicht.





















