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Rassokirche Grafrath: Wo Pilger ihre Gallensteine loswerden – Fürstenfeldbruck | ABC-Z

Graf Rasso aus dem Adelsgeschlecht von Dießen-Andechs hat der Überlieferung nach um 950 ein Benediktinerkloster an der Stelle gegründet, wo heute die Wallfahrtskirche von Grafrath steht. Zuvor hatte er sich als Soldat bewährt und angeblich von einem Zug ins Heilige Land und nach Rom allerlei Reliquien mitgebracht, mit denen er die Kirche des Klosters bestückte. Rasso soll einen Arm, ein Bein sowie den Kopf eines Apostels ergattert haben, dazu ein Stück vom Tischtuch des letzten Abendmahls. Um den Mann ranken sich viele Legenden, etwa dass er oben auf einem Hügel bei der Höfener Kirche stand und einen Speer warf, um den Standort seines Klosters zu bestimmen.

Im späten 18. Jahrhundert dichtete ein Heimatschriftsteller, dass Rasso ein Hüne von 2,50 Meter gewesen sei. Die Grabplatte in der Klosterkirche misst tatsächlich etwa 2,50 Meter, die darauf abgebildete Figur Rassos immerhin 1,95 Meter, was wohl Angaben nahekommt, in denen von einer ungewöhnlich großen Gestalt berichtet wird. Urkunden sind erst aus dem Hochmittelalter erhalten geblieben: 1132 ließ sich der Propst der Augustinerchorherren von Dießen die Kapelle in Grafrath vom Papst übereignen. Woraus man schließen darf, dass es bereits vorher eine lukrative Wallfahrt gegeben haben muss.

1868 drangen mehrere Männer in die Kirche ein und raubten die Gebeine Rassos aus dem gläsernen Sarg, weil sie deren Fassung für wertvoll hielten. Die Knochen wurden bald wieder in einem nahe gelegenen Wald entdeckt. Zur Legende gehört, dass sämtliche Übeltäter ein vorzeitiger Tod durch Unfälle und Krankheiten ereilte, der Fluch der bösen Tat also. Allerdings schaffte es der Chef der Bande aus der Untersuchungshaft zu fliehen und nach Amerika auszuwandern, wo sich seine Spuren verlieren.

Auf jeden Fall sprachen und sprechen viele Menschen Rasso erheblichen Einfluss auf den lieben Gott zu. Er ist deshalb ein sogenannter Volksheiliger, kein offiziell anerkannter Heiliger der katholischen Kirche. Seine Fürsprache soll bei Blasen- und Gallensteinen, bei Leisten- und Hodenbrüchen sowie Hautkrankheiten helfen. Im Kloster sind drei sogenannte Mirakelbücher erhalten geblieben. In den großformatigen, dicken Wälzern haben die Mönche auf Deutsch und Lateinisch die „Wohltaten“ notiert, die Fälle von mehr als 12 700 kranken Pilgern, die zwischen 1444 und 1728  durch die Fürsprache des Volksheiligen Linderung erfuhren.

Obwohl die Rotmarmorplatte mit dem Relief Rassos durch ein Gitter abgesperrt wurde, schmiegten sich die Pilger an den Stein. (Foto: Peter Bierl)

Das Relief der Rotmarmorplatte auf dem früheren Hochgrab vor dem Altar ist jedenfalls ziemlich abgewetzt. Kranke Wallfahrer warfen sich einst auf die Platte und schmiegten sich eng an den Stein, um geheilt zu werden. Manchmal kamen Angehörige, legten ein Leintuch oder Leinensäckchen mit Getreidekörnern auf die Platte und später zu Hause auf den Kranken, was diesen kurieren sollte. Dass die mutmaßlichen Gebeine Rassos längst in einem gläsernen Sarg in einem Seitenaltar ruhten, hielt Wundergläubige sowenig ab wie ein kunstvolles Geländer, mit dem man versuchte, die Grabplatte abzuschirmen. Die Leute seien einfach darüber gestiegen, erzählt der Mesner Marcus Krautner.

An manchen Tagen kamen einst Tausende Pilger nach Grafrath, so viele, dass es einen tragbaren Altar gab, der vor der Kirche aufgestellt werden konnte. Die Menschen kamen aus ganz Oberbayern, dem angrenzenden Schwaben, der Oberpfalz, der Nürnberger Gegend, aus Salzburg und Tirol. Um das Kloster, die Kirche und die Wirtschaft, die seit 1495 bezeugt ist, wurden Buden und Stände aufgebaut, wahrscheinlich auch Souvenirs und Devotionalien feilgeboten. Wallfahrer waren ein beachtlicher Wirtschaftsfaktor.

Unter den Votivgaben sind viele in Silber gefasste Gallen- und Blasensteine.
Unter den Votivgaben sind viele in Silber gefasste Gallen- und Blasensteine. (Foto: Peter Bierl)

Die meisten kamen zur Kirchweih im Herbst sowie an den drei Tagen des kirchlichen Kalenders, die für Grafrath eine besondere Bedeutung hatten: Am 1. Mai, früher der Tag der Apostel Philipp und Jakob, denen die Kirche geweiht wurde, am 19. Juni zum Rassofest sowie am 4. Juli, dem Fest des Bischofs Ulrich, der die Kirche geweiht hat. Heute sind es laut Krautner noch etwa zehn Pilgergruppen im Jahr.

Vermutlich war es in Zeiten, in denen sich die Medizin noch kaum über die Quacksalberei erhob, vernünftiger, bei Gallensteinen zu beten, als sich den Bauch aufschneiden zu lassen. Zumal der Fußmarsch bei der Wallfahrt durchaus einen Abgang der schmerzhaften Gebilde bewirken konnte. Jedenfalls finden sich in der Votivkammer der Kirche zahlreiche Dankesbeweise vormaliger Patienten.

Die älteste Votivtafel stammt von 1706

Zu den Gaben, die die Gläubigen stifteten, gehören insbesondere Votivtafeln, etliche große Kerzen, dazu Krücken und in Silber gefasste Blasen- und Gallensteine. Die Tafeln sind im Stil der naiven Malerei gehalten und eine interessante historische Quelle, die älteste stammt von 1706. Sie dokumentieren, welche Kleidung Menschen damals trugen und welche Gefährte sie nutzten. Etliche Bilder zeigen Erwachsene und Kinder, die von Kutschen überfahren werden. Eine der neueren Tafeln stammt von anno 2005, der Gläubige dankt für ein geheiltes Knie.

Angeblich zerstörten die Ungarn im Jahr 954, ein Jahr nach Rassos Tod, dessen Kloster. Seine Verwandten sollen nach der historischen Niederlage der Räuber auf dem Lechfeld vor Augsburg eine neue Kapelle gebaut haben. 1468 ließ der Propst von Dießen, dem Grafrath gehörte, für Rassos sterbliche Überreste das Hochgrab anlegen. 1490 wurde dem Wallfahrtsort das einträgliche Recht des Ablasshandels verliehen.

Weil für einen eigenständigen Turm kein Platz war, wurde ein kleiner auf die Kirche aufgesetzt.
Weil für einen eigenständigen Turm kein Platz war, wurde ein kleiner auf die Kirche aufgesetzt. (Foto: Carmen Voxbrunner)

1688 soll das Dach der Kirche so morsch gewesen sein, dass die Chorherren den Baumeister Michael Thumb aus Vorarlberg damit beauftragten, über dem Grab eine neue, fünfte Kirche zu bauen. Der Neubau konnte 1695 eingeweiht werden. Der feste Grund auf der früheren Amperinsel reichte einst nicht für einen eigenen Turm, dieser wurde auf die Kirche gesetzt. Dabei blieb es im späten 17. Jahrhundert aus Kostengründen. 1817 zerstörte ein Blitzschlag den Turm und der bayerische Staat, seit der Säkularisation von 1803 neuer Eigentümer, spendierte einen Neubau, der heute noch zu sehen ist. Weil die Balken, auf denen das kleine Bauwerk ruht, sich im Lauf der Zeit senkten, entstand der schiefe Turm von Grafrath.

Die Kirche wurde mehrfach umgestaltet

Die Innenausstattung stammt nur noch zum Teil aus dem Barock, weil die Kirche in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Stil des Rokoko umgestaltet wurde, mit Stuckaturen, Fresken, Hochaltar und klassizistischem Gestühl. Zur barocken Erstausstattung gehört der Aufbau der Seitenaltäre, bei den vorderen auch der Figurenschmuck. Die Altarbilder zierten bereits den Vorgängerbau. Aus der Rokokozeit stammen die Deckenfresken von Johann Georg Bergmüller, dem bekannten Akademiedirektor aus Augsburg. Er fasste das Leben des Kirchenstifters und seiner Kirche in zwei großen Bildern zusammen, das Fresko im Chor zeigt das Wirken des Heiligen nach seinem Tod. Die Pietà hingegen zeigt gotischen Stil, sie soll von Erasmus Grasser (1450-1518) stammen, und stand bis zur Säkularisation in der Gruftkirche in München hinter dem heutigen Rathaus.

Als die Franziskaner nach der Säkularisation die Kirche übernahmen, weihten sie die hinteren Seitenaltäre ihren Ordensheiligen und ließen 1901 den ortsansässigen Kunstmaler Kaspar Schleibner neue Bilder von Franziskus und Antonius malen. Das Altarbild von Augustinus, das Bergmüller geschaffen hat, gilt seitdem als verschollen. Der Orgelprospekt mit seinen Figuren stammt aus dem Barock, das Orgelwerk wurde 1901 eingebaut. Zur Erstausstattung gehören noch die vier Beichtstühle und das Gitter unter der Empore.

Bis 2003 wurde die Wallfahrtskirche für etwa 1,5 Millionen Euro renoviert, bekam einen neuen Putz, neuen Stuck und eine Gasheizung, die mit einer Temperatur zwischen acht und elf Grad für ein besseres Raumklima sorgt. Zum Teil wurde der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt. So stellte man fest, dass die Wände während einer früheren Restaurierung gestrichen worden waren, darunter war das Mauerwerk schwarz vom Ruß unzähliger Kerzen. Jetzt sind wieder die alten Farben zu sehen, die Bergmüller 1752 benutzt hat.

Bei der Renovierung der Kirche kamen Kritzelein zum Vorschein, mit denen sich Pilger verewigt haben.
Bei der Renovierung der Kirche kamen Kritzelein zum Vorschein, mit denen sich Pilger verewigt haben. (Foto: Voxbrunner Carmen)

Nachdem die alte Farbe und der Dreck der Jahrhunderte abgeschabt waren, entdeckte man, dass die Pilger ihre Spuren hinterlassen hatten: Die Wände waren mannshoch mit Sgraffiti bedeckt. Selbst auf Dachbalken ritzten sie Namen und Zeichen ein. Die meisten Kritzelein sind nach der Restaurierung nicht mehr zu sehen. Nur zwei Stellen mit Zeichnungen sind hinter Glas sichtbar.

Anfahrt und Einkehr

Die Wallfahrtskirche zum heiligen Rasso ist täglich von 8 bis 19 Uhr geöffnet. Direkt auf der anderen Seite der Amper befindet sich die Wirtschaft Dampfschiff mit großem Biergarten und umfangreicher Speisekarte. Sie ist Montag bis Freitag von 11 bis 22 Uhr, am Samstag von 10.30 bis 22 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen von 10.30 bis 21 Uhr geöffnet.

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