Bayern: Anwohner wehren sich gegen umstrittene Flüchtlingsunterkunft | ABC-Z
München – In Rott am Inn wächst der Frust: Am Rande der oberbayerischen Gemeinde mit rund 4000 Einwohnern soll eine Aufnahmeeinrichtung für 300 bis 500 Geflüchtete gebaut werden. Eine Bürgerinitiative kritisiert, dass es unmöglich sei, so viele Menschen im kleinen Ort auf einmal zu integrieren.
Protest “Rott rottiert” trifft auch Söder
Jetzt haben rund 40 Anhänger von “Rott rottiert” beim Jahrestag des Deutschen Landkreistags vor dem Kloster Seeon protestiert. Ihr Ziel: die anwesenden Politiker auf ihre Sorgen aufmerksam zu machen.
Unweit des Eingangs zur Veranstaltung haben sich die Bürger aus dem Ort versammelt. Sie wollten möglichst viele Verantwortungsträger in Gespräche über die Flüchtlingsunterkunft verwickeln, um Unterstützer zu gewinnen.
Zu Gast waren bei der Tagung unter anderem der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bayerns Bauminister Christian Bernreiter (CSU).
Anwohner zeigt sich enttäuscht: CSU-Chef Markus Söder spricht nicht mit den Demonstranten
Einer der Demonstranten ist Klemens Seidl, der zwei Häuser neben der geplanten Unterkunft Am Eckfeld 10 lebt. “Die Demonstration hat sich auf jeden Fall gelohnt.” Jede Aktion bewirke etwas.
Andererseits ist Seidl aber auch enttäuscht: Weder Bayerns Regierungschef noch der Landrat Otto Lederer (CSU) aus dem Kreis Rosenheim ist mit den Rottern ins Gespräch gekommen.
Dabei ist dem gebürtigen Österreicher sein Anliegen besonders wichtig: Die Flüchtlingsunterkunft soll ihm zufolge in einer ehemaligen Produktionshalle errichtet werden, in der früher auch mit gesundheitsgefährdendem Quecksilber gearbeitet wurde. Geplant seien drei Stockbetten auf sieben Quadratmetern – sehr viele Menschen müssten also auf engem Raum zusammen leben.
Zu viele Geflüchtete in Rott am Inn? “Wenn Integration stattfinden soll, dann bitte in angemessenen Umfang”
Das kritisiert Seidl: “Ich bin ein Menschenfreund in allen Richtungen. Wenn aber Integration stattfinden soll, dann bitte in angemessenem Umfang”, so der Demonstrant zur AZ.
Seiner Meinung nach hat der Standort große Schwächen: Die Örtlichkeit liegt weitab vom Schuss. Im Umfeld befinden sich mehrere gewerbliche Betriebe – darunter ein Spediteur und Lebensmittel-Produzenten. Auch im Dorf sehe es nicht besser aus: Dort gibt es einen einzigen Supermarkt, wenige Ärzte, insgesamt eine nur eingeschränkte Infrastruktur. Die nächste Polizeistation sei beispielsweise rund 20 Autominuten entfernt.
“Es ist unvorstellbar, dass dort Menschen leben sollen. Kalter Industrieboden, kalte Wände. Mit Blick auf die Akustik und Privatsphäre geht es nicht mehr schlechter”, meint Seidl. “Es ist das niedrigste Niveau, wie man Menschen in einem westlichen Staat unterbringen kann.”
Diskussion um Geflüchteten-Unterkunft in kleiner Gemeinde zieht sich seit Monaten
Der Streit um die Einrichtung hat eine lange Vorgeschichte. Anfang des Jahres hatten sich Anwohner und der Bürgermeister der Gemeinde, Daniel Wendrock (CSU), bereits zu einem Gespräch mit Markus Söder getroffen. Danach hat auch CSU-Innenminister Joachim Herrmann den Ort besucht, zeigt eine Pressemitteilung der Gemeinde. Doch eine Lösung wurde offenbar nicht gefunden.
Im Anschluss hat sich mehrmals das Landratsamt Rosenheim zu Wort gemeldet: Statt 500 Flüchtlingen sollen nur noch 300 in der Ortschaft ein temporäres Zuhause finden. Ausschlaggebend war unter anderem ein Gutachten zur Quecksilber-Belastung der Halle.
Nach der Untersuchung wurde bekannt, dass ein Grenzwert überschritten ist. Das teilt das Landratsamt Rosenheim auf seiner Internetseite mit. Deswegen sollen zwei Räume vorsorglich nicht belegt werden.
Mehrere alternative Standorte abgelehnt: Ist die Industriehalle die einzige Option?
In der Zwischenzeit hat die Gemeinde versucht, eine Einigung anzustreben. Dabei wurden alternative Standorte für die Unterkunft vorgestellt. Diese seien aus Kostengründen abgelehnt worden. Das frustriert Seidl und seine Mitstreiter.
Seit fast einem Jahr kämpfen sie um einen Kompromiss: “Ab und zu gibt es Lichtblicke, ich weiß inzwischen aber nicht mehr, was ich denken soll!”
Besonders nach den Angriffen in Solingen und Mannheim seien die Sorgen vieler Anwohner weiter gewachsen. Niemand aus der Bürgerinitiative sei fremdenfeindlich; man wolle lediglich “gemeinsam für eine lebenswerte Zukunft in Rott am Inn” eintreten, schreibt das Bündnis in einer Mitteilung.
Überforderung der Gemeinde ausgeschlossen: “Aufenthalt beschränkt sich auf wenige Wochen”
Die Anhänger weisen darauf hin, dass die Gemeinde mit 100 Flüchtlingen noch gut zurechtgekommen ist. 300 seien aber eine Hausnummer zu groß. Auf AZ-Anfrage weist das Landratsamt Rosenheim darauf hin, dass es sich bei der geplanten Unterkunft um eine Erstaufnahmeeinrichtung handelt.
Eine Überforderung der Gemeinde sei ausgeschlossen. “Der Aufenthalt in der Halle beschränkt sich auf wenige Wochen und dient der Weiterverteilung auf Folgeeinrichtungen in den Kommunen”, sagt eine Sprecherin. Zudem sei diese die menschenwürdigste Alternative der im Landkreis geeigneten Standorte.
Als Nächstes wollen die Rotter Bürger ihr Anliegen im Petitionsausschuss des Bayerischen Landtags vortragen. Mehr als 3800 Unterstützer haben ihre Forderungen schon unterschrieben. Seidl hofft, dass einige der Abgeordneten vor der entscheidenden Sitzung in die Gemeinde kommen und sich vor Ort ein Bild von der Industriehalle machen.