München feiert Geisel-Freilassung: Oberbürgermeister optimistisch – München | ABC-Z

Partysound wummert über den St.-Jakobs-Platz vor der Synagoge. Immer mehr Menschen, darunter auffallend viele junge, versammeln sich hier, einige hüpfen ausgelassen im Rhythmus der Musik, andere fallen sich in die Arme, tanzen im Kreis oder schwenken eine Israel-Flagge. Am Montagabend feiern nach Polizeiangaben rund 300 Menschen mitten in München die Freilassung der Geiseln der Hamas im Rahmen der Vereinbarung über eine Waffenruhe im Gaza-Krieg. Guy Katz und sein Team hatten zu dieser Kundgebung aufgerufen. Motto: „We Will Dance Again!“
Katz und seine Familie haben in der Nacht von Sonntag auf Montag kaum geschlafen: „Wir haben israelisches Fernsehen geschaut, um mitzukriegen, ob die Geiseln eventuell früher freikommen. Ich kann’s noch gar nicht glauben“, erzählt der Hochschullehrer am frühen Montagnachmittag am Telefon. Nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 hat der 43-Jährige in München die Demonstration „Run for their lives“ mitinitiiert und forderte seither bei den regelmäßig stattfindenden Kundgebungen mit Unterstützern die Freilassung der Geiseln. Zuletzt organisierte der Wirtschaftswissenschaftler am vorletzten Wochenende im Verbund mit anderen Institutionen und reichlich Polit-Prominenz die Demonstration „Dach gegen Hass“ auf dem Königsplatz – für sichtbares jüdisches Leben und gegen Hass und Hetze.
„Heute tanzen wir für die Rückkehr der Geiseln“, sagt Katz kurz vor der Veranstaltung und zitiert einen Mitstreiter: „Zwei Jahre lang haben wir geweint.“ Daran erinnert später auf dem Podium am St.-Jakobs-Platz auch die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch. „Die Wunden, die der Pogrom vom 7. Oktober gerissen hat, waren tiefer, als wir uns das vorstellen konnten. Sie werden niemals ganz heilen, aber heute können sie anfangen zu verheilen.“
Knobloch, wie auch zweiter Bürgermeister Dominik Krause (Grüne), erinnerten vom Podium aus an die von der Hamas am 23. Oktober verschleppten jungen Männer, Nimrod Cohen und Oz Daniel. Deren Mütter waren vergangenes Jahr nach München gekommen und beim „Run for their lives“ mitgelaufen. Nimrod Cohen lebe noch, seine Familie sei auf dem Weg zu ihm, sagte Katz. Oz Daniel ist tot. Sein Leichnam sei noch nicht an die Familie übergeben. IKG-Gemeinderabbiner Shmuel Aharon Brodman betete mit den Versammelten auch für diese beiden.
Tom, 28, ein Münchner, der am Tag zuvor noch in Israel war, steht mit der Israel-Fahne in der Menge und lauscht. „Die Veranstaltung ist gut, weil sie spirituell gut begleitet ist und auch das Feiern nicht zu kurz kommt.“ Der Tag bedeute für ihn „Erleichterung und Glückseligkeit“.
Fuad Hamdan, 73, gebürtiger Palästinenser und Münchens wohl bekanntester Palästina-Aktivist, sitzt im Zug, als man ihn für eine Stellungnahme zu diesem bewegten Montag im Nahen Osten erreicht. „Was heute passiert ist, ist kein Friedensschluss. Es ist nur ein Ende von zwei Jahre andauernden Kämpfen und der Zerstörung von 80 Prozent des Gazastreifens. Es gibt über 65 000 palästinensische Tote und Zehntausende verletzte Kinder, Frauen und Männer.“
So sehr er sich freue, dass die Menschen in Gaza nach zwei Jahren wieder etwas zur Ruhe kämen, Kinder wieder schlafen könnten, „ohne Bombardierung, ohne Vertreibung“, sei völlig unklar, inwieweit und wann sich die Israelis aus Gaza zurückziehen würden. Hamdan sieht es so: „Gaza bleibt also nach wie vor umlagert und abgeriegelt von der israelischen Armee aus der Luft, vom Wasser und vom Land.“
Nach der Freilassung der 20 letzten lebenden Geiseln wurde am Nachmittag die am Münchner Rathaus gehisste Israel-Flagge eingeholt. Dort war sie nach dem tödlichen Großangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 als Zeichen der Anteilnahme und Solidarität aufgezogen worden.

Oberbürgermeister Dieter Reiter hatte bei der Gelegenheit erklärt, erleichtert zu sein, „dass nun endlich auch die letzten lebenden Geiseln frei sind, die Waffen schweigen und wir Hoffnung auf einen Friedensprozess haben dürfen“.

Am Montag hat auch die Gruppierung „Uni for Palestine Munich“ für den späteren Abend in den sozialen Netzwerken zu einer Eil-Kundgebung auf dem Odeonsplatz aufgerufen. Etwa 120 Menschen versammeln sich hier, schwenken Palästina-Flaggen mit Aufdrucken wie „End Israel Apartheid – Free Palestine“ und halten Schilder mit Botschaften, auf denen zu lesen steht: „Dear Germans don’t wash your white guilt with Palestinian blood.“ Sie seien an diesem Tag zusammengekommen, so ein Redner, um aller Journalisten zu gedenken, die „im Laufe dieses Genozids gezielt von Israel umgebracht wurden“.
Im Mittelpunkt der Demonstration steht der palästinensische Reporter Saleh Aljafarawi, der vor wenigen Tagen, kurz nach dem vereinbarten Waffenstillstand zwischen Israel und Gaza, von Mitgliedern einer „bewaffneten Miliz“, wie Al Jazeera berichtet, erschossen wurde. Die Unterstützer Palästinas auf dem Odeonsplatz sprechen von „israelischen Milizen“. Sie kritisieren auch die Medien für die in ihren Augen „heuchlerische Berichterstattung“ über den Konflikt und kündigen an, „so lange unsere Stimme unterdrückt wird, gibt es einen Grund für uns auf die Straße zu gehen“.