Kultur

Sudan und Kongo: Eine humanitäre Katastrophe | ABC-Z

Frau Easter, Sie sind für Hilfsorganisation CARE in den Krisenherden der Welt unterwegs. Was machen Sie da?

Ich besuche Regionen, in denen CARE aktiv ist, um die humanitäre Situation vor Ort einzuschätzen. Ich sammle die Geschichten der Menschen, mache Fotos und Videos, um auf die Lage aufmerksam zu machen. Damit die Menschen dort nicht vergessen werden.

Die ganze Welt schaut in die Ukraine und nach Gaza. Sie sind aber viel in Afrika unterwegs. Wo waren Sie zuletzt?

Im Osten Kongos kämpfen mehr als 100 bewaffnete Milizen um Einfluss, die Menschen werden immer wieder vertrieben. Unter welchen Bedingungen arbeiten Sie?

Die Sicherheitslage macht die Arbeit sehr schwierig. Ich bin nach Ruanda geflogen und von Kigali über die Grenze nach Goma. Ich wollte auch in den Norden Kongos, aber die Straße dorthin ist zu gefährlich für humanitäre Helferinnen und Helfer. Also sind wir zurück nach Ruanda, durch Uganda gefahren und haben die Grenze im Norden abermals überquert. Die UN haben eigene Flug-Transfers für humanitäre Helfer, die konnte ich im Norden nutzen. Mit dem Auto ist es zu gefährlich. Die Menschen, die dort leben, nennen die Straßen „Death Corridors“. Von denen weiß man, dass man dort umgebracht, entführt oder vergewaltigt wird oder einfach spurlos verschwindet. Deswegen ist es eine logistische Herausforderung, von A nach B zu kommen.

Sarah Easter ist Referentin für Nothilfe-Kommunikation bei CARE Deutschland. Sie reist regelmäßig in CARE-Projekte auf der ganzen Welt.CARE

In Kongo tobt der Krieg im Grunde seit drei Jahrzehnten, mit kurzzeitigen Unterbrechungen. Welche Überlebensstrategien haben die Menschen entwickelt?

Ich habe in Sake – das ist ein Dorf, ungefähr 30 Kilometer von Goma entfernt – mit einer Frau gesprochen. Sie hat gesagt, dass die Männer sich jeden Abend, wenn es dunkel wird, in den Büschen verstecken, weil sie sonst entführt werden. Und die Frauen sind nachts allein in diesem Dorf. Ihre älteren Töchter, und damit meine ich 13- und 15-Jährige, hat sie in die Stadt geschickt zu Freunden, damit sie nicht vergewaltigt werden. Weil nachts die Vergewaltiger kommen. Das ist eine alltägliche Gewalt, mit der die Menschen seit Jahren leben. Und ja, es gibt Bewältigungsmechanismen wie das Schlafen in den Büschen. Aber im Grunde können sich die Menschen kaum davor schützen.

Warum werden die Männer entführt?

Das wissen die Menschen dort selbst nicht. Diese Männer verschwinden einfach, und man hört nie wieder etwas von ihnen.

Sie haben gesagt, Sie hören sich die Geschichten der Menschen an. Welche hat Sie in Kongo besonders berührt?

Die Geschichte dieser Frau hat mich wirklich berührt. Sie stammte aus Sake, wurde dann vertrieben, weil eine Bombe auf ihr Haus fiel. Dann ist sie nach Goma geflohen und hat dort eineinhalb Jahre in einem Vertriebenencamp gelebt. Dann kamen die Bomben nach Goma und vertrieben sie abermals. Jetzt lebt sie wieder in Sake in einem Zelt, etwa drei Meter von der Stelle entfernt, an der früher ihr Haus stand. Sie hat mir die Stelle gezeigt, da wächst mittlerweile Gras. Sie lebt dort, wo es keine Infrastruktur mehr gibt. Dort sind keine Geschäfte, kein fließendes Wasser, keine Arbeitsmöglichkeiten.

Haben die Menschen Hoffnung?

Die Menschen sind resilient. Und natürlich funktioniert Hilfe trotz aller Herausforderungen. Als ich in Sake war, gab es eine Essensverteilung. Sie kam drei Stunden zu spät, weil der Lkw Probleme hatte, dorthin zu kommen. Eine Gruppe Frauen hat auf ihn gewartet. Sie saßen zusammen, haben miteinander gesprochen, haben gelacht. Sie haben sich unglaublich gefreut, dass sie jetzt einen Sack Weizenmehl bekommen und dann wieder einen Monat weiterleben können. Es gibt sehr viel Leid, aber die Menschen stehen zusammen und helfen sich. Wenn jemand krank wird, spart manchmal das ganze Dorf für medizinische Hilfe. Die Solidarität untereinander ist unglaublich stark in diesen Gemeinden. Also ja: Es gibt viel Leid, aber auch Hoffnung und Überlebenswillen.

Als Sie in Kongo waren, sickerten gerade die Nachrichten über ein Friedensabkommen mit Ruanda durch. Merken die Menschen davon etwas?

Die Gewalt ist für die Menschen trotzdem immer noch der Alltag und hat auch nicht immer etwas mit dem Konflikt mit Ruanda zu tun. Der war nie ein Thema in meinen Gesprächen. Thema ist eher: Woher bekomme ich das nächste Essen? Haben wir die Nacht überlebt? Ist mein Mann noch da, wenn die Sonne aufgeht? Sind meine Töchter sicher und nicht vergewaltigt worden? Wo finde ich das nächste Wasser?

Blicken wir Richtung Sudan. Hier tobt seit zwei Jahren ein Bürgerkrieg zwischen der sudanesischen Armee und den paramilitärischen Rapid Support Forces. Unter welchen Bedingungen arbeiten Sie dort?

Die Arbeit in Sudan ist sehr schwierig, weil wir für jede Art von Bewegung eine neue Genehmigung benötigen. Auch die Kollegen vor Ort brauchen Genehmigungen, auch für die humanitären Transporte. Das war aber auch schon vor dem Konflikt sehr schwierig. Jetzt dauert das alles aber noch länger.

Wie geht es den Menschen dort?

Ich war in Port Sudan in einem Vertriebenencamp. Das ist eine ehemalige Schule, wo die Menschen in Klassenzimmern leben – manchmal sechs Familien in einem Zimmer. Da fehlt es an allem. Sie schlafen auf alten Schulbänken, die zusammengerückt wurden. Sie sind abhängig von humanitärer Hilfe. In dieser Schule gab es am Anfang Essensverteilungen, aber dafür fehlen jetzt die Gelder. Nun müssen die Menschen versuchen, sich selbst zu versorgen. Eine Frau hat erzählt, dass sie mit kleinen Arbeiten drei bis vier Euro pro Woche verdienen kann. Davon kauft sie für sich und ihre fünf Kinder einen Sack Reis oder einen Sack Bohnen. Und dann muss sie entscheiden, ob sie das in zwei Mahlzeiten aufteilt – also zwei Tage davon überleben kann – oder ob sie es sogar auf drei Tage streckt. Das sind dann sehr kleine Portionen. Und wenn sie das so macht, muss sie mehr Geld für Kohle ausgeben, damit sie das Essen auch kochen kann.

Die UN sprechen von Sudan als größter humanitärer Krise unserer Zeit.

Es ist eine Katastrophe, wie ich sie selbst noch nicht gesehen habe. Anfang des Jahres war ich in Südsudan, an der Grenze zu Sudan, wo viele Geflüchtete angekommen sind. Das sind Menschen, die vor dem Schlimmsten geflohen sind. Sie sind in einem geschwächten Zustand losgelaufen, haben mit den nackten Händen im heißen Sand nach Wasser gesucht. Kinder fliehen allein und verstecken sich nachts auf Bäumen, um nicht von Hyänen angegriffen zu werden. Und das sind die, die Glück hatten, dass sie in die richtige Richtung geflohen sind. Die meisten haben gesagt, sie wussten nicht, wohin sie fliehen. Sie sind einfach in die Richtung gerannt, wo die Bomben nicht waren, und sind dann im Tschad oder in Südsudan angekommen. Und das sind Länder, die ebenfalls auf humanitäre Hilfe angewiesen sind.

Wie werden die Menschen aus Sudan dort empfangen?

Auch da gibt es eine große Solidarität. Menschen, die selbst kaum etwas haben, geben anderen Menschen noch etwas ab. Oder sagen ihnen, wo sie Hilfe bekommen können. Aber es ist so, dass viele Menschen gleichzeitig fliehen und viele Menschen gleichzeitig die gleichen Grundbedürfnisse haben. Das belastet die Landwirtschaft, die Lebensmittelpreise steigen rapide. Und das heißt, dass die Armut größer wird, auch für die lokale Bevölkerung.

Erleben Sie positive Geschichten?

Ja, zum Beispiel die von vier Schwestern, die sich auf der Flucht verloren hatten und dann in Südsudan wiedergefunden haben. Oder die Geschichte von einer Frau, die vollkommen erschöpft in Port Sudan angekommen ist und nicht wusste, wohin sie gehen sollte. Dann hat sie sich in einen Teeshop gesetzt. Dort saß sie für mehrere Stunden. Und dann kam ein Tuk-Tuk-Fahrer vorbei. Der hatte gesehen, dass sie da so lange schon saß, und hat gefragt, ob sie Hilfe braucht. Schließlich hat er sie umsonst zur nächsten Hilfsorganisation gefahren. Oder die vielen Lkw-Fahrer, die Menschen auf der Flucht auf der Ladefläche mitnehmen, ohne Geld dafür zu verlangen. Diese Solidarität ist großartig.

Im rohstoffreichen Osten der Demokratischen Republik Kongo kämpfen mehr als 100 bewaffnete Gruppen um Einfluss. Auch Milizen aus Nachbarstaaten dienen die Wälder als Rückzugsraum, darunter der von Ruanda unterstützten Miliz M23. Zwar haben Ruanda und Kongo im Juni ein Friedensabkommen unterzuzeichnet. Die M23 zog sich jedoch aus Friedensgesprächen zurück. 

In Sudan tobt seit mehr als zwei Jahren ein Bürgerkrieg zwischen der sudanesischen Armee und den paramilitärischen Rapid Support Forces. Beide Seiten begehen schwere Kriegsverbrechen und verletzen das internationale Völkerrecht. Mehr als 14 Millionen Menschen mussten fliehen.

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