Hessen erleichtert Wohnungsbau: Weniger Komfort, mehr Tempo | ABC-Z

Davon gehe ich aus. Wir haben lange daran gearbeitet, mit vielen Expertinnen und Experten aus der Praxis. Dieses Vorgehen war ein Novum. Deren Vorschläge werden nicht nur gehört, sondern auch umgehend umgesetzt.
Was macht Sie so zuversichtlich?
Mich macht zuversichtlich, dass die Praxis diese Vorschläge selbst entwickelt hat. Also beispielsweise die bessere Ausnutzung von Grundstücken, den erleichterten Um- und Ausbau von Dachgeschossen oder auch den Einsatz von kostengünstigen, innovativen Bautechniken. All das wird durch die Baureform erleichtert.
Welche Vorteile bringen die Änderungen bei den Abläufen und bei den Kosten?
Bei einem komplexen Bauvorhaben ergibt sich allein durch das digitale Baugenehmigungsverfahren, das wir derzeit in Hessen ausrollen, ein Zeitvorteil von zwei bis drei Monaten. Einen großen Kostenvorteil kann die Abweichung von den heutigen Baustandards bringen. Damit ist immer noch sehr, sehr gutes Bauen möglich, aber eben mit ein bisschen weniger Komfort, dafür deutlich niedrigeren Kosten. Wenn ein Vorhabenträger beispielsweise mit dem Baustandard des Jahres 2000 bauen möchte, muss das künftig in Hessen genehmigt werden. Das ist immer noch viel besser als die allermeisten Häuser, in denen die Menschen leben. Meine Priorität liegt darauf, dass die Menschen Mieten und Eigentum bezahlen können.
Bei manchen Vorhaben ist künftig keine Baugenehmigung mehr nötig. Außerdem wird es erleichtert, Baulücken zu schließen, Abstandsflächen werden verringert. Fürchten Sie nicht, dass es zu Konflikten mit Nachbarn kommt?
Ich glaube, gerade im dicht bebauten Raum müssen wir alle mehr Rücksicht aufeinander nehmen und offen über die Prioritäten sprechen. Und wenn wir in Frankfurt eine Situation haben, in der Menschen mehr als die Hälfte ihres Nettoeinkommens für die Miete ausgeben müssen, ist das für mich ein untragbarer Zustand. Das wird sich nur ändern lassen, wenn wir sozial verträgliche Verdichtung ermöglichen. Die stärkere Bebauung von Grundstücken oder die Nachverdichtung durch Aufstockung sind notwendig als ein Baustein von vielen, um die Mieten in den Griff zu kriegen.
Die kommunalen Spitzenverbände beurteilen die Änderungen skeptisch. Sie fürchten zum Beispiel, dass bei einem Verzicht auf Baugenehmigungen mehr rechtswidrig gebaut wird und dann am Ende nichts gewonnen ist.
Ich habe großes Vertrauen, dass die Planerinnen und Planer sich mit den rechtlichen Rahmenbedingungen vertraut machen. Mehr Freiheit und Eigenverantwortung zu schaffen, heißt ja nicht, dass mehr Fehler gemacht werden. Aber wir betreten hier Neuland, wir gehen mit der Baureform bundesweit in die Führung. Und wenn sich in der Praxis zeigen sollte, dass Dinge nicht funktionieren, dann muss man sie eben wieder anpassen, möglicherweise auch wieder zurückdrehen. Aber ich glaube, wir müssen von dieser angstgeleiteten Gesetzgebung wegkommen. Die Immobilienwirtschaft fordert Mut zur Veränderung. Und diesen Mut legen wir mit dem Gesetzespaket ausdrücklich an den Tag.
„Teure Tiefgaragen können sich viele Menschen nicht leisten“
Diskussionen gab es auch um die Stellplatzpflicht. Die Bauwirtschaft hätte sich noch mehr Freiheiten gewünscht, die Kommunen wollen weiter Einfluss nehmen. Was bringt der Kompromiss, der jetzt im Gesetz steht?
Andere Länder haben sich getraut, auf überbordende Stellplatzpflichten zu verzichten. Da ist bislang die Welt nicht untergegangen. Ich glaube auch nicht, dass das in Hessen passieren wird. Natürlich hätte ich mir vorstellen können, dass wir eine noch forschere Regel im Gesetz verankern. Rausgekommen ist jetzt eine Experimentierklausel für die fünf hessischen Großstädte mit einem Verzicht auf Stellplätze bei Neubauten bis einschließlich 14 Wohneinheiten sowie einer Deckelung bei allen Gebäuden, die größer sind. Außerdem verzichten wir künftig auf Stellplätze, wenn Wohnungen durch Um- und Ausbaumaßnahmen entstehen. Ich glaube, das geht in die richtige Richtung. Der Fokus muss darauf liegen, dass Wohnen wieder bezahlbar wird. Teure Tiefgaragenstellplätze können sich viele Menschen gar nicht leisten.
Außer um Stellplätze dreht sich die Diskussion auch um die Pflicht, Spielplätze zu bauen. Warum wollen Sie ausgerechnet darauf verzichten?
Es geht nicht um Spielplätze als solche, sondern es geht um diese traurigen Schaukeln und Wippen, die einsam und verlassen neben einem Sandkasten stehen. Die treiben die Kosten in die Höhe, aber echte Qualität für Kinder bringen sie nicht. Deswegen haben wir auch da einen guten Kompromiss gefunden. Die Pflicht zur Schaffung von solchen Spielplätzen bleibt erhalten, gilt aber künftig nur noch für größere Wohnungsbauvorhaben ab 13 Wohneinheiten.
Ein zweites Baupaket ist in Vorbereitung. Was erwartet uns da?
Ich habe dazu wieder keine Vorgaben gemacht. Die Expertenkommission beschäftigt sich im Schwerpunkt mit technischen Bauvorschriften. Es gibt Tausende von Vorschriften, die einzuhalten sind. Nicht alle davon sind erforderlich. Auch da will ich Prioritäten setzen. Sicherheit hat natürlich immer Vorrang, daran wird nicht gerüttelt. Aber überall da, wo Wohnkomfort die Dinge teuer macht, wollen wir mehr Freiraum schaffen, damit für jedes Bauprojekt einzeln entschieden werden kann, welcher Komfort erforderlich ist.
Bauherren sollen selbst über Komfort entscheiden
Auf welchen Komfort könnte verzichtet werden?
Ich nehme gerne das Beispiel der Stahlbetondecke, weil das sehr anschaulich ist. Als meine Eltern 1997 ein sehr bescheidenes Häuschen im Neubaugebiet von Alten-Buseck im Landkreis Gießen gebaut haben, wurde ein Drittel weniger Stahlbeton verwendet als heute. Die Decke ist sicher, es gibt überhaupt keinen technischen Grund, mehr Beton zu verbauen. Aber es wird damit begründet, dass es in den Wohnungen leiser ist, wenn die Decken dicker sind. Lassen wir doch die Bauherrinnen und Bauherren entscheiden, welchen Komfort sie haben wollen. Für mich steht im Fokus, dass sich die Menschen mit normalen Einkommen eine Wohnung leisten können. Mein Ziel ist, dass niemand mehr als ein Drittel seines Nettoeinkommens für die Wohnung ausgeben soll. Davon sind wir noch weit entfernt.
Hamburg hat Vorschläge präsentiert, wie die Baukosten durch vereinfachte Verfahren und niedrigere Standards um bis zu ein Drittel reduziert werden sollen. Ist das ein Vorbild für Sie?
Absolut. Dieser sogenannte Hamburger Standard ist genau das, was wir im Blick haben. Da wird nicht verzichtet auf sicherheitsrelevante Standards, sondern es wird abgestellt auf überbordende Komfortstandards, die das Bauen teuer machen.
„Wir können das Problem nicht wegsubventionieren“
Sozialer Wohnungsbau geht nicht ohne öffentliche Unterstützung. Allerdings sind die Mittel, die Sie im Landeshaushalt zur Verfügung haben, begrenzt. Im vergangenen Jahr konnten nicht alle Förderanträge bewilligt werden. Wie gehen Sie mit diesem Problem um?
Wir haben gesehen, dass in kürzester Zeit die Nachfrage nach Fördermitteln deutlich zugenommen hat. Wir müssen deshalb jetzt drei Dinge tun. Erstens müssen wir für die wichtigen Projekte ausreichend Fördermittel akquirieren. Das ist immer auch ein Verhandeln im parlamentarischen Verfahren mit Blick auf den neuen Haushalt. Gleichzeitig werden wir uns die Konditionen für die Förderung anschauen. Und drittens können wir nicht das Gesamtproblem wegsubventionieren, sondern wir müssen auch sicherstellen, dass die, die preisgünstig ohne Förderung bauen wollen, das auch können.
Beschlossen wird in dieser Woche auch das Gesetz, das es ermöglichen soll, Wohnungsleerstand zu bekämpfen. Kritiker sagen, damit lasse sich nicht viel Wohnraum gewinnen. Wie schätzen Sie es ein?
Wenn mit der neuen Regelung in Frankfurt nur eine dreistellige Zahl von Wohnungen jährlich zurückgewonnen werden kann, dann stehen dem öffentliche Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe gegenüber, wenn wir die Wohnungen neu bauen müssten. Ich finde schon, dass das sehr viel bringt. Es ist ein Mosaikstein von vielen. Wenn es begründeten Leerstand gibt, weil der Eigentümer auf einen Handwerker oder eine Genehmigung wartet, ist das weiterhin in Ordnung. Aber da, wo Wohnungen länger als sechs Monate unbegründet leer stehen, können Kommunen, die das wollen, künftig dagegen vorgehen. Ich halte das auch für richtig, wenn ich mir alleine den Wohnungsmarkt in Frankfurt angucke.
Was erhoffen Sie sich vom sogenannten Bauturbo, der in Berlin beschlossen werden soll?
Ich glaube, jeder Baustein, der den Wohnungsbau erleichtert, trägt dazu bei, dass sich Menschen mit normalem Einkommen wieder ein gutes Zuhause leisten können. Und zwar die, die mieten, wie auch die, die in den eigenen vier Wänden leben. Bund, Länder und Kommunen müssen das Tempo hochhalten, weil der Mangel an bezahlbaren Wohnungen mittlerweile nicht nur sozialer Sprengstoff ist, sondern weil er auch zu einer Bremse für den Arbeitsmarkt geworden ist.
Wenn schneller geplant und gebaut wird: Leidet darunter die Baukultur?
Das muss nicht, kann aber sein und ist möglicherweise auch ein Ausdruck klarer Prioritätensetzung. Für mich ist die absolute Priorität die Bezahlbarkeit und das Tempo. Preisgünstig bauen muss am Ende aber nicht heißen, dass es schlecht aussieht. Auch der serielle Wohnungsbau kann ja ansprechend gestaltet werden. Aber ich glaube, die Zeit, in der wir uns besonders viele Gedanken um Randthemen gemacht haben, die muss angesichts der Bau- und Mietenkrise vorbei sein.





















