Die Walhalla, eine Ruhmeshalle bedeutender Personen „deutscher Zunge“ und Kultur – Bayern | ABC-Z

Das Münchner Tagblatt zog über das Geschehen, das sich am 18. Oktober 1842 auf dem Bräuberg nahe Donaustauf zugetragen hatte, eine nüchterne Bilanz: „Die feierliche Eröffnung der Walhalla ging, vom schönsten Wetter begünstigt, glücklich vorüber. Die herrliche Halle des deutschen Ruhmes steht nun für jedermann geöffnet.“
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„Halle des deutschen Ruhmes“ – schon diese Benennung lässt erahnen, warum die Walhalla seit jeher ein Politikum ist. Das zeigt aktuell der am Dienstag gefasste Beschluss des bayerischen Kabinetts, die Büste des CSU-Politikers Franz Josef Strauß in den Ruhmestempel aufzunehmen. Eine ungeteilte Begeisterung im Volk ist bislang nicht zu erkennen. Warum er und nicht Ludwig Erhard, Alfons Goppel oder Wilhelm Hoegner, fragen sich viele.
Schon bei der Grundsteinlegung der Walhalla anno 1830 flammte die Diskussion auf, wer in Form von Büsten und Gedenktafeln in die Gedenkstätte einziehen soll. Ludwig I. zog Gelehrte zurate, aber „letztlich hat er die Kandidaten alle selber ausgesucht“, sagt die Historikerin Hannelore Putz. Zu seinen Lebzeiten wurden 101 Marmorbüsten aufgestellt, momentan prangen dort 132 Büsten und 64 Gedenktafeln.
Franz Josef Strauß und die Publizistin Hannah Arendt werden die letzten Plätze belegen, wie es offiziell heißt. Dass die Bayerische Schlösserverwaltung kundtat, die Walhalla sei jetzt „ziemlich voll“, lässt freilich offen, ob das Prozedere fortgeführt wird. Sowohl in den Höhen der Wände als auch in einer unter dem Treppenaufgang sich hinstreckenden leeren Halle warten noch unberührte Flächen auf künftige Heldenhäupter.

:Die Walhalla für Insider
Wer steht in der Ruhmeshalle eigentlich so – außer den üblichen Verdächtigen? Ein Blick auf fünf Büsten jenseits des Mainstreams.
Wäre da nur nicht die schiere Menge der Aspiranten. Liberale Kreise reagierten einst mit Unverständnis auf die „einseitige Auswahl“ des Königs und auf die Tatsache, „dass er sich zum alleinigen Erinnerungsbevollmächtigten machte“, wie es Hannelore Putz formuliert. Er zog den Zorn vieler Protestanten auf sich, weil er den Reformator Martin Luther verschmähte. Sofort goss der Dichter Heinrich Heine kübelweise Spott über Ludwig und dessen „marmorne Schädelstätte“ aus. Ähnliches hätte er wohl auch im Falle des Franz Josef Strauß riskiert. Im Sinne Heines belferte der Landtagsabgeordnete Julian Preidl (Freie Wähler): „Die Walhalla ist kein CSU-Stammtisch.“
Ungeachtet dessen zählt die Walhalla zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten in Bayern. Im Jahr 2024 wurden dort mehr als 180 000 Besucher gezählt. Das von Hunderten Marmorstufen und steil abfallenden Terrassen gesäumte Gelände birgt aber auch Gefahren. Vor wenigen Monaten stürzte ein Besucher acht Meter in die Tiefe und verlor dabei sein Leben. Es war nicht der erste schwere Unfall, weshalb nun Absperrgitter aufgestellt wurden. Das Bauwerk aber dauerhaft mit einem Geländer auszustatten, stößt auf den Widerstand der Denkmalschützer und des Landtags.
Der Wunsch, das klassizistische Bauwerk im Urzustand zu präsentieren, ist verständlich. „Herrlich, herrlich, Klenze, prachtvoll, grandios, klassisch und schön, wie ich nur jemals etwas sah.“ So schwärmte Ludwig I., der ja danach strebte, in dieser Landschaft sollten Architektur und Vision (die marmornen Häupter großer Deutscher in einer Gedenkhalle zu versammeln) grandios miteinander verschmelzen.
„Da san ja lauter Kepf drinnad“, wundert sich der Schulbub
Ein Deutschland im heutigen Sinne existierte damals noch nicht, und doch wuchs nach den Jahren unter der Knute des Franzosenkaisers Napoleon der Wunsch nach einer deutschen Identität. Die Walhalla sollte das Bewusstsein stärken, dass „alle Teutschen, welchen Stammes sie auch seyen, immer fühlen, daß sie ein gemeinsames Vaterland haben“.
Diese Gedankenwelt erschließt sich nicht mehr allen Besuchern der Walhalla. „Da san ja lauter Kepf drinnad“, erfuhren stille Beobachter neulich aus dem Munde eines Schulbuben, den die Aussicht wohl nachhaltiger beeindruckt hatte als die Kepf (Köpfe), die allesamt „teutscher Zunge“ sein sollten, war doch das einzige Verbindungsglied der Deutschen damals die gemeinsame Sprache.
Es gibt ein Büchlein, in dem der König seine Auswahl begründete. Goethes Ruhm, schreibt er darin, werde fortwährend über alles glänzend ragen. Über Schiller schrieb er: „Wie ein in seinem Laufe gehemmter Strom sprengte er die sperrenden Schranken, dass die Wogen über die Ufer gewaltig schlugen.“ Katharina II., Kaiserin von Russland, veranlasste ihn „zum Erstaunen und Schaudern, und doch auch zum Bewundern“. Und über die Kaiserin Maria Theresia urteilte er, ihre ausgedehnten Reiche enthielten keinen Mann, „der standhaft wie sie“.

:Mehr Ehre! Auch für die Lebenden
Franz Josef Strauß in die Walhalla und Markus Söder in die „Halle der Erwartung“ – neben Alfons Schuhbeck und Monika Gruber. Wenn das mal keine großartige Idee ist.
Dass Ludwig I. das Bewusstsein einer gemeinsamen deutschen Geschichte und Kultur wecken wollte, ist das eine. Es stecke aber noch ein zweiter Sinn in der Walhalla, sagt Hannelore Putz. Die Besucher sollen inspiriert werden, den Großen nachzueifern, was für Vorbilder wie Sophie Scholl, Max Planck, Edith Stein und Hannah Arendt uneingeschränkt gilt. „Die passen da rein. Das sind Menschen, denen man nacheifern kann. So schlecht ist der Gedanke nicht“, sagt Putz.
Trotzdem wirkt das Konzept eines nationalen Heldenpantheons nicht mehr zeitgemäß, umso mehr, als frühe Spuren des damals aufkeimenden deutschen Nationalismus zäh daran kleben. Auch wird die Walhalla heute primär als touristisches Ziel wahrgenommen, weniger als ein Ort, an dem Vorbilder zu entdecken sind. „Den Wunsch nach Erinnerung wird es trotzdem immer geben“, sagt Hannelore Putz. Die Frage ist nur, ob heute nicht lieber Fußballer, Schriftsteller und Musiker der Moderne den Rang all jener Feldherren und Germanenkrieger einnehmen sollten, die auf Ludwigs Liste schier überquellen.
Hegel, Nietzsche, Bonhoeffer – sie und viele andere berühmte Personen „teutscher Zunge“ finden sich hier nicht
Ungezählt sind all die Halls of Fame und Walks of Fame, wo den heutigen Zelebritäten aus Sport, Musik und Kultur gehuldigt wird. In diesem Sinne sind weltweit ganz eigene Erinnerungskulturen erwacht, ganz nach der Art des Promenadeplatzes in München, wo Fans das alte Orlando-di-Lasso-Denkmal in eine Michael-Jackson-Gedenkstätte umfunktionierten.
Vielleicht sollte man die Walhalla in erster Linie als Denkmal einer vergangenen Epoche begreifen und sie quasi einfrieren, was einst schon der Grünen-Abgeordnete Sepp Dürr gefordert hatte. Andernfalls wird die personelle Ausstattung weiterhin kritisch begleitet werden. Auf originelle Weise geschah dies vor Jahren, als hinter dem Haupt des Malers Rubens ein Manschgerl entdeckt wurde. Es trug die Gestalt des Staatsmanns Maximilian von Montgelas, den man als den Schöpfer des modernen Bayern rühmt. Leider war er ein Erzfeind Ludwigs I., der dessen Einzug in die Walhalla natürlich verhinderte. „Wenn je ein Bayer in die Walhalla reingehört hat, dann ist es der Minister Montgelas“, sagt vehement der Nachfahre Max von Montgelas.
Man könnte viele Namen nennen, die dort fehlen: Hegel, Nietzsche, Bonhoeffer … Wäre es also nicht überfällig, einfach ein paar Köpfe wegzunehmen, um Platz zu schaffen für modernere Heroen? Was haben Hugo de Groot, Maarten Tromp und Amalie Elisabeth von Hanau-Münzenberg, deren Namen die Zeit verschluckt hat, in der Walhalla zu suchen, während einer wie der geniale Physiker Joseph von Fraunhofer draußen steht?
Zumindest ein großer Gedanke der Gegenwart wohnt der Walhalla inne. „Kaum ein Ort auf der Welt könnte weniger deutsch sein“, sagte einmal der Kunsthistoriker Jörg Träger. Sie mag zwar den aufkeimenden deutschen Nationalismus verkörpern, aber auf ihre Weise ist sie durch und durch europäisch. Sie liegt an einem europäischen Fluss, nordisch klingt ihr Name, die Architektur glänzt griechisch-dorisch, die Idee entfernt französisch, die Büsten sind aus italienischem Marmor, und unter den Helden „teutscher Zunge“ finden sich Schweizer, Holländer, Balten, Österreicher und sogar Russen.
Im Guten wie im Schlechten spiegeln sich in dem Bauwerk die Träume des 19. Jahrhunderts sowie die Vision eines Königs, dessen Walhalla das wohl großartigste Zeugnis seines Scheiterns ist, wie es in dem Band „Geschichte des modernen Bayern“ so treffend formuliert ist.





















