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Boris-Becker-Tennisschule: Nach dem Größenwahn folgte die Insolvenz | ABC-Z

Ein Ball, ein einziger Tennisball. Dabei sollten dort, wo die gelbe Filzkugel an diesem Sonntag einsam liegt, eigentlich Hunderte im Sekundentakt durch die Luft fliegen. Plopp, plopp, plopp, plopp. Es ist ein herrlicher Vormittag Anfang September, kaum Wind, die Sonne scheint, es ist ein Tag wie gemacht zum Tennisspielen. Doch auf der Tennisanlage im Gewerbegebiet in Hochheim spielt niemand, überhaupt ist hier kein Mensch zu sehen, seit Wochen nicht.

Dabei wären die blauen Hartplätze, zumindest drängt sich durch die Absperrungen hindurch der Eindruck auf, der ideale Untergrund, um an diesem Spätsommertag Bälle zu schlagen. Auf einem Platz rollt eine leere Plastikdose, in der mal Tennisbälle waren, vom Wind getrieben vor und zurück, auf einem anderen scheint ein Spieler ein T-Shirt vergessen zu haben. Es muss Wochen her sein.

Denn das einstmals als größte Tennisanlage der Welt geplante Mammutprojekt in Hochheim steht beinahe still. Die Plätze sind leer, davor stehen seit Monaten provisorische Zäune. Die Boris Becker International Tennis Academy, benannt nach dem ehemaligen Weltklassespieler, startete 2019 als aufsehenerregendes Millionenprojekt, als fantastische Vision – und droht nun als Albtraum zu enden.

Größenwahn oder Pech?

Schon vor vier Jahren hätte die fünfeinhalb Hektar große Anlage fertig sein sollen, 21 Außen-, 18 Hallenplätze, ein Center-Court für mindestens 3000 Zuschauer, ein Viersternehotel, ein Boris-Becker-Museum, eine Schule: Die Initiatoren der Idee wollten keine kleinen Brötchen backen, sie dachten groß. Vielleicht zu groß?

Denn während eine Tennishalle mit acht Courts und einige Freiplätze fertiggestellt sind, ist der Rest der Anlage eine einzige, riesige Baustelle, die viele Bürger der Gemeinde Hochheim als Schandfleck bezeichnen. Im August kam es zu einem neuen Tiefpunkt des Projekts: Sowohl die Betreibergesellschaft der Anlage, die KD Tennis Academy GmbH, als auch die für Grundstück und Gebäude zuständige EDK Grundbesitz GmbH & Co. KG stellten einen Insolvenzantrag. Dort, wo eigentlich die Stars der Zukunft entdeckt und trainiert werden sollten, herrscht Trostlosigkeit.

Wie konnte es so weit kommen? Wer sich in Hochheim dazu umhört, am Weinprobierstand des Rheingauer Weinortes, beim örtlichen Tennisklub, auf dem Parkplatz des Supermarktes, der bekommt unterschiedliche Meinungen zu hören: Die einen sprechen von Größenwahn, die anderen von einem ungünstigen Zeitpunkt für das Vorhaben, das vor Beginn der Corona-Pandemie angestoßen wurde und dann unter den Folgen der Krise litt, vor allem unter den enorm gestiegenen Baukosten. Dabei gestaltet sich die Suche nach den tatsächlichen Gründen schwierig, die Lage ist unübersichtlich.

Rückblick: Im Dezember 2019 sitzt Khaled Ezzedine inmitten seiner Oldtimer-Sammlung in Mainz-Kastel an einem Konferenztisch und fragt den Journalisten gegenüber, wie groß der Zeitungsartikel über ihn denn werden würde. Eine Seite? Doch wohl eher zwei, oder? Dann präsentiert er seine verschiedenen Autos und schickt seine Assistentin Kaffee holen.

Wenige Tage zuvor hatte der ehemalige Pilot mit iranischen Wurzeln der Öffentlichkeit seine Idee präsentiert. Angeregt von großen Tennistrainingszentren auf Mallorca und in Nizza, wo seine Kinder trainieren, berichtet Ezzedine davon, in Hochheim etwas Ähnliches errichten zu wollen, nur größer natürlich.

Die Rede ist davon, dass auf den Hallen- und Außenplätzen eines Tages 270 Talente trainiert werden und die Eltern für Training, Schulunterricht und Unterbringung rund 60.000 Euro im Jahr bezahlen sollen. Die Vorstellung des Konzepts stößt auf ein gewaltiges Medieninteresse. Das liegt aber weniger an dem tennisbegeisterten Immobilienunternehmer als an jenem Mann, den er als Namensgeber für sein neuestes Projekt gewinnen konnte: Boris Becker.

Spaten statt Schläger: Boris Becker beim Spatenstich im Juni 2020.Wolfgang Eilmes

Den Tennisstar hatte Ezzedine, wie er wortgewaltig und detailreich schildert, in einem Telefonat davon überzeugen können, seinen Namen für das Projekt herzugeben, bei der Konzeption zu unterstützen und bei Medienterminen anwesend zu sein. Das Logo der Akademie ist seitdem in Hochheim allgegenwärtig. Es zeigt Boris Becker als Silhouette beim Aufschlag. Jeder, der den Mann einmal in seinem Leben hat Tennis spielen sehen, erkennt ihn sofort in diesem Motiv.

Im Juni 2020 erfolgt, abermals in Gegenwart Beckers, auf dem ehemaligen Gelände der Firma Tetra Pak der Spatenstich. Auf dem Foto sind neben Becker auch Ezzedine, sein Geschäftspartner Daniel Köhler sowie der Landrat des Main-Taunus-Kreises, Michael Cyriax (CDU), und Hochheims Bürgermeister Dirk Westedt (FDP) zu sehen. Wer will sich nicht gerne neben der Tennislegende Becker, die in lässiger Lederjacke erscheint, zeigen? Heute ist man bei der Stadt Hochheim zurückhaltender, Medienanfragen zur Akademie bleiben unbeantwortet.

Anvisierter Fertigstellungstermin für das 20-Millionen-Projekt soll, so heißt es am Tag des Spatenstichs, das erste Quartal 2021 sein. Becker verspricht, nicht jede Woche, aber möglichst oft vor Ort zu sein. Im Januar 2021 wird in der ersten von drei Tennishallen der Spielbetrieb aufgenommen. Ezzedine spricht von der modernsten Tennishalle der Welt. Die Spieler loben das Lichtkonzept und einen gelenkschonenden Belag, mehr aber auch nicht.

Entgegen den Ankündigungen, dass 2021 schon alles fertig sein soll, kommen die ersten Gerüchte auf. Wegen Corona, heißt es damals hinter vorgehaltener Hand, seien die Baukosten gestiegen, es kommt zum Wechsel des Architekturbüros, und zu allem Überfluss sitzt der Namensgeber zwischenzeitlich in einem Londoner Gefängnis. In Hochheim spricht man zudem davon, dass schon die erste Halle alles andere als ausgelastet sei, Hobbyspieler beklagen die hohen Preise.

In der Tennishalle wird seitdem zwar durchgängig gespielt, auch auf den ersten sieben Außenplätzen fliegen von September 2022 an Bälle. Gleichzeitig wächst nebenan ein riesiges Gebäude empor, das künftig ein Hotel der Marke Dorint, die Schule und ein sogenanntes Boardinghouse für die Tennis-Kids aus aller Welt enthalten soll.

Doch obwohl die beiden Geschäftsmänner Köhler und Ezzedine zwischenzeitlich den ehemaligen Daviscup-Spieler Alexander Waske und sein Team, bestehend aus mehr als einem Dutzend Tennistrainern, verpflichten und davon sprechen, es gebe jede Menge Vorbuchungen für die Akademie, wird das Projekt einfach nicht fertig.

Neue Probleme zu Beginn des Winters

Gerüchten und Verschwörungstheorien sind seitdem Tür und Tor geöffnet. „Hat man wirklich geglaubt, dass man ausgerechnet in Hochheim Tennisschulen in Nizza und auf Mallorca Konkurrenz machen kann?“, fragt ein Insider im Gespräch mit der F.A.Z. Während sich Kommunalpolitiker immer noch einen Imagegewinn für Stadt und Region erhoffen, ahnen andere schon vom ersten Tag an, dass das Projekt zu groß dimensioniert sein könnte.

Viele Gebäude sind nur halb fertig.
Viele Gebäude sind nur halb fertig.Lucas Bäuml

Seit inzwischen zwei Jahren ruhen die Bauarbeiten auf dem Gelände. Die Akademie und Tennislehrer Waske, einst Nummer 16 der Tennisweltrangliste, gehen schon nach wenigen Monaten der Zusammenarbeit wieder getrennte Wege.

Vor der nun beginnenden Wintersaison gibt es neue Probleme. Wegen der Insolvenz der Betreibergesellschaft sorgen sich viele Spieler darum, ob sie die teure Gebühr für ein Tennisplatz-Abo vorab überweisen sollen. Weil viele Tennisbegeisterte genau das wohl nicht tun dürften, ist anzunehmen, dass viele Plätze in der Tennishalle leer bleiben könnten.

Trotz Krise soll es weitergehen

Die Presseagentur von Insolvenzanwalt Jüchser bestreitet das: Nachdem Andreas Kleinschmidt, der vorläufige Insolvenzverwalter der KD Tennis Academy GmbH, die insolvente Betreibergesellschaft an eine neu gegründete Auffanggesellschaft verkauft habe, sei der Geschäftsbetrieb der Tennisanlagen gesichert, die Plätze gut ausgelastet.

Kleinschmidt selbst, Anwalt bei der Kanzlei White and Case, äußert sich nicht. Gerade professionelle Trainer, die normalerweise ein ganzes Kontingent an Plätzen buchen, haben sich nach Informationen der F.A.Z. entschieden, nach Alternativen zu suchen.

In einer Mitteilung lässt Insolvenzverwalter Alexander Jüchser von der Kanzlei Lieser wissen, dass Tennisstar Boris Becker mit der Insolvenz nichts zu tun habe, verweist nochmals auf die schlechten Rahmenbedingungen in der Baubranche. „Die derzeitige Situation am Immobilienmarkt lässt selbst solide Projekte ins Wanken geraten“, heißt es.

Die Außenplätze lagen zuletzt brach.
Die Außenplätze lagen zuletzt brach.Lucas Bäuml

Trotzdem soll es weitergehen. „Wir geben den Standort nicht auf, sondern werden ihn unter den neuen Bedingungen realistisch und lösungsorientiert weiterentwickeln“, erklärt Geschäftsführer Daniel Köhler. Was genau das heißt, bleibt offen. Derzeit sucht Insolvenzverwalter Jüchser einen Investor, mit dem die bisher begonnenen Bauprojekte ganz oder in Teilen umgesetzt werden können. Erste konstruktive Gespräche hätten bereits stattgefunden, heißt es.

Der Betreiber des Hotels auf dem Gelände, die Dorint Hospitality and Innovation GmbH, verweist auf den gültigen Pachtvertrag für das Dorint Hotel Frankfurt/Hochheim mit 112 Zimmern, einem teilbaren Tagungsbereich von insgesamt 500 Quadratmetern sowie einem Restaurant mit Bar.

„Bekanntlich verzögern sich die Baumaßnahmen, gleichwohl halten wir – auch nach Bekanntwerden der Insolvenz – an dem Standort fest“, sagt Stefanie Brandes, Chief Operating Officer bei der Kölner Hotelgruppe, gegenüber der F.A.Z. Man sei auf dem gleichen Wissensstand wie alle anderen Gläubiger. „Ob und wie es weitergeht, können wir daher zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen.“

Während an diesem sonnigen Tag auf der nahe gelegenen Anlage des hiesigen Tennisvereins alle Plätze bespielt werden, ist auf der Außenanlage der Tennisakademie niemand zu sehen: keine Spieler, keine Schläger, kein Ploppen. Nur der eine Ball liegt weiterhin auf der Baustelle, dort, wo mal der Center-Court vorgesehen war. Wie als Erinnerung an all die Träume und Visionen, die es für das Gelände einst gegeben hat.

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