Chips für Drohnen und Raketen: So hilft Indien Moskaus Kriegsmaschine | ABC-Z
Chips für Drohnen und Raketen
So hilft Indien Moskaus Kriegsmaschine
06.09.2024, 18:04 Uhr
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Nicht nur über China, auch über Indien deckt sich der Kreml zunehmend mit Mikroelektronik für seine Waffen ein. Geleakte Dokumente zeigen, dass der Subkontinent inzwischen unverzichtbare Schmuggelroute für Russland ist.
Nicht nur über China, auch über Indien deckt sich der Kreml zunehmend mit Mikroelektronik für seine Waffen ein. Geleakte Dokumente zeigen, dass Neu-Delhi inzwischen unverzichtbare Schmuggelroute für Russland ist – und westliche Sanktionen untergräbt.
Dass China seit Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine für russische Waffenhersteller zum wichtigsten Einkaufszentrum und die Volksrepublik damit zum offenen Unterstützer des Angriffskriegs geworden ist, ist spätestens seit dem Nato-Gipfel im Sommer amtlich. Doch seit dem Einmarsch hat der Kreml offenbar noch einen weiteren strategischen Versorgungsweg aufgetan: Auch in Indien kauft die russische Rüstungsindustrie heimlich Mikrochips und andere Elektronik, die für den Waffennachschub unverzichtbar sind. So steht es in geheimen Unterlagen aus dem russischen Staatsapparat, aus denen die britische “Financial Times” zitiert.
Schon im Oktober 2022 entwarf demnach das russische Industrie- und Handelsministerium, dem die Rüstungsbetriebe unterstellt sind, streng geheime Pläne, um mit den “erheblichen Reserven” aus dem russischen Ölverkauf in Indien Mikrochips und andere elektronische Bauteile für Putins Panzerbauer, Raketenfabriken und Drohnenproduzenten zu beschaffen und so die westlichen Sanktionen zu umgehen. Umgerechnet rund eine Milliarde Dollar sollen für die geheimen Käufe auf dem Subkontinent vorgesehen gewesen sein, den Moskau als alternativen Markt für essenzielle Rüstungsgüter zu erschließen versucht, die bis zur Zeitenwende aus dem Westen geliefert wurden.
Alexander Gapanov, stellvertretender Leiter der Abteilung Radioelektronik im Moskauer Ministerium, soll den Auftrag für die Beschaffung der kritischen Komponenten in Indien erteilt haben. Das angewiesene Industriekonsortium, laut westlichen Geheimdiensten eine Tarnorganisation für Putins Spione, rapportierte demnach pflichtschuldig, man habe “spezifische Pläne” mit der russischen Rüstungsindustrie und “Vertretern der relevanten indischen Staats- und Privatbetriebe” entwickelt, um die russischen Öl-Rupien in Indien kriegsförderlich anzulegen.
“Geschlossenes Zahlungssystem”
Laut den Unterlagen ging es darum, ein “geschlossenes Zahlungssystem zwischen russischen und indischen Firmen aufzubauen”, um eine Lieferkette für kriegswichtige Dual-Use-Güter zu schaffen – Bauteile für “Telekommunikation, Server und andere komplexe Elektronikausrüstung”. Laut einem indischen Geschäftsmann, der an dem Geheim-Handel beteiligt war, ging es auch um einfache Elektrogeräte wie Waschmaschinen oder Kühlschränke. “Man konnte sie entweder exportieren oder die Elektronik rausnehmen und nach Russland schicken”, zitiert die Zeitung den Mann.
Gleichzeitig sollen die Planer in Moskau sogar bereits an russisch-indischen Elektronik-Joint-Ventures und eigenen Produktionskapazitäten für russische Bauteile in Indien gewerkelt haben. Natürlich inoffiziell: detaillierte Schritte, um “Informationen über die Beteiligung russischer Personen und Firmen sowie die Logistik der Beschaffung über Drittländer zu verbergen”, seien bereits unternommen worden.
Mit der Lieferkette auf dem Subkontinent will Moskau offenbar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: den Waffennachschub sichern und Russlands Öleinnahmen für die Kriegswirtschaft nutzbar machen. Denn Indien ist zwar seit Kriegsbeginn zu einem der wichtigsten Abnehmer für russisches Öl weltweit geworden, der Handel mit Moskau hat sich seit der Invasion verfünffacht. Doch ein Großteil wird in Rupien abgewickelt – und der Kreml hatte aufgrund westlicher Finanzsanktionen Schwierigkeiten, die Überschüsse nach Russland zurückzubringen. So konnten sie gleich dort bleiben, wo sie geschöpft wurden.
Rupien-Konten für russische Kunden
Mit dem Aufstieg zur zweiten großen Drehscheibe der russischen Kriegswirtschaft gerät Indien immer mehr in den diplomatischen Konflikt mit den USA und Europa. Denn während sich Indien zum stillen Rüstungspartner des Kreml entwickelte, schloss es parallel dazu im vergangenen Jahr auch weitreichende Kooperationsverträge mit Washington. Der stellvertretende US-Finanzminister sendete deshalb im Juli deutliche Warnsignale an indische Industrieverbände: “Jedes ausländische Finanzinstitut, das Geschäfte mit Russlands Militärindustrie macht, läuft Gefahr sanktioniert zu werden.”
Faktisch ist Indien bereits wie China auf dem Weg vom stillschweigenden Nutznießer zum Unterstützer der Kriegspolitik des Kremls. Wie wichtig der industrielle Rückzugsort an der Südflanke für Putins Reich inzwischen geworden ist, stellte in dieser Woche Anatoli Popow klar: Russlands Handel und Finanzströme mit Indien würden trotz westlicher Sanktionen florieren, vermeldete der Vize-Chef des russischen Finanzriesen Sberbank triumphierend.
Die Sberbank sei voll ins indische Zahlungssystem integriert, es gebe keinerlei Störungen und man eröffne ohne Probleme Rupien-Konten für russische Kunden. Die indische Währung könne womöglich bald sogar Reserve-Währung werden, deutete Popow an. Indien sei eine große, unabhängige Wirtschaftsnation. “Alles, was Russland zuvor importiert hat, kann in Indien gekauft werden.”