Gigantischer Sold lockt – aber der Vertrag hat einen Haken | ABC-Z

Junge Männer werden von zivil gekleideten Trupps aus Häusern gezerrt und in ungekennzeichnete Vans geschleppt. Aufgebrachte Mitbewohner versuchen, das zu verhindern. Auf der Straße werden Männer im passenden Alter eingefangen. Derartige Videos gehen im Netz viral: So soll Rekrutierung in der Ukraine laufen. In Russland geht die Rekrutierung neuer Soldaten ganz anders: mit viel Geld.
Beispiel: Tatarstan, die östlichste, gerade noch europäische Republik Russland, wirbt im Internet für neue Vertragssoldaten. Die Website ist modern aufgemacht, viele bunte Bilder und markige Sprüche: „Vertragsdienst ist ein ehrenvoller Job für Willensstarke. Prestige, Respekt und privilegierter Status, hohes Einkommen, Arbeit in einem starken Männerteam erwarten diejenigen, die keine Angst haben.“ Und weiter: „Der Militärdienst ist Sache echter Männer. Heute ist es an der Zeit, sich gegen den Feind zu vereinen. Ihr seid die zukünftigen wahren Helden Tatarstans!“
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Ukraine-Krieg: Russland zahlt Soldaten 22.000 Euro bei Vertragsunterzeichnung
Dann geht es gleich weiter zur Bezahlung. Zwei Millionen Rubel, umgerechnet rund 22.000 Euro, gibt es bei Vertragsunterzeichnung, Geld vom russischen Verteidigungsministerium, der Regionalregierung und der jeweiligen Kommune. Ein Truppführer verdient etwa 2600 Euro im Monat, ein normaler Schütze immerhin 2.200 Euro. Gute Gehälter für russische Verhältnisse. Dann kommen die Zulagen: 90 Euro Tagegeld in der Kampfzone, 550 Euro für jeden Kilometer, den die Einheit vorrückt. 5500 Euro bringt die Zerstörung eines Leopard-Panzers aus Deutschland, für die Eroberung gibt es das Doppelte. Dazu viele Sozialleistungen für die jeweilige Familie. Derzeit besonders gesucht: Dohnenpiloten. „Ein Drohnenpilot ist ein wertvoller Fachmann, von dem die gesamte Kampfarbeit einer Einheit abhängt. Diese Stelle ist derzeit eine der gefragtesten“, so die Website. „Melden Sie sich an“, steht auf dem roten Button. Und das machen viele, nicht nur in Tatarstan.
In der Region Swerdlowsk im Ural erhalten Soldaten bei der Vertragsunterzeichnung sogar 27.000 Euro. „Die Region bietet Soldaten und ihren Familien außerdem weitere Vorteile, darunter die bevorzugte Gasversorgung ihrer Häuser, kostenlose Ferien für Kinder in Gesundheitslagern an der Schwarzmeerküste“, berichtet die staatliche Nachrichtenagentur Tass. In den reichen Regionen Russlands sind die Zahlungen noch höher. In Moskau zum Beispiel summiert sich der Verdienst im ersten Jahr auf insgesamt fast 60.000 Euro.
Russische Armee hat keinen Mangel an Soldaten
An Soldaten hat die russische Armee keinen Mangel. Laut Dmitri Medwedew, dem stellvertretenden Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates, seien seit Anfang 2025 fast 175.000 neue Vertragssoldaten in Militäreinheiten eingetroffen. 2024 hätten innerhalb eines Jahres fast 440.000 Menschen Verträge unterzeichnet. Mehr als genug für den Krieg in der Ukraine. Manche Regionen würden die Einmalzahlungen für neue Soldaten bereits wieder reduzieren, berichtet das Portal „vedomosti.ru“.
Neben dem hohen Sold haben Vertragssoldaten viele weitere Vorteile: zweimal im Jahr Heimaturlaub, Versicherungen, günstige Kredite für den Kauf einer Wohnung, für bereits bestehende Kredite müssen während der Dienstzeit keine Zinsen gezahlt werden. Günstige Studienplätze für die Kinder sind auch im Paket – und wer 20 Jahre dabeibleibt, erhält eine Militärrente.
Der Kriegseinsatz in der Ukraine lohnt sich finanziell für die russischen Soldaten. Doch sehr viele kehren von der Front nicht zurück.
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Russlands Soldaten: Tod an der Front ist klar geregelt
Der Haken: Der Vertrag läuft bis Ende des Krieges in der Ukraine. Vorzeitig aussteigen kann man nicht. Auch der Tod an der Front ist klar geregelt. Nach einem Dekret von Präsident Wladimir Putin erhält die Familie eines Gefallenen fünf Millionen Rubel, rund 55.000 Euro. Für schwere Verletzungen mit Behinderungen gibt es eine Einmalzahlung von rund 27.000 Euro und eine monatliche Rente von 150 Euro. Wie viele russische Soldaten bereits im Krieg starben oder zu Invaliden wurden, darüber gibt es keine offiziellen Zahlen. Rund 900.000 sollen es sein, davon sprach im April ein ranghoher Nato-Beamter in Brüssel. Diese Zahl scheint weit überhöht. Mit Stand Mai 2023 haben Rechercheure und Datenjournalisten der Portale „Meduza“ und „Mediazona“ eine Vielzahl von Quellen und Statistiken ausgewertet. Damals kam man auf Verluste von rund 125.000 Mann. Der Kreml wollte diese Zahl nicht kommentieren.
Der Soldatenberuf in Russland scheint lukrativ. Die Kehrseite, Tod und Behinderung, blenden die meisten aus, die den Vertrag unterschreiben. Auch über die psychischen Folgen von Kampfeinsätzen wird weitgehend geschwiegen. Viele Soldaten leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Eine psychische Erkrankung, die Soldaten aller Armeen trifft. Auch viele Bundeswehrsoldaten, die aus dem Afghanistan-Einsatz zurückgekehrt sind, leiden darunter. Posttraumatische Belastungsstörungen seien bei Russlands Soldaten an der Tagesordnung, so die Psychologin Tatjana Kowalenko. „Schlafstörungen, Essstörungen, unerklärliche Aggression oder Gleichgültigkeit gegenüber Familie, Arbeit, Rückzug, Sinnlosigkeit im Leben, Alkoholsucht.“
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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Häusliche Gewalt durch Soldaten auf Heimaturlaub ist an der Tagesordnung. Unerklärbare Gewaltexzesse, Morde gar, finden immer häufiger statt. Kehren nach Kriegsende Hunderttausende in die Heimat zurück, wird dies zum Problem für die russische Gesellschaft werden. Ex-Soldaten, die traumatisiert sind und plötzlich sehr viel weniger Geld verdienen, Privilegien verlieren, all dies wird zu mehr Gewalt, zu mehr Kriminalität führen, befürchten viele in Russland.















