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Sporterfahrungen in Bayern: Ein Blick auf den Sportunterricht – Sport | ABC-Z

„Die ersten richtig negativen Erfahrungen, die ich mit Sport und vor allem Gruppensport gemacht habe, waren im Fußballverein bei mir im Ort. Ich erinnere mich an die ganzen Väter am Spielfeldrand, die aus ihren Söhnen die nächsten Profis machen wollten. Da waren wir sieben, acht Jahre alt. Ich hatte immer das Gefühl, hier geht es nicht um Spaß. Irgendwann hat mir der Trainer ins Gesicht gesagt, ich sei so schlecht, dass ich jetzt immer auf der Bank sitzen sollte. Ungefähr zur gleichen Zeit ist mein Trainer beim Judo nicht mehr mit mir klargekommen. Ich war einfach ein Kind, das viel Quatsch gemacht hat. Der Trainer hat dann gesagt, ich sei hyperaktiv, hat mich in die Kabine geschickt, wo ich warten sollte, bis die Trainingsstunde zu Ende war. Seitdem bin ich nicht mehr in einem Sportverein gewesen.

Und dann kam der Übertritt auf das Gymnasium. Ich bin relativ neutral in den Sportunterricht in der fünften Klasse gegangen, aber ich habe mich schnell unwohl gefühlt. Das Problem war, dass im Sportunterricht fast immer nur Fußball gespielt wurde, was ich nicht mochte. Ich hatte keinen Draht zu den Fußballjungs, die waren mir alle suspekt. Turnen fand ich auch schlimm: Vor der ganzen Klasse über einen Bock springen oder sowas. Rückblickend würde ich sagen: Im Schulsport wurden mir weder Bewegung noch Spaß am Sport nähergebracht, es haben sich eher meine schlechten Erfahrungen aus den Sportvereinen bestätigt. Mir wurde immer zu verstehen gegeben, dass das, was ich fabriziere, nicht gut genug ist. Das war im Verein so und im Schulsport auch. Für mich war dann Sport immer damit verbunden, etwas falsch zu machen. Also habe ich lieber gar nichts gemacht. Ich hatte Angst, sonst nur ausgelacht zu werden.

So wurde ich in die Rolle des unsportlichen Klassenclowns gedrängt, und die habe ich halt angenommen, obwohl ich gar nicht so unsportlich war. Ich habe angefangen, nicht mitzumachen und den Unterricht aktiv zu stören. Ich war kein Kind, das geschwänzt hat. Ich war immer anwesend und habe nur versucht, mich so wenig wie möglich zu betätigen. Entweder habe ich mich versteckt oder mich bemüht, besonders schlecht mitzumachen. Und irgendwann haben mich die Sportlehrer auch so abgestempelt. Nach dem Motto: Ah, der Störenfried macht eh nie mit, dann muss ich mich auch gar nicht mit dem herumschlagen. Ich wurde beiseite gestellt und nicht mehr ganz ernst genommen. Irgendwie habe ich es meistens geschafft, im Zeugnis eine Zwei oder Drei zu bekommen. Das hat mich aber trotzdem genervt, weil ja eigentlich alle Jungs immer eine Eins hatten.

Es hat nur ein Sportlehrer geschafft, mich mal für eine Übung zu motivieren, der Herr Nagel, ein richtiger Pädagoge. Der wollte, dass seine Schüler Sport mögen. In der sechsten oder siebten Klasse mussten wir über einen kleinen und einen großen Bock springen. Ich hatte Angst, vor allen Augen zu verkacken, aber der Herr Nagel hat das irgendwie durchschaut und mich ermutigt. Ich bin dann losgerannt und er hat mich dann über den Bock geführt. Dann habe ich auch gecheckt, dass das nicht so schwer ist und hatte plötzlich richtig Spaß am Bockspringen. Nach dem Schuljahr ist Herr Nagel in Rente gegangen, danach hatten wir nur noch so Sportlehrer, die auf Kumpel mit den Fußballjungs gemacht haben.

Ich hatte immer das Glück, dass ich zu den Coolen gehörte. Deshalb wurde ich auch nie ausgelacht oder gemobbt, wie es anderen Schülern passiert ist. Wenn überhaupt, habe ich mitgemobbt. Mir blieb es zum Beispiel immer erspart, als Allerletzter gewählt zu werden. Irgendein Kumpel hat mich dann schon irgendwann in sein Team geholt.  Aber ganz ehrlich: Wählen ist wirklich so scheiße, das ist Mobbing. Wieso macht man nicht einfach zufällige Teams?

In den vergangenen zehn Jahren habe ich eigentlich gar keinen Sport gemacht. Ich war mal im Gym, mal Kicken – aber das könnte ich an einer Hand abzählen. Ich habe mich immer geschämt, vor anderen Sport zu machen. Das hat sich auch außerhalb oder nach der Schule nicht wirklich geändert. Ich habe mich geschämt, mit anderen ins Gym zu gehen. Das war ja so der Klassiker: Dass ein Kumpel ins Gym geht, sagt, hey, komm doch mit, aber für mich war das eine krasse Überwindung. Eigentlich hat sich das erst im Studium, also vor ein paar Jahren, gebessert. Da habe ich dann irgendwann mal einem Kumpel erzählt, dass ich eigentlich keinen Sport mache, und was die Gründe dafür sind. Und dieser Kumpel, ein sehr direkter Typ, hat dann beschlossen, komm, wir gehen jetzt mal zum Main, und ab dann wurde es immer besser. Und ich bin viel gelaufen und spazieren gegangen. Zwei, drei Stunden lang.

Irgendwann bin ich dann mal mit demselben Kumpel zum Wandern gegangen. Das hat mir Spaß gemacht, ganz entspannt in den Bergen spazieren zu gehen, ohne Leistungs- oder Wettbewerbsgedanken. Da habe ich gemerkt, dass ich mich ja eigentlich gerne bewege, und dass meine Angst vor Sport eigentlich nur eine vor dem Drumherum ist. Kürzlich habe ich mir zum ersten Mal Laufschuhe gekauft, und jetzt möchte ich mal bei einem Running Club mitlaufen, also vor anderen Sport machen. Das ist der nächste Schritt. Ich hoffe wirklich, dass sich dadurch die Blockaden bei mir lösen.“

Alex, Mitte 20, besuchte bis zur Oberstufe ein Gymnasium in Bayern. Heute arbeitet er bei einem Berliner Start-up im Digitalbereich.

„Es ging nur um diese eine Zahl in der Tabelle. Das war sehr frustrierend.“
„Es ging nur um diese eine Zahl in der Tabelle. Das war sehr frustrierend.“ (Foto: Archivfoto: Michael Gottschalk/oh)

„Ein Sportlehrer ist in die Mädchenkabine gekommen, ohne vorher anzuklopfen“

„Ich bin insgesamt nicht super ungern in den Sportunterricht gegangen. Mein Eindruck war immer, dass die Lehrkräfte halt einen Lehrplan haben, dem sie folgen müssen und dass sie da auch gar nicht so viel Spielraum haben. Trotzdem gab es Momente, die ich echt schwierig fand. Beim Thema Periode zum Beispiel: Wir konnten uns zwar schon krankmelden, aber mit der Begründung, dass wir die Periode haben, ging das dann nur einmal im Monat. Dabei hat die Periode bei einigen Mädchen auch mal zwei Wochen gedauert oder ist mehrmals im Monat vorgekommen, weil sich der Zyklus in der Pubertät ja häufig auch noch einpendelt.

Aber das eigentlich Krasse war, wie das sowohl von Lehrern als auch von Lehrerinnen kommentiert wurde und häufig einfach als Ausrede abgestempelt wurde, weil jemand angeblich nicht mitmachen wollte. Dann hattest du total schnell einen schlechten Ruf. Dabei gehören zur Periode ja nicht nur das Bluten, sondern auch die irren Bauch- und Rückenschmerzen, oftmals über einen längeren Zeitraum. Aber dafür gab es überhaupt kein Verständnis. Es wurde sogar genau dokumentiert, wer mit angeblichen Periodenschmerzen wie oft gefehlt hat. Das war in der Pubertät echt hart.

Woran ich mich auch erinnere, war ein Sportlehrer an unserer Schule, der immer durch unsere Umkleide in die Sporthalle gegangen ist. Wir dachten immer, okay, das ist halt der kürzeste Weg, bis uns irgendwann einer der älteren Schüler mal gesteckt hat, dass der das nur bei den Mädchen macht. Teilweise hat der nicht mal geklopft und damit, na ja, in Kauf genommen, nicht bekleidete Mädchen zu sehen.

Was ich inhaltlich immer sehr cool fand, waren die erlebnispädagogischen Elemente im Sportunterricht. Die ganzen Spiele, die man in der Unterstufe gemacht hat, als es eine Storyline gab, sowas wie: Da hinten ist der Wald, das waren die Sprossenwände, da drüben ist das Meer, das waren dann ein paar Matten, und dann mussten wir in dieser Welt irgendwelche Aufgaben lösen. Das war abenteuerlich, man hat gar nicht bemerkt, dass die eigentliche Idee dahinter war, sich zu bewegen, Sport zu treiben.

Ich bin schon immer eine gute Läuferin gewesen, auch damals. In der Oberstufe wäre ich aber fast mal wegen Leichtathletik durchgefallen. In einem der vier Halbjahre hatte ich null Punkte, weil ich beim Kugelstoßen einfach nicht die Weite geschafft habe. Ich weiß noch genau, ich hätte sechs Meter weit stoßen müssen, aber Technik, Bemühen oder Verbesserung, das hat in der Note überhaupt keine Rolle gespielt. Es ging nur um diese eine Zahl in der Tabelle. Das war sehr frustrierend.

Geschwänzt habe ich eigentlich nie, nur ab und zu den Schwimmunterricht. Das war schade, weil ich immer total viel Spaß am Schwimmen hatte, bis wir irgendwann Kraulen gemacht haben. Das konnte ich einfach nicht. Außer mir ging das noch zwei oder drei anderen so, wir wurden dann immer in eine Ecke vom Becken oder in ein anderes Becken verbannt, ins sogenannte Bootcamp. Das war mega unangenehm für uns, wir waren da auch schon 15, 16 Jahre alt. Eine Freundin von mir, die sehr, sehr gut im Kraulen war, wurde dazu verdonnert, uns das Kraulen beizubringen. Sie hatte da gar keinen Bock drauf, wäre lieber ihre Bahnen mit den anderen geschwommen; und ich hatte natürlich auch keinen Bock.

Freunde von mir nehmen inzwischen an Triathlons teil, aber für mich ist das überhaupt keine Option, weil ich Schwimmen bis heute so furchtbar finde. Sobald ich das Chlor nur rieche, vergeht mir schon die Lust.“

Lisa, 25 Jahre alt, machte ihr Abitur an einem Würzburger Gymnasium. Heute arbeitet sie in Berlin in einer Werbeagentur.

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