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Nazi-Vergangenheit des deutschen Sports: „Man kann aus der Hall of Fame ja auch keine Hall of Shame zeugen“ – Sport | ABC-Z

Das Dilemma, von dem nun in Berlin ständig die Rede war: Es war den Initiatoren der „Hall of Fame des deutschen Sports“ schon bei deren Gründung vor fast 20 Jahren bewusst. Wie bitteschön soll das friktionsfrei gehen: eine Ruhmeshalle deutscher Sporthelden zu schaffen, wo doch der Sport auf deutschem Boden gleich von zwei Diktaturen geprägt und auch instrumentalisiert wurde, erst im Dritten Reich, später dann in der DDR?

Hans Wilhelm Gäb, der damalige Aufsichtsratsvorsitzende der Stiftung Deutsche Sporthilfe, selbst Jahrgang 1936, nannte das Projekt bereits 2006, als die „Hall of Fame“ feierlich aus der Taufe gehoben wurde, „aufgrund der Geschichte Deutschlands eine besondere Herausforderung“. Damals wurden die ersten 40 Athletinnen und Athleten aufgenommen, die meisten posthum – 29 von ihnen hatten ihre herausragenden sportlichen Leistungen vor, während oder kurz nach der Nazizeit vollbracht, als der weltumspannende Leistungsvergleich erst so richtig in Mode kam. Der Boxer Max Schmeling und der einstige Reichs- und spätere Fußball-Bundestrainer Sepp Herberger waren ebenso dabei wie Cilly Aussem, 1931 die erste deutsche Wimbledonsiegerin. Die Integrität jedes einzelnen Geehrten habe man geprüft, sagte Gäb damals, „nun stellen wir uns der Kritik“.

Am Montagvormittag, fast 20 Jahre später, stellte sich die Sporthilfe – neben dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und dem Verband Deutscher Sportjournalisten (VDS) einer der Träger der „Hall of Fame“ – der Kritik in der Bundespressekonferenz in Berlin. Auf dem Podium: die fünf Vertreter einer Expertenkommission, die in den vergangenen Monaten der Frage nachgegangen war, ob man einzelne Geehrte vielleicht besser wieder hinauswerfen sollte aus der Ruhmeshalle.

Ein Beitrag in der „Süddeutschen Zeitung“ hatte den Ausschlag für die Neubewertung gegeben

Die Empfehlung, die unter den beauftragten Historikern allerdings nicht unumstritten war: Nein, sollte man nicht. Doch so, wie die „Hall of Fame“ bisher daherkommt, kann sie auch nicht bleiben. Selbst wenn die Herausforderungen den Initiatoren um den im April 2025 gestorbenen Gäb damals bewusst waren: Die konkreten Schritte, die notwendig gewesen wären, um den Ansprüchen gerecht zu werden, sind sie damals nicht gegangen.

Im März 2024 hatte der Historiker Armin Jäger in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung dargelegt, dass nicht etwa fünf der ersten Hall-of-Fame-Geehrten Mitglieder der Hitler-Partei NSDAP waren – sondern 15. Darunter auch zwei der größten deutschen Sporthelden überhaupt: Hans Günter Winkler, zwischen 1956 und 1976 unter anderem auf der legendären Stute Halla fünfmaliger Olympiasieger im Springreiten – und Aussem. Aber auch Gustav Schäfer, Ruder-Olympiasieger von 1936, oder der 30-malige Schwimmweltrekorder Erich Rademacher.

Die „Hall of Fame“ ist ein rein digitales Konstrukt, sie hält das Gedenken an die deutschen Sporthelden wach, indem sie ihre Erfolge und biografischen Wegmarken an einem zentralen Gedenkort sammelt. Und eigentlich lautet der Anspruch, dort auch Brüche und Widersprüche offenzulegen. Doch nun stellte sich heraus, dass die Geschichten einer ganzen Reihe von Geehrten nur sehr unvollständig erzählt waren.

Die drei Träger beauftragten daraufhin den Sporthistoriker und Journalisten Erik Eggers, so umfassend wie möglich für Klarheit zu sorgen. Nicht nur mittels Recherchen im Bundesarchiv, wo die NSDAP-Zentralkartei inzwischen digitalisiert vorliegt, sondern auch in regionalen Archiven, wo die Entnazifizierungsakten vieler Betroffener lagern, sowie in historischen Publikationen. Auch auf Unterlagen, die Jäger für seine SZ-Recherche bereits gehoben hatte, griff Eggers zurück. Im Anschluss hat Eggers dann die fraglichen Biografien auf der Hall-of-Fame-Website auf den aktuellen Forschungsstand gebracht.

Der ehemalige Fechter Max Hartung ist inzwischen Sprecher des Sporthilfe-Vorstands.
Der ehemalige Fechter Max Hartung ist inzwischen Sprecher des Sporthilfe-Vorstands. (Foto: Kenny Beele/Imago)

Die entscheidende Frage, sagte am Montag Max Hartung, der Sprecher des Sporthilfe-Vorstands, sei aber nun, „wie wir diese neue Faktenlage bewerten“. Womit man wieder mittendrin war im Dilemma: Wie soll man aus heutiger Perspektive moralisch über Menschen urteilen, die ihre Entscheidungen vor 80 oder gar 100 Jahren in ganz anderen politischen Realitäten getroffen haben?

Offenkundig am leichtesten machte es sich da Hans Joachim Teichler, der früher den Arbeitsbereich Sport-Zeitgeschichte an der Universität Potsdam leitete. Sportler seien immer Teil von Systemen, sagte er, und man verlange von ihnen „schon übermäßiges Heldentum“ mit der Erwartung, „dass sie Angebote, die diese Systeme ihnen machen, ablehnen“. Eggers hingegen machte keinen Hehl daraus, dass er für den Ausschluss von drei Mitgliedern plädiert habe. Und zwar des Radrennfahrers Gustav Kilian, der sich noch lange nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs lobend über einen SS-Arzt geäußert hatte, sowie des Ruderers Gustav Schäfer, eines ziemlich überzeugten Nationalsozialisten. Und schließlich des Rudertrainers Karl Adam – allerdings aus anderem Grund: Adam hatte noch 1975 dafür plädiert, jeder Athlet solle selbst entscheiden, ob er Steroide nehmen will oder nicht. Die Haltung zu Doping und die Frage, wie man auf diesem Feld eigentlich jemals Klarheit erlangen will: Noch so ein Thema, das eine Ruhmeshalle in der Problembranche Leistungssport zwangsläufig zu einem schiefen Gebäude macht.

Soll sich der Sport einfach „jener Teile entledigen, die er für kompromittierend hält“?

Warum der Expertenkreis dennoch keinen einzigen Ausschluss empfahl, machte Jutta Braun vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam deutlich: weil man die offenkundigen „Geburtsfehler“ einer Hall of Fame nachträglich schwer korrigieren könne. Was sei damit gewonnen, fragte Braun, wenn sich der Sport nun „jener Teile entledigt, die er für kompromittierend hält“? Und wo wolle man da die Grenze ziehen? Etwa beim Dressurreiter, Unternehmer und NSDAP-Mitglied Josef Neckermann, der im Dritten Reich nachweislich von Enteignungen profitierte? Neckermann war es, der 1967 die Sporthilfe gründete. Seine Hall-of-Fame-Biografie sei weiterhin zu unkritisch, sagte Braun und forderte die Stiftung auf, da dringend nachzuarbeiten. „Aber wir können aus der Hall of Fame auch keine Hall of Shame machen“, sagte Braun, eine Halle der Schande. Ihr Alternativvorschlag: „Die Leute drin lassen, den Forschungsstand updaten, kritisch kommentieren“. Und die „Hall of Fame“ zu einem „Bildungsort“ machen statt zu einem Werkzeug der Heldenverklärung.

Oder sie gleich ganz umbenennen? Etwa in „Erinnerungsort des deutschen Sports“? Dazu wird es wohl eher nicht kommen. Aber Max Hartung kündigte an, man werde über nötige Konsequenzen jetzt diskutieren.

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