Kultur

Projekt mit Sängerin Patti Smith: Vernehmen, wie das Eis bricht | ABC-Z

„Cry of the Lost“. Düster und mahnend liest Patti Smith ihr gleichnamiges Gedicht, eine Ballade über den Zustand der Welt, das Aussterben der Arten und den drohenden Klimakollaps. Ein Klangteppich aus Soundclustern unterlegt ihre Stimme, dazu sind Unterwasser-Feldaufnahmen von Schalldruckwellen zu hören, die von Schiffen aus mit Kanonen in den Ozean geschossen werden, um Ölvorkommen zu erkennen. Mit gravierenden Auswirkungen auf das Ökosystem, vor allem auf die Orientierung von Walen und Delfinen.

Ein weiteres Gedicht ist „Prince of Anarchy“, eine Hommage von Smith an den russischen Fürsten, Naturwissenschaftler, Philosophen und Anarchisten Pjotr Kropotkin (1842–1921), der sich für eine Gesellschaft ohne Gewalt und Herrschaft einsetzte. Smith spricht darin über die Auswirkungen der Gletscherschmelze. Dazu ist das Brechen von Eis zu hören. Es sind Klänge des französisch-amerikanischen Künstlers Stéphan Crasneanscki, Gründer der Kunstplattform Soundwalk Collective. Er komponiert mit Feldaufnahmen und Stimmen Klanglandschaften. Daraus entsteht ein Soundtrack zum Klimawandel.

Beide Gedichte sind derzeit in Berlin zu hören, über einen QR-Code unterhalb des anlässlich der Berlin Art Week eröffneten Billboards der n.b.k. an der Ecke Friedrichstraße und Torstraße mit einer Collage des Soundwalk Collective.

Crasneanscki, der für ein paar Tage nach Berlin gekommen ist, wo er seit zehn Jahren neben New York ein zusätzliches Atelier betreibt, erklärt im Interview das Bild, eine Collage des handgeschriebenen Gedichts „Cry of the Lost“ von Patti Smith: „Dahinter liegen Satellitenaufnahmen der Nasa, die das Abbrechen des Eises in Grönland zeigen. Der Wolf darunter erinnert mich an Sibirien, denn das Schmelzen des Eises legt auch Tiere frei, die seit Millionen von Jahren gefroren sind.“ Eingefügt sind handschriftliche Notizen von Jean-Luc Godard, mit dessen Archiv das Soundwalk Col­lective ebenfalls arbeitet.

Die Installation

„Cry of the Lost | Prince of Anarchy“. nbk, bis 22. Februar 2026

Kennengelernt hatten sich Crasneanscki und Patti Smith durch einen Zufall. In einem Anschlussflug von Paris nach New York saßen sie nebeneinander, und der 1969 nahe Grenoble in den französischen Alpen geborene Crasneanscki, der seit Mitte der 1980er Jahre in New York lebt, erzählte ihr von seinem Projekt, weltweit Klänge bedrohter Arten und Landschaften zu sammeln, als „Archiv akustischer Erinnerungen“.

Wenige Tage später trafen sie sich in New York, und so entstand vor zwölf Jahren das fortlaufende gemeinsame Projekt „Correspondences“. In diesen „Briefwechseln“ schickte Crasneanscki, der mit dem Produzenten Simon Merli das „Soundwalk Collective“ betreibt, das bisher unter anderem auf der documenta, im Centre Pompidou und auf der Manifesta ausstellte und auch mit Künst­le­r*in­nen wie Nan Goldin zusammenarbeitet, Patti Smith Feldaufnahmen der von ihm bereisten Orte, die das Aussterben der Arten dokumentieren.

„Die Orte der Feldaufnahmen setzen in gewisser Weise eine Klanglandschaft frei, die ich mit Patti ins Studio bringe“, so Crasneanscki. „Sie hat sich die Aufnahmen angehört und dazu Gedichte geschrieben.“ Auf dieser Basis entstehen dann die Kompositionen.

Klängen wie in der Malerei schichten

Bisher sind zwei gemeinsame Alben erschienen. Parallel dazu entwickelte das Soundwalk Col­lective ein multimediales Konzept mit Nasa-Fotografien, handschriftlichen Notizen und Filmaufnahmen.

Eine Collage aus diesen Bildern wurde zum jeweiligen Albumcover. So auch für ihre dritte Zusammenarbeit „Correspondences #3“, die jetzt unter dem Titel „Cry of the Lost | Prince of Anarchy“ das Bill­board des n.b.k. bildet. Es ist eine Vorab-Berlin-Premiere des Albums. Bisher kann man auf gängigen Streaming-Plattformen die vorangegangenen Alben „Correspondances #1 und #2“ hören.

Crasneanscki studierte Kunst und Malerei. Das Schichten von Klängen vergleicht er mit Malerei, die Feldaufnahmen seien seine Palette. Mit dem Soundwalk Collective lote er die erzählerischen Möglichkeiten dieser Klänge aus. Allein in den letzten 80 Jahren seien 70 Prozent des Ökosystems verschwunden, sagt er. „Wo ich auch hinreiste, ob im Amazonas-Regenwald, in Afrika und auch in Europa, es bedeutet auch, das 70 Prozent der Geräusche, die es dort früher gab, heute nicht mehr da sind.“ So ist das Billboard als Requiem der verlorenen Klänge zu lesen, als Soundtrack einer verlorenen Erinnerung.

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