Politik

Heidi Reichinnek bei Caren Miosga: Linken-Politikerin gibt Takt vor | ABC-Z

Schadet linke Politik unserem Wohlstand? Das wollte Caren Miosga am Sonntagabend von der Fraktionsvorsitzenden der Linken, Heidi Reichinnek, wissen. (Und sind die Linken eigentlich auch Schuld am Aufstieg der Rechten? – klingt die Titelstory einer großen Wochenzeitung der Vorwoche nach.) Die Themensetzung in der zweiten Sendung nach der Sommerpause wirkte doch recht sommerpausig angesichts der Kommunalwahlen in Nordrhein‑Westfalen am gleichen Tag, bei der die AfD starke Zuwächse einfuhr, und dem tödlichen Attentat eines wohl ultrarechten Täters gegen den rechtsaußen stehenden MAGA‑Aktivisten Charlie Kirk in derselben Woche. Offenbar musste die Redaktion nach der ersten Sitzungswoche im Bundestag schauen, wer schon wieder bereitsteht für den Polit‑Talk‑Sessel – und dann das Thema wählen.

Weg von den großen Programmatikschauplätzen

Der erste und vorerst einzige Gast Reichinnek hatte bereits am Donnerstagabend bei Miosgas Kollegin Maybrit Illner im gesessen und war dort bei ähnlicher Schwerpunktsetzung mit CDU‑Politiker Jens Spahn über das Sparpotenzial beim Bürgergeld aneinandergeraten: Während Spahn einmal mehr über die „Totalverweigerer“ sprach, verdrehte Reichinnek einmal mehr die Augen angesichts des Themas.

Bei Miosga tritt sie nun für die knapp erste Hälfte der Sendung ohne politischen Widersacher auf – wird dafür aber von der Moderatorin mit Fragen gestreichelt. Wie ihre Partei sich etwa den Sozialismus vorstelle, wenn das in der DDR keiner gewesen sei? Reichinnek, die im Jahr vor dem Mauerfall in Sachsen‑Anhalt geboren wurde, pariert vom ersten Moment an schnörkellos und in Überschallgeschwindigkeit auf die Vorlagen der Moderatorin: ÖPNV und Betreuungsangebote in der DDR: gut, Mangel an vielem in der DDR: schlecht. Darum trete die Linke heute für „demokratischen Sozialismus“ ein.

Pariert in Überschallgeschwindigkeit: Heidi ReichinnekImago

Hinter das Thema DDR ist für sie schnell ein Haken gesetzt und die Linken‑Politikerin steuert weg von den großen Programmatikschauplätzen („Systemwechsel!“, „Kapitalismus!“, „Gerechtigkeit!“) zu den konkreteren Themen. Sie weiß: Wenn sie punkten will, dann nicht mit ideologischem Überbau, sondern mit dem Blick auf die materieller Grundlagen. Über den massiven Rückbau sozialstaatlicher Strukturen seit der Agenda 2010 will sie sprechen. Miosga ist nicht einverstanden, lässt ihr das Referat über das Wahlprogramm ihrer Partei nicht durchgehen und drängt auf exakte Beantwortung ihrer Fragen.

Es bleibt ein Unterhaltungsformat

Als Nächstes ist das Folgende: Warum Reichinnek einen solch harschen Tonfall gegenüber Reichen anschlage? In einem humoristischen Social‑Media‑Short etwa ist zu sehen, wie sie Milliardäre mit Schmarotzern vergleicht. Reichinnek will auch hier wieder über Maßnahmen sprechen, die ihre Partei plant, um Erbe höher zu besteuern.

Aber Miosga bleibt streng: Sie wolle wissen, warum sie so spreche und ob es nicht Populismus sei, Milliardäre zu verunglimpfen. „Für einen respektvollen Ton ist es langsam mal zu spät“, gibt Reichinnek nonchalant zurück. Das ist eine jener spontanen Pointen, für die Reichinnek Spontanbeifall aus dem Publikum kassiert und Miosga ihr mit weit hochgezogenen Augenbrauen, aber schweigend das Feld überlässt.

Ob die BioNTech‑Gründer sich ihr Vermögen etwa nicht fair erarbeitet hätten, will Miosga weiter wissen. Aber ist ein einziges Gegenbeispiel denn überhaupt geeignet, um die These zu kippen, dass Vermögen in Deutschland nicht fair verteilt ist – vor allem, wie die Linke betont, weil ein großer Teil davon geerbt ist? Reichinnek lässt sich auf kein Urteil über die Entwickler des Corona‑Impfstoffs Comirnaty ein. Sie kontert: Wäre Einkommen in Deutschland fair, dann wären jede Pflegekraft und jede Reinigungskraft Millionär. Sie bootet Miosga rhetorisch aus.

Die erste Hälfte des Gesprächs ist stark geprägt von den Versuchen der Moderatorin, Reichinnek in ihre suggestiven „Ertappt“-Fallen zu locken, die offenkundig mehr auf Entertainment und Vorführung ausgelegt sind, denn auf ernsthafte politische Diskussion. Geschenkt: Es ist eine Talkshow, die auf Quote und Unterhaltung zielt, und nicht der Bundestag.

Suggestives Wimpernklimpern

Auch um den erschossenen Charlie Kirk soll es anschließend kurz gehen. Die Linken‑Politikerin ist aufgefordert, Stellung zu zwei mittlerweile gelöschten Statements von Jugendorganisationen der Linken zu beziehen – und dem zynischen Meme ihres Büroleiters Felix S. Schulz. Der hatte zwei Bilder des Moderators Jeremy Clarkson mit dem Schriftzug „Oh no! Anyway“ (sinngemäß: „Oh nein – egal“) in Bezug auf Kirk gepostet.

Reichinnek verweist auf die längst erfolgte Löschung aller drei Posts – und überhaupt: Warum solle sie sich dafür verantworten? Sie ist geschickt darin, immer dann im „Wir“ für ihre Position zu sprechen, wenn das „Ich“ ihr gefährlich werden könnte und umgekehrt. Das Meme ihres Büroleiters habe zudem im Kontext der Schulschießerei in Colorado gestanden, bei der am gleichen Tag zwei Menschen starben. Über die sei anschließend in der medialen Debatte wegen des Mordes an Kirk kaum noch berichtet worden.

Auch um die Aufrüstung geht es zwischen Reichinnek und Miosga noch in Zweisamkeit. Dabei gelingt es der Politikerin immer wieder, die Gesprächsführung zu übernehmen: nicht nur durch ihre Redegeschwindigkeit – auch weil sie auf phrasenschweren Politikersprech verzichtet, und, während sie stakkatohafte Punchlines rausfeuert, auf Miosgas suggestives Wimpernklimpern mit ebensolchem reagiert.

Wo Jens Spahn ihr Recht geben muss

Gehaltvoller wird die Debatte mit zwei weiteren Diskussionspartnern. Ausführlicher wollen sie zu viert mit Unterstützung der Ökonomin des SPD‑nahen Thinktanks „Dezernat Zukunft“, Philippa Sigl‑Glöckner, und dem Chefredakteur der Table Briefings, Michael Bröcker, über Besteuerung sprechen. Hier wiederum ist die Konstellation der Kandidaten stark gewählt. Während Reichinnek weiter reichinnekt, beziehen Sigl‑Glöckner und Bröcker zwei konträre Standpunkte. Letzterer etwa will nicht über Kapitalismus, sondern „soziale Marktwirtschaft“ sprechen und gerät daraufhin mit der Linken‑Politikerin ins Wortgefecht.

Gehaltvoller zu viert:Philippa Sigl-Glöckner, Ökonomin vom Dezernat Zukunft, Caren Miosga, Heidi Reichinnek und Michael Bröcker
Gehaltvoller zu viert:Philippa Sigl-Glöckner, Ökonomin vom Dezernat Zukunft, Caren Miosga, Heidi Reichinnek und Michael BröckerImago

Ökonomin Sigl‑Glöckner kann in dieser teils polemische Auseinandersetzung oft die Fakten geraderücken: Kapitalkonzentration durch Erbe sei, so Sigl‑Glöckner, durchaus in Deutschland zu beobachten. Auch die Warnung vor einer Abwanderung der Vermögenden kann sie mit dem Verweis auf Norwegen, das im Vergleich zu Deutschland eine Vermögensteuer von rund ein Prozent erhebt, relativieren; von einer massenhaften Flucht der Milliardäre könne man dort nicht sprechen. Reichinneks Pläne für eine Vermögensteuer auf Milliardenvermögen von zwölf Prozent hält sie aber ebenfalls für nicht umsetzbar.

In einem Punkt findet die Talkrunde schließlich einen Teilkonsens: Bei der Erbschaftsteuer gebe es zu viele Schlupflöcher. Da müsse die Politik ran. Reichinnek lässt wissen, dass sie dieses Thema überhaupt diskutierten (nicht nur im Talkformat, sondern auch im Bundestag) will, statt über die kleine Zahl Bürgergeld empfangender Totalverweigerer zu sprechen – das habe man der Linken zu verdanken. Das wird Jens Spahn ihr nicht absprechen können.

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