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Aaron Bienenfeld: Auf dem letzten Meter nach Tokio | ABC-Z

Olympia in Paris, Weltmeisterschaft in Tokio – da rennen andere. Diesen wie vergangenen Sommer sollte es trotz aller Bemühungen nicht reichen für einen Platz im Starterfeld auf den allergrößten Bühnen des Laufsports. Aaron Bienenfeld hatte längst andere Ziele im Kopf, einen neuen Karriereabschnitt vor Augen, als sein Telefon klingelte. Der Offenbacher hatte vor genau 14 Tagen gerade am Frankfurter Mainufer trainiert, begleitet von seinem Bruder auf dem Fahrrad. Danach waren die beiden in der Innenstadt etwas essen gegangen. Als Bienenfeld in der Pizzeria ans Handy geht, ist auf der anderen Seite Isabelle Baumann, Ehefrau des einstigen Laufstars Dieter und Bundestrainerin für die Langstrecken. Baumann eröffnete Bienenfeld, dass er als Nachrücker noch ins WM-Starterfeld rutschen könne. Und fragte, ob er das wolle.

Der Siebenundzwanzigjährige war völlig überrumpelt, „total perplex“, erzählt er schmunzelnd. Er hatte nicht mehr damit gerechnet, sich diesen Traum erfüllen zu können. Er war gedanklich und vom Trainingsaufbau her schon voll auf Sonntag, den 21. September, fixiert: Berlin-Marathon, Debüt über 42,125 Kilometer. Mit einem großen Auftritt am Sonntag, dem 14. September, beim WM-Lauf über 10.000 Meter in Tokio hatte Bienenfeld abgeschlossen.

„Die Bedingungen sind echt tough“

Einen Moment lang kam Bienenfeld tatsächlich ins Grübeln, ob er die Planung für die zweite Saisonhälfte wirklich umschmeißen sollte. Er hatte ja schon lange damit geliebäugelt, die Marathondistanz in sein bewegtes Athletenportfolio zu integrieren. Letztlich sagte er mit Freude zu für die unverhoffte japanische Exkursion. „Endlich hatte ich mal das echte Glück, das ich zuvor nicht wirklich hatte“, sagt Bienenfeld.

Während des Interviews mit der F.A.Z. befindet er sich schon im Süden Japans, wo die deutschen WM-Teilnehmer eine Woche vor Beginn der Titelkämpfe ein gemeinsames Camp bezogen haben, um sich zu akklimatisieren. Und das ist auch nötig. Stechende Sonne und enorme Luftfeuchtigkeit herrschen vor. „Die Bedingungen sind echt tough“, sagt Bienenfeld, der daraus aber auch Hoffnungen schöpft für das größte Rennen seines bisherigen Lebens. Als großer Außenseiter inmitten der besten Zehnkilometerläufer der Welt. Mit Athleten, die deutlich schneller laufen als der deutsche Uraltrekord (27:21,53 Minuten von 1997), auf den Bienenfeld mit seiner Bestzeit von 27:39,82 noch deutlich Rückstand hat. Im riesigen Olympiastadion von Tokio, wo beim Rennen am Abend (14.30 Uhr deutscher Zeit, live bei ARD oder ZDF) noch knapp 30 Grad herrschen werden. „Ich will nicht zu weit hinter der Spitze laufen. Einigen werden die Bedingungen nicht passen, zudem erwarte ich ein zunächst taktisch geprägtes Rennen“, so Bienenfeld. Er hat sich vorgenommen, am Ende ein Drittel des Feldes hinter sich zu lassen. Bienenfeld ist einer der wenigen Europäer, die in dem Spitzenfeld dabei sind.

Ob er nicht aus der kommoden Position, nichts zu verlieren zu haben, laufen könne? „Nein“, sagt der Topathlet bestimmt. „Ich möchte die Nominierung mit einer Topleistung rechtfertigen. Es gibt kein Szenario für mich, dass ich aus dem Rennen aussteige oder am Ende nur irgendwie ins Ziel jogge. Ich werde mit jeder Zelle meines Körpers arbeiten“, sagt Bienenfeld.

Seit zwei Jahren Profi

Diesen Körper hat er viele Jahre beim SSC Hanau-Rodenbach auf Touren gebracht für die Härten des Langstreckenlaufs. Unter der Anleitung des Trainers und Vereinsvorsitzenden Sascha Arndt sind schon viele junge Talente aufgeblüht. Bienenfeld hat sich aber eines Tages die Frage gestellt, ob er weiter ein solider, vielseitiger Läufer mit Renneinsätzen auf der Straße, auf der Bahn und im Cross sein möchte, der sich mit Siegen in der Region wie beispielsweise beim Silvesterlauf von Spiridon Frankfurt oder dem Firmenlauf JP Morgan Chase Corporate Challenge zufriedengibt. Oder ob er versucht, unter Profibedingungen alles aus diesem Körper herauszuholen.

Bienenfeld entschied sich dafür, seine Karriere mit Stipendium in den USA in neue Höhen zu treiben. Statt weiter an der Frankfurter Goethe-Uni zu studieren und im Frankfurter Laufshop in der Innenstadt zu jobben, brachte er sich in Fernwest in die Verfassung, die ihn nun zur WM nach Fernost gebracht hat. Seit Anfang 2023 ist er Profi, seit einer Weile ist Flagstaff in Arizona sein Trainingsquartier, das auf über 2000 Meter Höhe liegt. Seine amerikanische Wahlheimat brachte ihn im Umkehrschluss aber etwas aus dem Blickpunkt des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, der ihn 2025 erst zum zweiten Mal zu einem Kaderathleten machte.

In Zukunft wieder auf der Straße?

San Juan Capistrano in Kalifornien ist der Ort geworden, in dem er nun drei Jahre in Serie in den deutschen Vordergrund gerannt ist. Beim dortigen „Sound-Running“-Meeting durchbrach er 2023 erstmals die 28-Minuten-Schallmauer (27:55,96), baute seine Bestzeit 2024 aus (27:42,83) und setzte in diesem Jahr noch einen drauf (27:39,82). Damit blieb der Hesse als mit Abstand bester Deutscher über diese Distanz nicht nur deutlich unter der Leistungsbestätigungsnorm für Tokio, sondern schob sich in der ewigen Bestenliste des DLV über 10.000 Meter auf Rang sieben vor. In den vergangenen 20 Jahren waren nur Nils Voigt (27:30:01) und Richard Ringer (27:36,52) schneller als Bienenfeld.

Seine Zukunft als Profi werde aber zunehmend auf der Straße liegen, kündigt er an. Während man als Bahnläufer hierzulande bei jedem Wettkampf draufzahle, gebe es bei Straßenläufen neben Kost und Logis auch Preisgeld zu gewinnen, was als Profi, der auf die 30 zugeht, ein Faktor sei, so Bienenfeld. So ist das Marathondebüt nur aufgeschoben, was aber nicht heißt, dass er seiner besten Bahnstrecke den Rücken kehrt. „Das lässt sich gut verbinden. Ich werde weiter viel Tempotraining integrieren, sodass ich nicht nur in einem Gang laufen werde“, sagt er. „Ich habe hohe Ansprüche an mich.“

Seine Eindrücke vom Marathontraining und seine in diesem Jahr aufgestellte Bestzeit im Halbmarathon (61:39 Minuten) steigern seine Hoffnung, ein starker Läufer auf 42,195 Kilometer zu werden. Fernziel ist die Olympiateilnahme 2028 in Los Angeles – es wäre von Flagstaff aus fast wie ein Heimspiel. Egal auf welcher Strecke. Und wenn es wieder eines überraschenden Anrufs kurz vor dem Großevent bedarf.

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