AfD und Männlichkeitsbilder: Jungs müssen pumpen | ABC-Z

Im Internet kursiert seit Jahren ein Gerücht: Wenn du Soja isst, sinkt dein Testosteronspiegel. Deine Muskeln schrumpfen und du bekommst Brüste. Als wärst du eine Frau.
Diese Erzählung findet sich in den Videos einer ganz bestimmen Gruppe von Männern. Wie viele andere gehen auch diese Männer ins Fitnessstudio. Sie heben Gewichte, wollen Muskeln aufbauen und zeigen sich dabei auf Tiktok. Nur geht es in den meisten dieser Videos eben nicht um Sport. Sie handeln von Männlichkeit. Und kein Mann, so jedenfalls die Botschaft, möchte Soja-Brüste haben.
Dies ist keine Geschichte über männliche Schönheitsideale in den sozialen Netzwerken. Stattdessen geht es hier um rechte Politiker, die offenbar an durchtrainierten Männern interessiert sind und sich deshalb in einen ganz bestimmten Bereich des Internets begeben. Also beginnen wir bei Maximilian Krah.
„Geh in die [sic!] Gym!“
Im Januar lädt der AfD-Politiker ein Video hoch. Er trägt einen grau karierten Anzug mit rotem Einstecktuch. Im Hintergrund ertönt der Walkürenritt von Richard Wagner. Die Musik baut sich auf, dann setzt Krah zur Punchline an: „Sei nicht Soja-Sören. Sei Siegfried!“ Krah behauptet, der Testosteronspiegel von Männern sinke immer weiter. Das mache sie soft und schwach, zu „Opfern“. Und dann verbreitet er, als wäre er selbst einer der Fitness-Männer, das Gerücht: All das habe etwas mit der Ernährung zu tun. Krah sagt: „Von Soja wachsen keine Muskeln. Iss Fleisch, ernähre dich gesund.“
Dass die AfD wenig von veganen Ersatzprodukten hält, ist kein Geheimnis. Fleisch ist auch Kulturkampf. Doch Krah spricht nicht über Politik. Der Mann, der von seinen Parteikollegen „Schampus-Max“ genannt wird, spricht über Muskelaufbau und empfiehlt seinen Followern: „Geh in die [sic!] Gym!“ Wie die Fitness-Männer träumt auch Krah von Muskeln. Nur nicht von seinen eigenen, sondern denen seiner Follower.
Die Erzählung von „starken Männern“ hat in rechten und rechtsextremen Kreisen eine lange Tradition. „Wir müssen unsere Männlichkeit wieder entdecken!“, sagte etwa Björn Höcke vor zehn Jahren auf einem Parteitag der AfD. Denn nur wer mannhaft sei, sei auch wehrhaft. Und die Männer in Deutschland müssten wehrhaft werden. Politiker wie Höcke sehen die Männlichkeit in einer Krise. In einer Gesellschaft, in der traditionelle Rollenbilder immer weiter aufgebrochen werden, fürchten sie um den „starken Mann“.
Dann klappt es auch mit der Freundin
Wie kein zweiter in seiner Partei übersetzt Krah das Männlichkeitsbild seiner Partei für junge Männer auf Tiktok. In seinen Videos behauptet er, echte Männer seien rechts, dann klappe es auch mit der Freundin. Und er bewegt sich gezielt in dem Bereich des Internets, in dem auch Gerüchte über Soja und Testosteron sprießen: die sogenannte Mannosphäre.
Karl Ess sitzt im Auto. Er trägt eine schwarze Kappe mit der Aufschrift „Make America Great Again“ und spricht in das Mikrofon seiner iPhone-Kopfhörer. Die Kamera läuft. Ess sagt, schwache Männer mit niedrigem Testosteronlevel, die nicht ins Gym gehen, seien schuld an allem. Sie ließen Feminismus zu. Der wiederum führe zu „Schlampen“, die wiederum führten zu Singlemüttern, und das wiederum ergebe Kinder ohne Väter, also „Betamänner“. Ess führt diese Aufzählung in seinem Video fort und landet schließlich bei der „Degeneration der Gesellschaft“ in einem kommunistischen System. Er blickt in die Kamera, zieht seine Augenbrauen in die Höhe und sagt: „Jetzt wisst ihr Bescheid.“ Ess ist nicht nur Fitnesscoach, sondern auch ein bekanntes Gesicht der deutschen Mannosphäre.
Die Mannosphäre hat keinen festen Platz im Internet. Sie ist überall dort, wo junge Männer sind. Auf Tiktok, Instagram, Youtube, in Telegram-Gruppen, Foren und Blogs. Längst nicht jeder Fitness-Influencer ist Teil dieser Sphäre, und diejenigen, die sich hier rumtreiben, geben längst nicht nur Tipps zum Muskelaufbau. Hier geht es um Selbstoptimierung, Finanzen, Dating – und Frauenhass.
In der Mannosphäre versammeln sich Männer, die Frauen manipulieren wollen, um ihre Chancen auf Sex zu erhöhen, sogenannte Pick-up-Artists. Neben ihnen tummeln sich Männer, die unfreiwillig sexuell enthaltsam leben und dafür Frauen die Schuld geben, sogenannte Incels. Und dann gibt es noch Männerrechtsaktivisten, die überzeugt davon sind, politisch unterdrückt zu werden, und sogenannte Männlichkeits-Influencer, die Ratschläge auf dem Weg zu einem starken, männlichen Mindset geben. Diese Männer haben verschiedene Ziele. Manche von ihnen wollen Muskeln aufbauen, um zum „Alpha“ zu werden, andere wollen die Errungenschaften der modernen Gesellschaft rückgängig machen.
Botschaften treffen auf einsame junge Männer
Die Botschaften der Mannosphäre treffen auf Jugendliche, die sich ohnehin immer einsamer fühlen, wie Statistiken der vergangenen Jahre zeigen. Hier wird ihnen dann gesagt, um sich besser zu fühlen, müssten sie sich ganz auf sich konzentrieren, niemanden an sich heranlassen. Vor allem keine Frauen, denn die seien ohnehin nichts wert. Die Mannosphäre verkauft diesen Jugendlichen vermeintlich einfache Lösungen, oft sogar wortwörtlich.
Denn hier können sie auch Proteinpulver kaufen oder besonders hartes Kaugummi, das ihre „jawline“ definieren soll. Das geht in der Mannosphäre aber auch anders: „Bonesmashing“ heißt der Trend, bei dem sich Männer mit einem Hammer gegen den Kieferknochen schlagen, in der Hoffnung, die zugefügten Mikrofrakturen könnten zu einer markanteren Gesichtsform führen. Echte Männer kennen keinen Schmerz.

Tate präsentiert seinen Oberkörper und schaut in die Kamera. „Du hast Angst, weil du Angst haben solltest“, sagt er. Mäuse seien ängstlich, wenn sie ein Geräusch hören, weil man sie töten könne. Ein Bär aber habe keine Angst. Ein Bär wolle töten. „Das ist ein anderer Vibe. Du bist ängstlich, weil du eine kleine Schlampe bist. Wenn du ins Fitnessstudio gehst und stark und reich wirst, bist du nicht mehr ängstlich.“ Ein unbekannter Nutzer auf Tiktok hat das Video hochgeladen. Darunter stehen die Hashtags #Mindset und #Motivation.
Politiker nutzen die Mannosphäre für ihren Wahlkampf
Bei Jugendlichen treffen Aussagen wie diese offenbar einen Nerv. Nicht nur, weil sich viele von ihnen einsam fühlen, sie vielleicht wirklich mit der Frage nach Männlichkeit in der modernen Gesellschaft hadern, sondern auch, weil ihr Tiktok-Feed ihnen suggerieren dürfte, dass diese Zeiten tatsächlich „starke“ Männer erfordern. Die Plattform ist voll von Panzern und Soldaten, die sich im Krieg zeigen. Daneben trifft die Mannosphäre auf eine Welt, in der autoritäre Politiker mit patriarchalem Weltbild an Einfluss gewinnen. Sie machen Männlichkeit nicht nur zu einem Kult, sondern auch zu einer Frage der Politik. Und sie wissen die Inhalte der Mannosphäre für ihren Wahlkampf zu nutzen.

Erst im August zeigten sich etwa Richard Glück und Erik Kaliňák von der slowakischen Smer-Partei neben den Tate-Brüdern. Auf einem Foto rauchen die vier Männer gemeinsam Zigarre. Damit treten sie, was den Umgang mit der Mannosphäre betrifft, in die Fußstapfen von Donald Trump. Während seines Wahlkampfes war der mehrfach in Podcasts zu Gast, deren Hosts in der Mannosphäre gefeiert werden, darunter etwa Joe Rogan.
Auch eine Nähe zu Tate wird Trump nachgesagt. Nachdem die Tate-Brüder, trotz anhaltender Ermittlungen, aus Rumänien ausreisen durften, spekulierten amerikanische Medien, Trump könnte sich für die Tates eingesetzt haben. Er selbst behauptet, nichts über die Umstände ihrer Ausreise zu wissen. Als die Brüder den Flughafen in Florida verließen, distanzierte sich Gouverneur Ron DeSantis von beiden. Florida sei kein Ort, an dem man willkommen sei, wenn solche Vorwürfe im Raum stünden.
Wer unterdrückt wird, muss sich wehren
Dass Andrew Tate wiederum Trump unterstützt, ist kein Geheimnis. Auf X lobte er etwa, wie Trumps Frau Melania bei dessen Amtseinführung unauffällig an seiner Seite blieb. Wie es sich, so Tate, für eine echte Frau gehöre. Nur Trump sei wichtig. Der präsentiert sich auch jenseits der Mannosphäre gerne mit starken Männern, besucht etwa Kampfsportveranstaltungen, um den Männlichkeitskult medienwirksam zur Schau zu stellen.
Im Juli kündigte der Präsident an, er wolle anlässlich des 250. Unabhängigkeitstags der Vereinigten Staaten im kommenden Jahr Käfigkämpfe vor dem Weißen Haus austragen lassen. Im Mittelpunkt dieser Veranstaltung: muskelbepackte Männer, die auf brutalste Art gegeneinander kämpfen.
Der Kampf ist in der Mannosphäre ein beliebter Topos. Schließlich würden Männer unterdrückt, und wer unterdrückt wird, muss sich wehren, Muskeln aufbauen, kämpfen. Auch rechtsextreme Politiker in Deutschland wähnen sich gerne in einem ständigen Kampf. Zumindest in einem Kulturkampf.
Zum Beispiel Maximilian Krah. Dass wieder mehr gekämpft werden müsse, findet auch dessen ehemaliger Social-Media-Tiktok-Stratege Erik Ahrens. Oder zumindest fand er das, denn seit Neuestem präsentiert Ahrens sich auf X als Linker. Wie auch immer, während Ahrens noch als Berater der AfD arbeitete, fiel er mit seiner Rassentheorie auf. Ende vergangenen Jahres zeigten ihn heimlich aufgenommene Videos eines Reporters bei einem Treffen in Griechenland. Ahrens sagt, eines Tages „in Trump-Manier“ in Deutschland zur Wahl antreten zu wollen. Er wolle eine „populistische Bewegung rund um eine Person führen“. Seit hundert Jahren habe es das nicht mehr gegeben. Er meint offenbar Adolf Hitler.
Das Leben sei ein Kampf
Ahrens war der Kopf hinter Krahs Tiktok-Strategie im Europawahlkampf 2024. Die AfD hat sich in der Zwischenzeit, jedenfalls öffentlich, von Ahrens distanziert. Er und Krah arbeiten heute, so sagen sie es, nicht mehr zusammen. Doch damals nahm Ahrens sich Tate und Trump als Vorbilder für die Tiktok-Strategie der AfD und wusste dabei die Mannosphäre zu bedienen. Sätze wie „Echte Männer sind rechts“ stammen aus dieser Zeit. Erst vor zwei Monaten sprach Ahrens wieder ausführlich über seine Sicht auf Männlichkeit. Ein Blick, der noch heute maßgebend für Krahs Content sein dürfte.
Ahrens sitzt vor einem Mikrofon, trägt Kopfhörer. Er ist im Studio des Podcasters Ben Berndt. Das Gespräch dauert vier Stunden. Ahrens sagt, die AfD sei voll von „dicken Boomern“. Deutsche Männer müssten ihre Männlichkeit wiederentdecken. Sie sollten sich als das, was sie sind, in der Welt zeigen und dominant sein. Das würde das Migrationsproblem lösen. „Dass Leute hierherkommen und uns auf der Nase herumtanzen, geht nur, weil wir das zulassen“, sagt Ahrens.
Das habe nichts mit Politik zu tun oder Gesetzen, sondern fange bei jedem deutschen Mann selbst an. Alice Weidel könne nicht jedem Deutschen eine „Testo-Spritze“ geben. „Die Jungs müssen boxen. Die müssen kämpfen, die müssen pumpen“, sagt Ahrens. Er sagt auch, eine Hitlerjugend brauche es nicht mehr, denn Hitler sei „tot und so“. Aber natürlich könne man „Wehrsport“ einführen. Sich vorbereiten für einen Kampf, sei nicht schlecht. Denn das Leben sei ein Kampf.
Boxen, Schießen … für den Ernstfall
In manchen Ortsverbänden der Jungen Alternative oder auch der Jungen Tat, einer Neonaziaktivistengruppe in der Schweiz, werden Ahrens’ Vorstellungen wahr. Immer wieder zeigen sich junge Männer auf deren Social-Media-Accounts beim Boxen. Die Junge Tat soll ganze Camps veranstalten, in denen ihre Mitglieder den Ernstfall üben können: gewaltsame Auseinandersetzungen mit dem Gegner. Ahrens zeigte bei dem heimlich gefilmten Treffen ein Video, in dem angeblich ein solches Boxtraining zu sehen ist, und sagte: „Stell dir vor, 50 Jungs. (. . .) Boxen, Schießen.“

Wenn Krah also sagt, „echte Männer“ hätten keine Angst, und das mit Fragen der Migration verknüpft, dann klingt das sehr nach Ahrens. Etwa hier: Krah sitzt auf dem Stuhl eines Barbiers. Auf seinen Schultern liegt ein Handtuch, sein bartloses Gesicht ist von Rasierschaum bedeckt. „Du weißt schon, dass du ein Messer an der Kehle hast?“, fragt der Barbier. Krah antwortet: „Echte Männer haben keine Angst. Auch nicht vor Messern in Solingen.“ Bei X schreibt Krah zu dem Video: „Keine Angst vor’m Messer – nur so diskutiert man Fragen von Remigration, Islam und Türkei“.
Krah geht auf die Knie
Krah schafft es heute auch ohne Ahrens in die Mannosphäre. Allerdings kann er selbst nicht mit Muskeln überzeugen. In einem Video auf Tiktok zeigt Krah sich bei amateurhaften Sportübungen. Er macht Hampelmänner, prustet nach jedem Sprung sichtbar durch den Mund, wischt sich die Haare aus dem Gesicht und joggt los, als wäre es sein erstes Mal. „Bro schafft nicht mal Teilnehmerurkunde“, kommentiert ein Nutzer. Ein anderer meint: „Er geht jetzt in die Gym.“
Krah inszeniert sich umso besser in der Nähe anderer trainierter Männer. Auf X freundete er sich etwa öffentlich mit Andrew Tate an. Ende Juli reiste Krah außerdem in die Slowakei und traf dort den Europaabgeordneten und einstigen Holocaustleugner Milan Mazurek. In einem bei dem Besuch entstanden Video sitzen die beiden an einem Tisch. Vor ihnen liegt eine Pistole. Sie stoßen, wie echte Männer, mit einem Glas Rohmilch an. Und dann ist da noch ein weiteres Video entstanden.
Krah und Mazurek sitzen am selben Tisch. Im Hintergrund sind Wiesen und Bäume zu sehen. Krah trägt Sonnenbrille und ein T-Shirt mit seinem Nachnamen in Großbuchstaben, darunter der Satz „Make Europe Great Again“. Mazurek trägt ein eng anliegendes Poloshirt und zeigt auf sein Smartphone. Er fragt, ob Krah das gesehen habe? Liberale Linke sagten, Work-out verwandele dich in einen rechten Extremisten. „Noch mehr?“, sagt Krah auf Englisch. „Wir sollten sofort damit anfangen.“ Schnitt. Als nächstes sehen die Zuschauer des Videos den beiden Männern dabei zu, wie sie Liegestütze machen. Krah wählt eine abgewandelte Variante, allgemein bekannt als „Frauenliegestütze“. Er geht auf die Knie.