Kultur

Kunsthalle Emden schaut in die Wolken: Wattige Skulpturen | ABC-Z

Emden taz | Eigentlich sind Wolken bloß Physik: Wenn zu Wassermolekülen vermählter Sauer- und Wasserstoff von der Sonne aufgeladen wird und ihre Bewegungs- die Bindungsenergie an der Wasseroberfläche übersteigt, dann heben die Teilchen als Dampf ab in die Luft. Dort lagern sie an umherfliegende Dreck­partikel an, kondensieren und gleiten als wattige Skulptur über den Himmel.

Dort funktionieren sie als Fantasie­trigger: Kinder entdecken Tiere in den Formationen, Liebepaare deuten lustige Wesen hinein, andere Wettervorhersagen heraus. Und dann erst die Künstler:innen! Sie malen, fotografieren, filmen Wolken als Metaphern, Rätsel, Traumvisionen, Spiegel menschlicher Verfassung oder abstrakte Muster.

Mit der Ausstellung „Dem Himmel so nah – Wolken in der Kunst“ zeigt die Kunsthalle Emden, wie sich die sinnlich-emotionale Wahrnehmung, die handwerkliche Darstellung und die Interpretationen des bewölkten Himmels in der bildenden Kunst entwickelt haben.

Im ersten Raum wird das ästhetische Spektrum eröffnet: Der Hamburger Maler Berend Goos bannte Wolken im 19. Jahrhundert auf Leinwand wie heutige Farbfilterfetischisten in Social-Media-Accounts – #cloudporn. Vielgestaltig antworten Zeitgenoss:innen. Daniel Hausig projiziert in seiner Installation „Wetterleuchten“ (2025) Wolken-Fotos auf die Museumswand, lässt sie aber auch über Leuchtstäbe als Lichtsequenzen-Loop laufen, zu bestaunen ist eine in ständiger Bewegung befindliche Pop-Art-Farbspielerei.

Wolken-Ausstellung

Dem Himmel so nah. Wolken in der Kunst. Kunsthalle Emden. Bis 2. November 2025

Gerhard Richters „Heliogravuren“ (1971) der baumlos-vulkanischen Natur der Kanaren wird durch die grobkörnige Aufnahmequalität und den Druck auf Karton in die Unschärfe gerieben. Bereits in dieser Frühphase lässt er neue Realitäten schemenhaft aus konkreten Landschaften mit Wolken entstehen.

Für anregende Irritation sorgt Nasan Tur. Er zeigt reizvolle Wolkengebilde, die allerdings stark gerastert sind, da es sich um vergrößerte Ausschnitte von Zeitungsbildern handelt, die in Gänze vor allem Kriegsszenen zeigen. Tur stellt aber nur den himmlischen oberen Teil der Fotos aus. Dazu notiert er, über welcher Gewaltszenerie die mit Asche, Rauch und Staub beladenen Wolken schweben, lenkt so den Blick von der Schönheit da oben auf die ursächlichen Bestialitäten darunter.

Ähnlich arbeitet Almut Linde. Ihr fotografischer Blick gen Himmel zeigt ein malerisches Kondensstreifengeflecht – mit dem Wissen, dass es sich um abhebende Treibhausgas-Emittenten am letzten Tag der Weltklimakonferenz 2019 in Madrid handelt, ist die Wahrnehmung sofort eine inhaltliche.

Auch für politisch schlichte Deutungen ist gesorgt. Josef Scharl zeigt mit seinem dezent expressionistischen „Brewing Thunderstorm“, auf dem Wolken wie zwei Bösewichtaugen über friedlicher Agrarlandschaft platziert sind, wie der Emigrant 1943 in New York auf seine NS-barbarisierte Ex-Heimat blickt.

Vor allem aber geht es in Emden um historisch gewachsene Positionierungen. Beginnend mit der romantisch überhöhten, winzige Menschen in sich aufnehmenden Landschaftsmalerei, in der Wolken die Naturszenen dramatisch aufladen. Es gibt reichlich dramatische Gewitterstimmungen und idyllische Sonnenuntergangsatmosphäre, gern auch mit Regenbogen und dem Zauber eines sich an sturmzerzausten Wolkenrändern brechenden Lichts.

Nasan Tur zeigt reizvolle Wolkengebilde – aus Zeitungsbildern, die Kriegsszenen zeigen

Selbst werden die diffusen Gestaltwanderinnen auf den Bildern immer größer. Etwa in Andreas Achenbachs „Blick auf Neuss“ (1871). Dort erdrückt der drei Viertel des Formats einnehmende Wolkenhimmel geradezu die Flusslandschaft darunter – oder erweitert sie ins Himmelreich, eröffnet den unendlichen Raum metaphysischer Sphären. Immer wieder lassen Künst­le­r:in­nen durch Wolkenlücken goldgelb-göttliches Licht strahlen.

Aber „Über den Wolken ist nichts“. Mit diesem Brecht zugeschriebenen Zitat kontrastiert die Ausstellung den Gedankentüdel, den Menschen gen Himmel richten. Der lapidare Satz steht auf einem von Hunderten mit Wolken- und Wetterpoesie beschrifteten oder bemalten Visitenkarten-Rohlingen, die Nanne Meyer in einem Raum wie Gedankentropfen zu Wolkengebilden arrangiert hat.

Und was ist unter den Wolken? Mit „Norddeutsche Landschaft“ (1981) zeigt sich Heiner Altmeppen als zeitgenössisch enttäuschter Romantiker. Er malte in Märchenlicht illuminiertes Agrarland, darüber locker-lieblich arrangierte Schaumhaufengebilde, am Horizont dahinter aber zeichnet sich klein die Silhouette einer Großstadt ab mit hässlicher Hochhäuser- und Industriearchitektur.

Da schlechtes Wetter immer gut ist für wildbewegte Videos, hat sich Ursula Palla für ihre Filmarbeit Clouds and Foam“ (2019) auf Norderney mit ihrer Kamera dem Sturm am Strand entgegengestemmt und macht nun erlebbar, wie sich Wolken und Gischt tobend vermengen. Ein Überwältigungserlebnis.

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