Ed Sheeran und sein neues Album “Play”: „Wochen im dunkelsten Käfig“ – Kultur | ABC-Z

Vor knapp zweieinhalb Jahren hat Ed Sheeran den Pop gerettet. Vor Gericht. Der Vorgang ist nicht ganz leicht zu erklären, aber in seiner Bedeutung tatsächlich gewaltig. Die Erben von Ed Townsend, Ko-Autor von Marvin Gayes Hit „Let’s Get It On“, hatten den Briten verklagt. Bei „Thinking Out Loud“, Sheerans im Jahr 2014 veröffentlichtem Hit vom Album „x“, sollte es sich angeblich um ein Plagiat handeln, und zwar, sehr, sehr wichtig: weil der Sänger, Gitarrist und Komponist die Akkordverbindung (!) benutzt hatte, die auch dem Song von Marvin Gaye zugrunde liege. Als Beweis, oder, wie es im Revolver-seligen US-Gerichtsjargon so viel knalliger hieß: smoking gun, führten sie unter anderem ein Video an, in dem Sheeran bei einem Konzert nahtlos vom einen zum anderen Lied wechselt.
Man kann einem Songwriter, der etwas auf sich hält, und die Theorie hier wäre, dass Sheeran das tut, und zwar zu Recht, grundsätzlich wenig Schlimmeres vorwerfen als geistigen Diebstahl. Aber hier ging es um mehr als Künstleregos. Hätten die Townsend-Erben gewonnen, wäre der Pop recht unwiederbringlich beschädigt gewesen.
Während Sheeran den Geschworenen seine Ständchen trällerte, verpasste er sogar die Beerdigung seiner Großmutter
Die ausführliche Musiktheorie würde hier zu weit führen, deshalb nur so viel: Es gibt auf der weiten Erde nur eine relativ begrenzte Anzahl an Akkordverbindungen, also harmonische Begleitungen, die wir (zumindest mal mit westlichen Ohren) als schlüssig, angenehm vulgo: populär empfinden. Selbst dann, wenn man keine hyper-generischen Stücke schreibt, und die weitere Theorie hier wäre nun, dass Sheeran auch das tut, und auch das zunächst mal zu Recht. Jedenfalls: Unzählige Songs teilen sich dieselben Verbindungen. Einen Komponisten wegen identischer Akkorde zu verklagen, ist, als würde ein Autobauer den anderen des geistigen Diebstahls bezichtigen, weil der ebenfalls Fenster in seine Fahrzeuge einbaut.
Also kämpfte Sheeran.
Der Sänger, der sehr berühmt dafür ist, ziemlich genau das Gegenteil eines Haarschnitts zu haben, und dazu absolut keinerlei Distinktion qua Kleidung anzustreben, trug einen erstaunlich gut geschnittenen dunkelblauen Anzug, ein hochgeschlossenes Hemd, eine hellblaue Krawatte und er hatte seine Gitarre dabei. Mit der spielte er der Jury Song um Song aus der nahen und fernen und sehr fernen Vergangenheit vor, die alle dieselben „Changes“ nutzen wie der inkriminierte. Klingt wie eine niedliche Anekdote. War tatsächlich eine Schlacht gegen das Ende einer ganzen Kunstform. Weil die Gegenseite den Prozess verzögerte, verpasste Sheeran, während er da saß und den Geschworenen seine Ständchen trällerte, die Beerdigung seiner Großmutter. So wichtig.
Immerhin: Sheeran gewann und man sollte ihm dafür womöglich noch immer etwa einmal am Tag mit zwei bis 70 Fürbitten Tribut zollen.
Zumal es auch sonst keine leichte Zeit für ihn war. Bei seiner Frau Cherry Seaborn war ein aggressiver Krebs diagnostiziert worden, und weil sie damals gerade schwanger war, musste die (Stand heute: erfolgreiche) Behandlung auf nach der Geburt warten. Kurz darauf starb Sheerans sehr enger Freund Jamal. Eine Überdosis Kokain wohl. Gleich zwei Alben, die diese Zeit verarbeiten sollten, veröffentlichte er im Jahr 2023, und beide waren sie im allerbesten Fall unauffällig. Eigentlich aber vollkommen egal. Auch, weil sie nicht nur künstlerisch keine herausragenden Songs enthielten, sondern auch keine erfolgreichen. Für einen Künstler, der – völlig legitim, aber eine Positionierung ist es eben doch – mehr auf Masse zielt als auf Außergewöhnlichkeit, ist das ein recht gut messbares Scheitern.
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Eine einigermaßen veritable künstlerische Krise also, die auf die persönlichen folgte, und ziemlich genau hier nun setzt Ed Sheerans neues Album an. „Play“ heißt es, und es beginnt, bevor auch nur ein einziges Instrument irgendein Geräusch hätte machen können, mit einer Stimme, der zuletzt doch viel Leben zugestoßen ist. Die Stimme schickt dies in den weiten Hallraum: „It’s a long way up from Rock bottom“. Vom Nullpunkt aus ist der Weg nach oben weit. Zeit für den Aufstieg also.
Zunächst mit einer Bestandsaufnahme. Er habe, so singt Sheeran zu einigermaßen stoischen Folk-Banalitäten, am Grab seines Bruders geweint. Er habe dem Operateur seiner Frau die Hand geschüttelt. Er habe „weeks inside the darkest cage“ verbracht, also Wochen im dunkelsten Käfig. Und nun, endlich, „the day bursts wild and open“. Zur Sonne, zur Freiheit.
Auch musikalisch. Eigentlich. Also fast. Über einen beinahe lässigen Rap-Part und etwas Kraft-Rock mit wuchtiger Akustikgitarre steigt das Ganze zu einem sanften, Sonnenaufgang-seligen Strahlen empor. Schwirrt dort etwas herum. Verströmt fast so etwas wie Leichtigkeit. Und Licht. Und Hoffnung.
Und verendet dann leider in Ideenlosigkeit. Beziehungsweise in dieser ganz seltsamen Verzagtheit, die Sheeran seit ein paar Alben immer mehr befällt. Vorrangig bei denen, die ihm besonders wichtig scheinen. Vor ein paar Jahren veröffentlichte er eine „No.6 Collaborations Project“ getaufte, relativ bezaubernd erratische Zusammenarbeit mit 22 Gästen auf 15 Songs. Die waren auch nicht durchweg brillant, aber sie hatten im Schnitt eine Unbekümmertheit, die ihm seither wieder fehlt. Was auch deshalb so schade ist, weil es ein paar tolle Ansätze gibt. Die krisseligen Chöre aus „Heaven“ etwa. Der mit feinen Percussions schiebende Groove von „Symmetry“. Der Wucht-Shuffle aus „Azizam“. Und ganz allgemein Synthie-Sounds, die angenehm wenig nach Zitaten aus früheren Jahrzehnten klingen.
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Der sehr stimmig „Opening“ betitelte Opener schwebt also weiter zu einem Song namens „Sapphire“, der eine Synkopen-satte, Tabla-bewährte Ode an Indien sein will. Aber dann leider klingt, als hätte man Major Lazer wochenlang ausschließlich mit Verpackungsstyropor ernährt und ihnen dann mit väterlichem Schulterklopfen den Auftrag gegeben, beim Produzieren auf ihr Herz zu hören. Ungefähr so geht das leider auch weiter.
„A Little More“, ein lässig gemeinter Soul-Schwof, exzellent, um schwänzelnde Spaziergänge durch eher schlichte HBO-Serien mit gut angezogenen, aber dummen Menschen in New York zu vertonen. „Camera“, eine nicht ganz Mond-weite Powerballade über das Leuchten der Geliebten, die dazu anhält, den Moment zu genießen, weil: „A photo can not show the way my heart is beating, babe!“
Sheeran ist ja seit jeher ein Komponist für die möglichst direkte Emotion. Seine Arrangements waren schon immer extrem aufgeräumt. Die Instrumente und Stimmen sehr gezielt eingesetzt. Wenn etwas auftauchte, sollte es maximale Wirkung haben und lange hatte es das ja auch. Aber mit der Zeit geriet ihm das alles etwas klinisch. Wenn etwas auftauchte, soll es noch immer maximale Wirkung haben, hat es aber oft nicht mehr, und wenn etwas mit viel Raum keine Wirkung hat, wird das ja schnell furchtbar tragisch. Was freilich noch zu den Texten führen muss.
Stellvertretend also zu „In Other Words“, das eben alles findet, nur keine anderen Worte, und hier ist das besonders tragisch, weil ein Mitternacht-schattiges Klavier ein paar dunkelsilbrige und übrigens mitunter ziemlich überraschende Harmonien in die Welt tupft. Und über die bittet Sheeran die Geliebte dann, sie möge ihm doch ihre Ängste und Träume geben. Ihre Hoffnungen und Zweifel. Ihre Geheimnisse und Wahrheiten. Ihre, hach, es geht ja immer so weiter und weiter und weiter.