EMS-Anzug fürs Heimtraining als Alternative zum Fitnessstudio |ABC-Z

Sportler mit Sixpack sind Diba Nazar-Czaplinski suspekt. „Ein Six-Pack zu haben ist keine Lebensfreude. Das ist harte Arbeit und viel Verzicht“, sagt die 54 Jahre alte Fitnesstrainerin, die sich dafür einsetzt, dass Menschen in Bewegung bleiben – und kommen. Jahrelang hat sie unter anderem als Rückentrainerin gearbeitet. „100 melden sich an, 18 trainieren aktiv“, sagt sie. Mit ihrem Start-up Myostyle will sie die knapp 80 Prozent der Studio-Schwänzer erreichen, die sich einfach nicht motivieren können, regelmäßig Kurse zu besuchen oder Übungen zu machen. „Die Leute bewegen sich oft erst, wenn sie es müssen. Aber der Mensch ist ein Leben lang für seinen Körper verantwortlich.“
Diba Nazar-Czaplinski hat einen EMS-Trainingsanzug auf den Markt gebracht, der sich gezielt an Breitensportler richtet. EMS steht für Elektromyostimulation, eine Trainingsmethode, bei der elektrische Impulse gezielt auf die Muskulatur wirken, um Muskelkontraktionen auszulösen. Diese Technik kann sowohl im Fitness- und Leistungssport als auch in der Rehabilitation und Physiotherapie eingesetzt werden. Der entwickelte Anzug sei der erste seiner Art, mit dem Kunden selbständig von zu Hause aus trainieren könnten, sagt Nazar-Czaplinski. Bisher sei das nur mit einem Trainer in einem Studio möglich gewesen. Aber wer ohnehin ein Motivationsproblem habe, dem falle es schwer, regelmäßige Studiotermine in den Alltag einzubauen.
Sporterlebnis ohne Besuch im Fitnessstudio
Diba Nazar-Czaplinski kennt die Branche gut, hat sie doch in den vergangenen 17 Jahren mehr als 20 EMS-Studios im In- und Ausland aufgebaut. „Man kann den ganzen Körper sicher und effektiv trainieren, ohne die Muskeln zu belasten“, erklärt sie den Grundansatz. Die gebürtige Afghanin hat es sich zum Ziel gesetzt, dieses spezielle Sporterlebnis nicht nur Studiogängern zugänglich zu machen, sondern auch jenen, die zu Hause oder unterwegs trainieren wollen.
Nazar-Czaplinski, 1,60 Meter groß, ausgestattet mit einem hohen Energielevel, entschlossenem Auftreten, Forschergeist und technischem Fachwissen, hat sich deshalb der Mission verschrieben, das EMS-Training neu zu denken und bisherige Grenzen des technisch Möglichen zu verschieben. Drei Jahre Forschung und mehrere Prototypen waren nötig, bis sie mit dem Ergebnis, einem 380 Gramm schweren Anzug, zufrieden war.
Die Elektroden, die zum Einsatz kommen, sind in dem Material verarbeitet. Ein videobasiertes Trainingsprogramm hilft den Sportlern, ihre Ziele zu erreichen. Unterstützung habe sie sich von Tüftlerinnen aus aller Welt eingeholt, erzählt Nazar-Czaplinski, die gezielt auf die Expertise und das Können von Frauen zurückgreift. Ihre eigenen Erfahrungen, die sie als Gründerin in einer männerdominierten Branche habe machen müssen, habe sie oft sprachlos zurückgelassen. Und das, so wird jedem klar, der die schlagfertige Gründerin kennenlernt, ist selten der Fall.
„Kürzer geht es wirklich nicht“
Auf Messen sei immer wieder ausschließlich ihr Mann zu den technischen Details befragt worden, erzählt sie. Erfahrungen wie diese haben sie darin bestärkt, sich auf dem Feld der Frauen- und Migrantinnenförderung zu engagieren, sagt Nazar-Czaplinski. Weil sie, so ihr Eindruck, als weibliche Entwicklerin mit Migrationsgeschichte immer ein bisschen mehr habe leisten müssen, als ihre männlichen Kollegen.
Die Gründerin hat große Ziele. Aktuell arbeitet sie daran, die App um eine KI-Funktion zu erweitern, die den jeweiligen Nutzer erkennt und Übungen, angepasst an das jeweilige Fitnesslevel, vorschlägt. Ihre Vision: „Wir wollen Marktführer im präventiven Gesundheitssegment werden.“ Auch deshalb gelte es in einem nächsten Schritt, die medizinische Zulassung zu erhalten. Aktuell sind ihre Produkte Teil einer klinischen Studie des Universitätsklinikums München, in der es auch um den Einsatzmöglichkeiten des EMS-Trainings in der Rehabilitation geht.
Wenn Nazar-Czaplinski die Anzüge, die es ab etwa 2000 Euro zu kaufen gibt, präsentiert, ist sie in ihrem Element. „Hier beginnt der Zauber“, sagt sie und deutet auf die hauchdünnen Carbonkabel, durch die später die Stromimpulse fließen. Mit Magie hat das Training trotzdem nichts zu tun. Und ein Sixpack gibt es auch nicht durch Zauberei. Sport bleibt Sport. „Es sind zwar nur 20 Minuten, aber wir können keine Erfolge erzielen, wenn der Körper nicht merkt, dass er trainiert“, sagt sie. „Kürzer geht es wirklich nicht.“