Frankreich ist nicht das größte Sorgenkind | ABC-Z

Die Kapitalmärkte haben sich an schwer regierbare Länder gewöhnt. An die Niederlande zum Beispiel, die seit Jahren von Vielparteienregierungen geführt werden, aber auch immer wieder monatelang ohne auskommen müssen. Schon im Jahr 2017 hatten sie nach der Wahl sieben Monate gebraucht, um eine neue Regierung zu bilden, 2021 war es noch länger. Belgien hat auch immer wieder erhebliche Schwierigkeiten, aus den vielen Parteien in Flandern und Wallonien eine Regierungsmehrheit zu organisieren. Die Börsen finden das nicht gut. Sie haben aber auch gemerkt, dass es den Ländern dadurch nicht unbedingt schlechter geht.
Aktuelles Beispiel aus Deutschland: Der Stabilität der Sozialversicherungssysteme wäre es dienlicher, wir hätten keine Regierung als eine, die wie die aktuelle sehr kostspielige Rentenprogramme beschließt und die Renten älterer Mütter außer der Reihe erhöht und den demographischen Faktor außer Kraft setzen will, der das gesetzliche Rentensystem eigentlich stabilisieren soll. Christian Lindners Ausspruch aus dem Jahr 2017, besser nicht zu regieren, als schlecht zu regieren – ihn würden die Märkte sofort unterschreiben.
Seit Neuwahlen stufen Märkte Frankreich riskant ein
In Frankreich hat François Bayrou versucht, gut zu regieren. Der Premierminister hat an die Vernunft aller Parteien appelliert, die Staatsausgaben nicht ungehemmt ausweiten zu können, als gäbe es morgen keine Zinsforderungen der Gläubiger mehr. Doch rechts und links der Mitte ist mit Mahnungen an die Vernunft nicht viel an Wählerstimmen zu holen, und die Mitte selbst ist zu klein, um ungemütlichen Botschaften im Parlament zu Mehrheiten zu verhelfen.
Begonnen hat dies in Frankreich am 9. Juni 2024, als Präsident Emmanuel Macron vom Ergebnis der Europawahl derart enttäuscht war, dass er noch am Wahlabend seine Parlamentsmehrheit aufs Spiel setzte und Neuwahlen ausrief. Seither stufen die Märkte Frankreich als riskanter ein. Am Dienstag gab es keinen Anlass, an dieser Haltung etwas zu ändern. Das „Basisszenario“, wie es im Finanzmarktdeutsch heißt, war eingetreten: Das Parlament lässt auch die nächste Regierung stürzen. Das Gegenteil wäre eine Überraschung gewesen. Aber auch sie wäre nicht von langer Dauer gewesen. Die Meinungsumfragen in Frankreich sprechen eine klare Sprache, die Protestbereitschaft gegen jede Form von Sparmaßnahmen ist hoch.
Frankreichs Anleiherendite liegt im Mittelfeld
Mit 3,48 Prozent ist die französische Rendite für zehn Jahre Laufzeit leicht höher als vor der Vertrauensabstimmung mit 3,41 Prozent. Sie liegt damit international im Mittelfeld. Die ebenfalls mit vielen Regierungswechseln befassten Briten müssen 4,6 Prozent zahlen. Die Amerikaner gut vier Prozent. Mehr noch als die aktuelle Rendite interessieren die Märkte die Trends. Hier liegen die Amerikaner wieder besser im Rennen. Anfang des Jahres waren mit der Amtsübernahme von Präsident Donald Trump noch 4,7 Prozent Zins fällig. Seit er im April aber unter dem Druck der Anleihemärkte erkannt hat, dass die totale Konfrontation mit allen wichtigen Handelspartnern, kombiniert mit einer sehr expansiven Haushaltspolitik, die Zinsen an den Märkten nach oben treibt, hat er ein Einlenken signalisiert, und die amerikanischen Renditen sinken tendenziell.
Der Rückgang in den vergangenen drei Monaten war so deutlich wie in keiner der anderen größeren Volkswirtschaften. Frankreich ist einer der wenigen unter den großen Schuldnern mit deutlichem Anstieg, Großbritannien liegt auch leicht höher, aber auch für Deutschland hat sich der Wind gedreht. Mit 2,65 Prozent liegt die größte europäische Volkswirtschaft immer noch niedriger als die meisten anderen Länder. Anders aber als in Italien, Spanien und Portugal zum Beispiel gingen hierzulande die Zinssätze zuletzt nicht zurück. Nachrichten, wonach die zunächst als Investitionsprogramme angekündigten Schuldenpakete in vielen Fällen durch das Stopfen von Löchern an anderen Stellen verwässert werden, kommen an den Kapitalmärkten nicht gut an.
Länder, die Ersparnisse am Kapitalmarkt fördern, haben Vorteile
Aber auch hier zeigt die Entwicklung der Niederlande, dass in politisch weniger stabilen Zeiten das Vertrauen der Märkte nicht verloren gehen muss. Die Rendite von 2,8 Prozent liegt weit unter der Großbritanniens und Frankreichs. Auch in Skandinavien regieren immer wieder Minderheitsregierungen. Die Märkte verlangen von Schweden derzeit mit 2,5 Prozent sogar noch niedrigere Zinsen als von Deutschland. Für die Niederlande und Schweden spricht, dass politische Mehrheiten die Altersvorsorge schon vor vielen Jahren im Angesicht der demographischen Herausforderungen durch Ersparnisse am Kapitalmarkt ergänzt haben.
Beim Blick auf die Staatsfinanzen werden die Sozialversicherungssysteme und ihr Stützungsbedarf aus Steuermitteln eine immer wichtigere Rolle einnehmen. Länder, deren politischer Konsens unabhängig von der jeweils aktuellen Regierung wie in Schweden oder den Niederlanden Ersparnisse am Kapitalmarkt fördert und fordert, haben hier klare Vorteile gegenüber Ländern wie Deutschland, in denen politisch keine Mehrheit für eine substanzielle Ergänzung des Umlageverfahrens durch Ersparnisse am Kapitalmarkt besteht und in denen rechts und links der Mitte ausweislich der Wahlprogramme von Linken und AfD sogar noch viel mehr Geld in das bestehende Rentensystem gepumpt und die gesetzlichen Renten deutlich erhöht werden sollen.
Unternehmen sind nicht gleich das Land, in dem sie sitzen
Die Märkte unterscheiden zudem zwischen Unternehmen und Staaten. Zuletzt wurden die Finanzen von Apple zum Beispiel als ähnlich solide eingeschätzt wie jene des amerikanischen Staats, obwohl der das Recht des Steuereintreibens hat. Die französischen Unternehmen im Aktienleitindex CAC40 übertreffen die 40 Dax-Konzerne um ein Fünftel im Wert. Vergleichbar sind die Schwierigkeiten der Autoaktien. Vergleichbar sind auch die Kursgewinne der Bankaktien.
Der große Unterschied ist die Luxusgüterindustrie. Mit LVMH (248 Milliarden Euro Börsenwert), Hermès (216 Milliarden Euro) und L’Oréal (215 Milliarden Euro) dominieren drei Unternehmen den Index aus einer Branche, die es in Deutschland kaum gibt im Dax. Dass der CAC40 seit Jahresbeginn nur fünf Prozent im Plus liegt, der Dax aber 19 Prozent, liegt vor allem an dem Kursminus von 22 Prozent für LVMH.
Die Aktienkurse werden aber meist mehr von der Weltkonjunktur als vom lokalen politischen Geschehen beeinflusst. Insofern richteten sich am Dienstag die Blicke der Börsianer vermehrt auf die amerikanische Zinspolitik und die Wahrscheinlichkeit, die einer Zinssenkung um 50 Basispunkte nächste Woche beigemessen wird.
Mittlerweile können sich immer mehr Marktteilnehmer auch diesen großen Zinsschritt vorstellen, nachdem die Arbeitsmarktdaten zuletzt abermals enttäuscht hatten. Der Dollar war mit 1,1779 für einen Euro so schwach wie seit Juli nicht. Sinken die Zinsen in Amerika, wird die Geldanlage dort unattraktiver. Gegenbeispiel ist die Schweiz mit ihren Nullzinsen und einer dennoch starken Währung. Der Franken gilt neben Gold vielen Anlegern als einer der letzten sicheren Häfen. Gold hat am Dienstag ein weiteres Rekordhoch verzeichnet.