Neue Kampagne zeigt Eltern Wege gegen Cybergrooming | ABC-Z

Es sind erschreckende Zahlen. Im Jahr 2024 wurden knapp 50.000 Fälle sexualisierter Gewalt gegen Minderjährige registriert, wie aus dem aktuellen Bundeslagebild des Bundeskriminalamts (BKA) hervorgeht. Die Werte wirken abstrakt, und doch zeichnen sie ein alarmierendes Bild: Immer häufiger geraten Kinder und Jugendliche ins Visier von Täterinnen und Tätern.
Dabei spielt sich die Gewalt längst nicht mehr nur im unmittelbaren Umfeld ab – sie verlagert sich in digitale Räume, in Chats, Spieleplattformen und soziale Netzwerke. Fast täglich erreichen die Behörden Hunderte Hinweise auf Missbrauchsdarstellungen und Verdachtsfälle. Hinter jeder Zahl steckt ein Kind, das verletzt wurde – oder eines, das in Gefahr ist.
Eine neue Kampagne der Kinderrechtsorganisation ECPAT Deutschland will das ändern. Entwickelt mit Jugendlichen selbst, soll sie dort ansetzen, wo Aufklärung bislang kaum ankommt: auf TikTok, Instagram und in Gaming-Chats.
Sexualisierte Gewalt: Warum Kinder und Jugendliche online besonders gefährdet sind
Die Verwundbarkeit von Kindern im Netz hängt eng mit ihrem digitalen Alltag zusammen. Fast 60 Prozent der Minderjährigen surfen regelmäßig allein, nahezu alle zwischen zehn und 18 Jahren nutzen Online-Spiele oder soziale Medien, heißt es beim BKA. Was für sie Teil des sozialen Lebens ist, eröffnet Täterinnen und Tätern einen direkten Zugang.
Das Bundeskriminalamt beobachtet seit Jahren eine klare Entwicklung: Digitale Kanäle werden gezielt als Tatmittel eingesetzt. Täter geben sich in Chats oder Spielen als Gleichaltrige aus, bauen über Wochen Vertrauen auf und nutzen dieses dann, um Kinder zu manipulieren.
Cybergrooming, Sextortion und Livestreaming – Wie Täter vorgehen
Die Methoden unterscheiden sich, doch das Grundmuster bleibt gleich: Vertrauen gewinnen, Abhängigkeit schaffen, Kontrolle ausüben.
Beim Cybergrooming, erklärt das BKA, knüpften Täterinnen und Täter in sozialen Medien oder Games Kontakt zu Kindern, um sexuelle Handlungen anzubahnen. Oft beginne dies mit scheinbar harmlosen Gesprächen, die nach und nach in eine manipulative Richtung gelenkt würden.
Nicht selten gehe dieses Vorgehen in Sextortion über. Darunter versteht man nach Angaben der Behörde eine Form der Erpressung, bei der Täter mit der Veröffentlichung intimer Bilder drohten, um weitere Aufnahmen, sexuelle Handlungen oder Geldzahlungen zu erzwingen.
Noch perfider sei das Livestreaming sexueller Gewalt. Hierfür bezahlten Täterinnen und Täter, um Missbrauchshandlungen in Echtzeit verfolgen zu können – oftmals sogar mit der Möglichkeit, per Chat Anweisungen zu geben. Laut BKA fänden solche Taten häufig in Entwicklungs- oder Schwellenländern statt, konsumiert würden sie hingegen überwiegend in westlichen Industrienationen.
Auch interessant
Jugendliche ahnungslos: Jeder Vierte erlebt sexuelle Kontaktversuche
Wie verbreitet das Problem ist, zeigt eine aktuelle Befragung der Landesanstalt für Medien NRW: Ein Viertel der Minderjährigen hat bereits eine digitale Kontaktanbahnung mit sexueller Absicht erlebt. Viele dieser Kinder und Jugendlichen hätten jedoch keine Vorstellung davon, dass das, was ihnen im Chat widerfahre, strafbar sei. Scham und Angst verhinderten zudem häufig, dass sie Hilfe suchten.
Genau an diesem Punkt setzt die neue Kampagne von ECPAT Deutschland e.V. an. Sie will Jugendlichen klar machen, dass sie nicht schutzlos sind, dass das Netz kein rechtsfreier Raum ist – und dass es Hilfe gibt.
ECPAT-Kampagne: Aufklärung auf TikTok und Instagram
Die Aufklärungskampagne wurde nicht über die Köpfe der Jugendlichen hinweg konzipiert. In Workshops und Online-Sessions brachten junge Menschen ihre eigenen Ideen für Sprache, Bildwelt und Formate ein. „Uns war wichtig, dass die Kampagne nicht von Erwachsenen diktiert wird, sondern dass Jugendliche ihre Realität abbilden“, sagt Lea Peters, Referentin für Kinderschutz bei ECPAT.
Herausgekommen ist eine Kampagne, die Fragen beantwortet wie:
- Woran erkenne ich Cybergrooming oder Sextortion?
- Was sind Red Flags in Chats?
- Welche Rechte habe ich – und wo bekomme ich Hilfe?
Neben Videos und Slides auf Social Media bündelt eine umfangreiche Landingpage alle Informationen und Notfalladressen.
Gefahren im Internet: Eltern brauchen Hilfe und verbindliche Maßnahmen
Auch Eltern sollen handlungsfähig bleiben. Über die ECPAT Academy werden Online-Kurse angeboten, die erklären, wie sich digitale Gewalt äußert, welche Warnsignale ernst zu nehmen sind und wie Erwachsene ihre Kinder stärken können.
Doch ECPAT macht auch deutlich: Aufklärung allein genügt nicht. Kinder haben ein Recht auf sichere digitale Räume – und dafür braucht es verbindliche Regeln. Deshalb begleitet ECPAT die Kampagne mit politischen Forderungen, die im September bei einem parlamentarischen Frühstück und einem Fachtag in Berlin diskutiert werden.
Gefordert wird unter anderem, dass Plattformen von Beginn an altersgerecht und sicher gestaltet werden, mit strengeren Kontaktmöglichkeiten, verpflichtender Prävention und einer schnellen Weitergabe von Verdachtsfällen an die Behörden. Ein pauschales Nutzungsverbot lehnt ECPAT jedoch ab. „Auch mit 16 verschwinden die Risiken nicht automatisch“, erklärt Peters. Entscheidend sei, dass digitale Räume so konstruiert sind, dass sie junge Menschen schützen – unabhängig vom Alter.
Familienministerin Prien: „Eine der dringendsten Aufgaben unserer Zeit“
Auch aus der Politik kommen klare Worte. Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) bezeichnete den Schutz junger Menschen vor sexualisierter Gewalt als „eine der dringendsten Aufgaben unserer Zeit“. Die Gefahr sei vielfältig – von Grooming über Sextortion bis zu Deepfakes – und reiche weit über den digitalen Raum hinaus. „Sexualisierte Gewalt geschieht auch im sozialen Nahraum, dort, wo Kinder sich eigentlich sicher fühlen sollten – bei Verwandten, Nachbarn oder vertrauten Bezugspersonen“, warnte Prien.
Ein FUNKE Liebe
Alle zwei Wochen sonntags: Antworten auf Beziehungsfragen – ehrlich, nah und alltagstauglich.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der
Werbevereinbarung
zu.
Die Kampagne von ECPAT ist ein wichtiger Schritt, weil sie Jugendliche direkt dort abholt, wo sie sich bewegen – im Netz. Doch wirklichen Schutz können Kinder nur dann erfahren, wenn Politik, Plattformbetreiber, Eltern und die Gesellschaft gemeinsam handeln.
Digitale Gewalt ist kein Randthema, sondern längst Teil des Alltags. Kinder brauchen Räume, in denen sie sicher sind – online wie offline.