Kultur

“Das draußen ist irgendwo mein Leben”: Julia Engelmann schreibt ihren ersten Roman | ABC-Z

Autorin Julia Engelmann erlebte ihren Durchbruch 2014 mit dem Slam-Text „Eines Tages, Baby“. Es ging über den Verlust von Zeit und die Angst, wichtige Erlebnisse zu verpassen. Ihre Gedichtbände landeten bereits auf der Spiegel Bestseller-Liste, jetzt veröffentlicht die 33-Jährige ihren ersten Roman. Die Coming-of-Age-Geschichte „Himmel ohne Ende“ widmet sich wieder dem Gefühl, Zeit zu vergeuden und das eigene Leben dabei zu verpassen. Der Roman pendelt dabei zwischen erdrückender Schwermut und aufkeimender Hoffnung und Lebenslust.

„Da draußen ist irgendwo mein Leben und ich habe keine Ahnung, wie ich darankommen soll“, denkt die 15-jährige Charlie, während sie das Gefühl nicht loswird, zwischen ihr und dem Leben befände sich eine unüberwindbare Glasscheibe. Ihr Vater ist schon vor einiger Zeit abgehauen und als dann auch noch ihre beste Freundin beginnt, sie zu ignorieren, ist Charlie einsamer und isolierter denn je.

Die traurige Monotonie ihres Lebens wird erst durchbrochen, als ein neuer Schüler in ihre Klasse kommt. Durch die Freundschaft zu ihm schöpft Charlie neue Hoffnung und schafft es sich aus „dem Loch“, wie ihr Freund es nennt, herauszuziehen. Gerade zu Beginn macht sich Charlie ständig Sorgen zu still zu sein, nie die richtigen Worte zu finden und selbst wenn sie sie einmal gefunden hat, diese nicht aussprechen zu können. Darum ist es passend, dass auch ihre Entwicklung eher leise, in ihr selbst abläuft.

Die Schriftstellerin Julia Engelmann.
Die Schriftstellerin Julia Engelmann.
© Fabian Raabe/Diogenes Verlag
Die Schriftstellerin Julia Engelmann.

von Fabian Raabe/Diogenes Verlag

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Julia Engelmann zeigt, wie alltäglich und oft unsichtbar psychische Erkrankungen sind. Charlie wünscht sich in ihren depressiven Phasen einfach zu verschwinden und will gleichzeitig ihrem immer gleichen, einsamen Leben entfliehen. Sie bewundert ihren besten Freund, der weiß wer er ist und dem alles so leicht zu fallen scheint. Doch auch er hat mit seinen eigenen Problemen zu kämpfen.

Verloren zwischen Kindheit und Erwachsenenalter

In erster Linie ist „Himmel ohne Ende“ eine Geschichte über Freundschaft. Charlie ist in einen ihrer Mitschüler unglücklich verliebt. Dafür lernt sie neue und altbekannte Menschen neu kennen und lieben und beginnt tiefer zu verstehen, was es bedeutet befreundet zu sein.

Der Fokus des Buches liegt klar auf den Beziehungen zwischen den Figuren und Charlies innerer Entwicklung. Die Handlung an sich ist hingegen eher unspektakulär. Als Leser folgt man dem ganz normalen Alltag einer 15-jährigen Schülerin, wie ihn viele erleben oder erlebt haben. Dies lässt die Charaktere und ihre Gefühle unglaublich real wirken. Zudem wird hier Engelmanns Hintergrund als Dichterin erkennbar. Durch die simple und dennoch poetische Sprache wirken alltägliche Szenen plötzlich bedeutsam und unerwartet schön. Zum Beispiel , wenn Charlie beschreibt, sie könne wie der Mond nicht von allein aus sich heraus leuchten oder wenn sie sich nach einem spontanen Ausflug wieder lebendig fühlt und beschreibt: „Da war mir, als wäre der Himmel noch weiter als sonst, als wären auch meine Gedanken ein bisschen weiter, als hätte sich sogar der Rand des Universums um ein paar Schritte verschoben“. Besonders schön sind auch die Beobachtungen kleiner, alltäglicher Rituale und Routinen, die unterstreichen, dass Engelmann hier ein Stück normales Leben erzählt.

Social Media spielt merkwürdigerweise keine Rolle 

Der besondere Blick auf die Welt zeigt sich vor allem im inneren Monolog der nachdenklichen Protagonistin. Sie fühlt sich in der Schwebe zwischen Kindheit und Erwachsenenalter verloren und stellt Fragen an die Welt, das Leben und sich selbst stellt. Dadurch könnte man dem Buch vorwerfen zu gewollt tiefgründig zu sein. Aber genau diese Verkopftheiten passen eben sehr gut zu der Lebensphase als Teenager, wenn gerade alles – die Meinungen der anderen und jeder Liebeskummer – besonders dramatisch erscheint.

Engelmann trifft sehr gut den Ton einer 15-jährigen. Einzig dass Social Media, trotz Charlies Hang ihr Leben mit dem von anderen zu vergleichen, keine Rolle spielt, könnte jugendlichen Lesern von Heute die Identifikation mit der Geschichte erschweren. Sonst ist Julia Engelmann mit „Himmel ohne Ende“ eine realistische Momentaufnahme des Lebensgefühls in einer besonderen Phase gelungen.

Julia Engelmann: „Himmel ohne Ende“ (Diogenes, 336 S., 25 Euro)

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