Rassistische Traditionen im Sport: Colo-Colo und der Kolonialismus | ABC-Z

Einer der wichtigsten Fußballklubs in Lateinamerika bestreitet seine Heimspiele im Estadio Monumental in Santiago de Chile. Auf dem Weg zur Haupttribüne passiert man eine schwarze Büste. Sie soll den Mann zeigen, nach dem der Verein benannt ist. An den Außenwänden und im Klubmuseum begegnet man dieser Figur ebenfalls, zum Beispiel auf dem vierzackigen Wappen. Darauf ist ein Mann mit langen schwarzen Haaren und einem weißen Stirnband abgebildet: Colo Colo.
Die Fans des chilenischen Rekordmeisters blicken mit Stolz auf den Namenspaten, einen indigenen Anführer aus dem 16. Jahrhundert, der die spanische Kolonialmacht lange zurückgedrängt hatte. Colo Colo gilt als mutig, standhaft, umsichtig. Und so wählte eine Gruppe chilenischer Lehrer 1925 ihn aus, um ihren neuen Verein mit Bedeutung aufzuladen.
„Seit Generationen nutzen Sportvereine Karikaturen von indigenen Menschen für ihre Logos und Maskottchen“, sagt die chilenische Forscherin Daniela Bustamante, die sich mit Kolonialgeschichte befasst. „Bei Colo Colo aber handelte es sich um eine konkrete Person der Zeitgeschichte. Das ist ein Paradebeispiel für kulturelle Aneignung.“
Daniela Bustamante, Wissenschaftlerin
Colo-Colo stieg im 20. Jahrhundert zum erfolgreichsten Klub Chiles auf, inzwischen mit 34 Meisterschaften und 14 Pokalsiegen. Zugleich vertieften unterschiedliche Regierungen die Ausgrenzung der Mapuche, der größten indigenen Minderheit im Land. Immer wieder wurden ihre Grundstücke für die Industrie enteignet oder an Siedler aus Europa übertragen.
„Viele Mapuche leugneten ihre Identität und legten sich spanisch klingende Nachnamen zu“, sagt der chilenische Autor Álvaro Campos. Bei Colo-Colo galt Alfonso Neculñir in den 1980er Jahren als erster Spieler mit Mapuche-Wurzeln. Noch heute sind Mapuche überproportional häufig von Arbeitslosigkeit, Armut und Alkoholsucht betroffen.
Internationaler Tag der indigenen Bevölkerungen
Die Vereinten Nationen begehen jährlich am 9. August den Internationalen Tag der indigenen Bevölkerungen. In der UN-Erklärung über die Rechte indigener Völker wird die Zustimmung der Betroffenen für die Nutzung ihrer Bilder als elementar hervorgehoben. Diese Zustimmung liegt in Lateinamerika selten vor. Einige Fußballklubs haben sich dort nach den Guaraní benannt. Angehörige dieser Minderheit leben in Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay und Bolivien.
Im frühen 20. Jahrhundert wurde den Guaraní ein großer Teil ihrer Ländereien geraubt. „Sie sind eine der am meisten gefährdeten indigenen Gruppen der Welt“, schreibt die brasilianische Nichtregierungsorganisation Cimi. Beim Guarani FC aus dem Bundesstaat São Paulo erfährt man darüber nichts. Und auch in Paraguay gibt es beim elfmaligen Landesmeister Club Guarani keine Diskussion über kulturelle Aneignung.
Man könnte den Eindruck gewinnen, das Thema spiele nur in früheren Kolonien wie Chile oder Brasilien eine Rolle, aber das wäre verkürzt. In Großbritannien hatte das Rugbyteam der Exeter Chiefs lange die Zeichnung eines indigenen Anführers mit Haarschmuck im Logo. Heimische Fans unterzeichneten eine Petition dagegen. Nach langem Zögern stimmte der Klub einer Änderung zu und spielt in seinem Logo nun auf die Dumnonier an, einen keltischen Stamm, der vor mehr als 2.000 Jahren im Südwesten des heutigen Britannien gesiedelt hatte.
Auch in der früheren Kolonialmacht Belgien lassen sich Abbilder indigener Anführer bis heute in Sportlogos finden, etwa beim Fußballklub KAA Gent. Auf seiner Internetseite thematisiert der KAA sein Logo und dessen Geschichte.
Am lautesten ist die Debatte in den USA. Mehrere hundert Sportteams hatten sich dort in Profiligen, Universitäten und Schulen als „Indianer“, „Rote Männer“ oder „Krieger“ bezeichnet. Ihre Wappen zeigten indigene Männer mit übergroßen Lippen, roter Haut und Federschmuck. „Junge Menschen indigener Herkunft fühlen sich dadurch stigmatisiert und entmenschlicht“, sagt Rebecca Nagle, Aktivistin der indigenen Cherokee. „Und leider gibt es dazu selten eine Gegenerzählung. Der aktuelle Alltag indigener Menschen wird in Medien oder Filmen kaum dargestellt.“
Proficlubs in den USA – und Donald Trump
Seit den 1960ern gibt es in den USA Proteste. Von den rund 2.000 rassistischen Sportsymbolen wurden mit der Zeit fast drei Viertel abgelegt. Auch exotische Tänze von Cheerleadern und die Gesichtsbemalung von Stadionmusikern verschwanden allmählich. Aufklärung kam meist von indigenen Gruppen, fast nie von den Klubs selbst.
Nach dem Mord an George Floyd 2020 und der Black-Lives-Matter-Bewegung gerieten auch Klubs unter Druck. In Cleveland bezeichnet sich das Baseballteam „Indians“ seit 2021 als Guardians. In Washington tragen die früheren „Redskins“ seit 2022 den Namen „Commanders“. Doch viele Fans fühlten sich um ihre Tradition betrogen. Jüngst forderte US-Präsident Donald Trump, dass der Klub zum Namen „Redskins“ zurückkehren solle. Andernfalls werde er den Bau eines Stadions blockieren. Viele seiner Anhänger jubelten.
In Chile gibt es eine solche Debatte nicht. Und so gehört die Vereinnahmung des bekanntesten Fußballvereins seit Generationen zum Alltag. Der rechtsnationale Unternehmer Sebastián Piñera etwa war zwischen 2006 und 2010 Eigentümer von Colo-Colo. Später wurde er zum Präsidenten Chiles gewählt. Willkürliche Festnahmen und Kontrollen von Mapuche nahmen zu.
2019 protestierten Hunderttausende Menschen in Santiago gegen die Regierung Piñeras und hohe Lebenshaltungskosten. „Auch die Rechte der Mapuche wurden damals intensiv diskutiert“, sagt der indigene Autor Claudio Alvarado Lincopi. „Und viele Fans von Colo Colo haben sich an den Demos beteiligt.“
Nach den Protesten sollte eine Volksversammlung in Chile eine neue Verfassung erarbeiten. Es entstand ein fortschrittlicher Entwurf: Indigene Gruppen wie die Mapuche, die in der alten Verfassung aus Zeiten der Militärdiktatur gar nicht vorkamen, sollten Sonderrechte erhalten, beispielsweise das Recht auf Autonomie und die Förderung ihrer Traditionen.
Anhänger von Colo-Colo machten sich für diesen Entwurf stark. Der Klub zeigt in seinem Stadion die Flagge der Mapuche und verwendet zum Teil ihre traditionelle Sprache. Eine Botschaft: „Verteidigt unser Trikot so, wie die Mapuche ihr Land verteidigen.“ Handelt es sich dabei um eine politische Fankultur? Oder werden Jahrhunderte der Unterdrückung verharmlost? Noch werden diese Fragen verhalten diskutiert. Der neue Verfassungsentwurf wurde übrigens von einer Mehrheit der Bevölkerung klar abgelehnt.