Ausstellung “Für Kinder” im Haus der Kunst, München. – Kultur | ABC-Z

Kinder und Kunst: Das ist eine paradoxe Beziehung. Viele Kinder malen gerne, aber für Kunst interessieren sie sich selten. Beginnen sie, sich für Kunst zu erwärmen, erscheint ihnen das Malen schwierig und peinlich. Erwachsene wiederum bewundern seit Beginn der Moderne, wie locker und originell Kinder mit Stift und Pinsel hantieren, freier, inspirierter und fähiger als die Erwachsenen. Aber Kunst? Nein, das sind Kinderzeichnungen natürlich nicht. Und seltsam: Es gibt Filme, Bücher, Hörspiele, Fernsehen und Theater für Kinder. Nur keine Kunstausstellungen.
Mit einer fulminanten – und in diesen Regenwochen spektakulär gut besuchten – Ausstellung versucht das Münchner Haus der Kunst nun genau das: Es zeigt zeitgenössische Kunst seit 1968, aber sehr anders als gewohnt: „Für Kinder“.
Einige der Arbeiten zielen auf Empfindungen und Instinkte ab, die bei Erwachsenen, so die Vermutung, nicht mehr aktivierbar sind. Da ist etwa Antoine Catalas verwunschener Kunststoffgarten mit seinen Wiesen, Hügeln, Bäumen, Teichen und Lautsprechersteinen. Die in Halbdunkel getauchte synthetische Landschaft lädt nicht nur zum Klettern und Verstecken ein, sie ist auch voller Zeichen und Geräusche. In die künstlichen Felsen sind Piktogramme geprägt, mit denen autistische Kinder Handlungen unterscheiden und benennen lernen sollen. Für Erwachsene sind sie hingegen schwer zu entziffern.
Oder Ernesto Netos Installation „Uni Verso Bébé II Lab“, ein zeltartiger riesiger, weißer Mutterleib, dessen Inneres voller weicher Stoffe, Bälle und Kissen ein urvertrautes Gefühl von Geborgenheit, Intimität und Leichtigkeit vermitteln soll.
Andere Künstler begeistern die Kinder durch gezielten Bruch von Konventionen. Wie Basim Magdy, der für „Pingpinpoolpong“ Tischtennisplatten um Schikanen und Hindernisse ergänzt hat. Die Besucher praktizieren dort einen Mix aus Tischtennis, Billard und Flipper, eine „unausführbare Sportart“, die scheitern und lachen lässt, wie der Wandtext wahrheitsgemäß vorhersagt. Die magnetförmige Skate-Skulptur, die Koo Jeong A auf der Eisbachseite des Hauses gezimmert hat – teils außen, teils innen –, ist hingegen vom längst etablierten Regelverstoß der Skateboarder inspiriert, die die flachen Rampen schon vor Jahrzehnten entdeckt haben.

Andere Künstler helfen den Kindern beim Umgang mit einer furchteinflößenden Welt. Eva Kotátková hat mit ihrer Tochter einen ganzen Raum mit Zeitungsseiten tapeziert, samt düsteren Bildern von Krieg, Katastrophen und Vertreibung. Doch aus dem von guten Monstern und Schlangen beschützten kleinen Raum in der Mitte, der als Versteck und Ausguck dient, lässt sich das leichter ertragen.

Der indonesische Künstler und Puppenspieler Agus Nur Amal Pmtoh wiederum erklärt Kindern den Tsunami, der seine Heimat Aceh 2004 heimgesucht hat, und wie die Menschen sich danach halfen. Mit einer riesigen stilisierten Welle, die Hunderte von Spielzeugen wegschwemmt, mit einem kreisförmigen Förderband und mit den Videos seiner ironisch-ernsten Kasperletheater-Aufführungen zur Traumabewältigung.

:Wegsehen ist eine Schande
Im Sudan wütet ein beinahe vergessener Krieg – dabei ist er einer der grausamsten Konflikte der Gegenwart. Eine erschütternde Reise in die einstige Millionenstadt Khartum, die kaum noch existiert.
Wie viele Ausstellungen mit zeitgenössischer Kunst begeistert und strapaziert auch diese die Besucher mit Videoarbeiten. Besonders gebannt sahen sie den „Einschlafgeschichten“ von Harun Farocki aus den Siebzigerjahren zu. Der Avantgardefilmer hat die improvisierten Geschichten, die er sich abends mit seinen Zwillingstöchtern ausdachte, als kleine Filme inszeniert, in denen die Mädchen als Erzählerinnen fungieren – noch so eine Eltern-Kind-Kooperation. Der Witz liegt im Transfer von der spontan herbeifabulierten Geschichte in das Medium Film, das unerwartet zum Beleg dafür wird, dass selbst die fantastischsten Begebenheiten sich genau so tatsächlich zutragen könnten. Und weil es zwei sehr wache Kinder sind, die erzählen, bevor sie sich schlafen legen, kann es sich ja auch nicht um Träume handeln.
Eine Ausstellung für Kinder ist immer auch eine Ausstellung für Eltern. Erfreut nehmen sie zur Kenntnis, dass auch einige Namen, die sie aus ihren Erwachsenenausstellungen kennen, hier vertreten sind. Klar, die Kinder sollen Spaß haben, aber sie sollen auch an die Kunst herangeführt werden: Doch nicht immer funktioniert das. Olafur Eliasson kommt mit einer Lego-Stadt ganz in Weiß zum Selbstbauen bei allen Generationen bestens an, auch wenn die Idee nicht rasend originell ist. Aber mit Bruce Naumann oder Meredith Monks Beiträgen wissen die Kinder wenig anzufangen.

:Sie liebten und inspirierten sich
Fünf Freunde sollt ihr sein: Das Münchner Museum Brandhorst erzählt die Geschichte der einflussreichen New Yorker Künstler Jasper Johns, Cy Twombly, Robert Rauschenberg, John Cage und Merce Cunningham.
Gelegentlich sind Kinder auch gar nicht Adressaten, sondern eher Thema der Arbeiten, wie bei den beiden Videos von Lygia Pape und Ana Mendieta, die beide Spielaktionen mit riesigen Tüchern aus den Sechzigern und Siebzigern zeigen. Interessant sind sie trotzdem. Was damals noch Performance-Kunst war, kann man heute bei jedem Grundschulfest erleben.
Die Ausstellung ist eine große Lernerfahrung. Vor allem für das Museum
Die Ausstellung verlangt den Kindern einiges ab, weil vieles dort so weit entfernt ist von der eingespielten Kinder-Ästhetik. Noch mehr aber ist das Museum gefordert, das von den Erfahrungen mit dieser Ausstellung am meisten lernen dürfte. Die Aufsichten taten sich teils schwer, nicht nur mit einem vollen Haus, sondern auch mit einem Haus voller Kinder, die Kunst anfassen, herumtragen, auftürmen wollen. Mehrfach herrschten sie sie barsch an.
Und nicht alles, was sich die Kuratoren ausgedacht haben, funktioniert. Die brasilianische Künstlerin Rivane Neuenschwander hat Kinder nach ihren größten Ängsten gefragt und mit ihnen Umhänge wie von Superhelden entworfen, die gegen Gefahren schützen sollen: Spinnen, Atomkraftwerke, Umweltverschmutzung oder Dunkelheit. Doch weil die Kostüme sehr kostbar sind, hängen sie von der Decke und dürfen nur einmal im Monat anprobiert werden. Für Kinder uninteressant. Aufwendigere Mitmach-Kunstwerke wie die Höhle von Ernesto Neto oder die Digitalinstallation „The Lost Jungle“ vom indonesischen Künstlerkollektiv Tromarama, bei der die Kinder eine prachtvolle virtuelle Dschungelwelt via iPad mit Tieren bevölkern können, waren beim Besuch des Autors geschlossen oder außer Betrieb.
Auch die Arbeit am grandiosen, Hunderte Quadratmeter großen Kollektivkunstwerk „Mega Please Draw Freely“, das die Kinder direkt auf den Nazimarmor in der Eingangshalle malen, ruhte gerade, weil die Nässe draußen die Farbe auflöst. Wie die ideale Kunstausstellung für Kinder wirklich aussehen würde, erfährt man auch hier nicht. Aber „Für Kinder“ kommt dem schon ziemlich nahe.
Für Kinder. Kunstgeschichten seit 1968. Haus der Kunst, München. Bis 1. Februar 2026.