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Snakke tu mi! Die Wiederbelebung der Sprache der Helgoländer – Panorama | ABC-Z

„Niks es eewi“, so heißt es auf Helgoländisch: Nichts ist ewig. Und doch: Der Mensch hängt an alten Dingen. Sie erzählen von der „ool gud Tid“, der guten alten Zeit. So sagt man zumindest auf der Felseninsel.

Wobei: Auf Helgoland war sie wirklich nicht gut, die gute alte Zeit. „Di must frem snakke, dat di iaan fan di Fastewal hairoate kanst.“ – „Du musst Hochdeutsch sprechen, damit du jemanden vom Festland heiraten kannst.“ Das habe man jungen Frauen früher dort eingebläut, berichtet der 22-jährige Helgoländer Jakob Martens. Auf seiner Insel, da war die Armut groß. Vereint wurden die Insulaner durch ihre Sprache: Helgoländer Friesisch, das man auch Halunder nennt. Es enthält allerlei Lehnwörter – die Friesen hatten die karge Insel bereits im 7. Jahrhundert besiedelt, später stand sie unter dänischer und britischer Verwaltung. Doch so gut wie jetzt ging es den Bewohnern – heute leben 1300 Menschen aus rund 40 Ländern hier – wirtschaftlich noch nie. Rund 300 000 Touristen pro Jahr, sogar ein mexikanisches Restaurant gibt es! Nur Halunder stirbt aus. Kaum mehr als 100 Helgoländer sprechen es noch, jung sind sie alle nicht mehr.

Gut, könnte man sagen, die Zukunft gehört ohnehin Englisch, Mandarin-Chinesisch, Spanisch, Hindi, Arabisch oder Russisch. Statistisch gesehen stirbt alle zwei Wochen eine Sprache, warum nicht auch Halunder? Doch Jakob Martens möchte sich damit nicht abfinden. Im Rahmen seiner Bachelorarbeit an der Universität Potsdam programmierte der Digital-Business-Student ein im Umgang mit KI weltweit einmaliges Übersetzungstool namens halunder.ai. „Meine 86-jährige Großmutter hat vor Glück geweint, als ich es vorstellte.“ Nun tüftelt Martens an neuen Begriffen, etwa für „Internet“, „Computer“ oder „Windkraft“. Seit den Neunzigern hat sich an der Langen Anna in Sachen Friesisch nämlich nicht mehr viel getan.

Und wahrscheinlich ist sein Projekt eine gute Idee, denn Sprachforscher und Soziologen hatten zuletzt immer wieder vor dem Identitätsverlust gewarnt, der mit dem Verlust von Sprache einhergehen kann. Mögliche Folgen: Depression, Drogen, Arbeitslosigkeit. Der ungarische Linguist András Kornai warnte, dass von den etwa 7000 noch lebenden Sprachen 95 Prozent den Übergang ins digitale Zeitalter langfristig nicht schaffen werden. Auch „Timm Thaler“-Autor James Krüss (1926–1997), der viele Texte auf Halunder schrieb, glaubte nicht an das Weiterleben der Sprache seiner Helgoländer Kindheit. Doch Jakob Martens träumt von deren Renaissance. Er plant, sein Projekt sogar bis zur Doktorarbeit noch auszubauen. Unterstützer gebe es genug. „Sogar aus Kalifornien, Dänemark und von der Unesco wurde mir Interesse signalisiert.“

Und so bleibt es vielleicht doch noch ein bisschen am Leben, das „Helgoländisch“.  Obwohl bereits Liedtexter Hoffmann von Fallersleben („Der Kuckuck und der Esel“) Hochdeutsch bevorzugte, als er im August 1841 auf Helgoland während eines Strandurlaubs das „Lied der Deutschen“ schrieb. Auf Halunder klänge die zweite Strophe übrigens so: „Diitsk Wüffen, diitsk Trauen, diitsk Wiin en diitsk Sang.“ Keine Ahnung, ob sich damit noch heute einer vom Festland betören ließe.

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