Prozess wegen versuchten Totschlags: Die wichtigste Zeugin fehlt – Ebersberg | ABC-Z

Mit einem Korb mit Blau- und Himbeeren in der Hand habe er Petra L. (Name geändert) am 18. Juli vergangenen Jahres abgeholt, erinnert sich der Angeklagte, der als Beruf Einzelhandelskaufmann angegeben hat. Neben einem Geschenk habe er zwei Anglerstühle dabei gehabt – für ein Picknick „am Fluss“. Mit Fluss meint der 46-Jährige offenbar den Main: Er war nämlich nach Frankfurt gefahren, wo Petra, mit der er seit einem halben Jahr liiert war, aus dem Gefängnis entlassen worden war. Warum sie dreieinhalb Monate gesessen hatte, ist unklar.
Seine Freundin habe ihm schnell klargemacht, dass sie kein romantisches Picknick wolle – dafür aber etwas ganz anderes. „Sie dachte, ich hab’ was besorgt“, erzählt der Einzelhandelskaufmann mit gesenktem Blick und weinerlicher Stimme. Dabei habe er sie „von den Drogen wegholen und heiraten“ wollen. Petra habe zwar kein Heroin mehr gespritzt, dafür aber Kokain geschnupft und Crack geraucht.
Um „Tagesroutine zu schaffen“, habe er Termine bei einer Beratungsstelle in Grafing und bei einem Zahnarzt vereinbart und gehofft, dass seine Freundin einen Job findet. Stattdessen habe er nach München fahren müssen, wo Petra, die bei der Beschaffung von Drogen „clever ohne Ende“ sei, Kokain gekauft habe.
Wenige Tage später sei es dann passiert: „Aus heiterem Himmel“ sei Petra in seiner Wohnung in Anzing mit einem Glas auf ihn losgegangen. Er habe ihr das „dicke Glas“ aus der Hand geschlagen und sie gewürgt – „alles reflexmäßig“, betont der Einzelhandelskaufmann. Warum er viermal und so fest zugedrückt hat, dass das Leben seiner Freundin nach den „massiven Befunden“ der Rechtsmedizin akut gefährdet war, will der Vorsitzende Richter Thomas Bott wissen. Um Petra zu beruhigen, die „wie ein tasmanischer Teufel“ mit Fäusten auf ihn eingeschlagen habe, verteidigt sich der 46-Jährige.
Die Freundin wollte ihn offenbar wegen kinderpornografischer Videos verlassen
Der Richter hält hingegen eine andere Version für plausibel: Der kräftige Angeklagte, der seiner Freundin „doch relativ leicht Herr geworden“ wäre, habe zugedrückt, weil er „frustriert bis sauer“ gewesen sei, nachdem es in den Tagen zuvor „gar nicht nach Plan gelaufen ist“. Hinzu komme, dass seine Freundin angekündigt habe, ihn zu verlassen, nachdem er ihr an dem Abend offenbart habe, kinderpornografische Videos anzuschauen.
Gefunden wurden solche Videos nicht, obwohl der Einzelhandelskaufmann gegenüber der Polizei den Besitz eingeräumt hatte. Die Polizisten waren von der Vermieterin am frühen Morgen des 22. Juli verständigt worden, nachdem diese laute Schreie gehört hatte.
Weil die Staatsanwaltschaft von Tötungsvorsatz ausgeht, hat sie den 46-Jährigen nicht nur wegen gefährlicher Körperverletzung, sondern auch wegen versuchten Totschlags angeklagt. Richter Bott hält zudem eine Verurteilung wegen versuchter Vergewaltigung für möglich: Auch wenn es nicht zu sexuellen Handlungen gekommen sei, stehe im Raum, dass der Gewaltexzess sexuell motiviert war, erklärt der Richter zu Beginn der Verhandlung.
Gleichzeitig spricht er von einer „schwierigen Verfahrenssituation“: Petra L. ist nämlich nicht vor Gericht erschienen. Seit Monaten sei er „hinter ihr her“, sagt der Richter. Einmal habe er es geschafft, mit der „polytox süchtigen“ Frau zu telefonieren. Dabei habe sie signalisiert, sich als Nebenklägerin an dem Prozess beteiligen zu wollen. Allerdings ist auch der Anwalt, den sie sich hat beiordnen lassen, zur Verhandlung nicht erschienen.
Wenn die Hauptbelastungszeugin „alles andere als Strafverfolgungsinteresse zeigt“, sei die Beweisführung schwierig, gibt der Vorsitzende zu bedenken. Zwar mache die Strafkammer „normal keine Verständigung in Schwurgerichtssachen“. Hier handele es sich jedoch um eine „totale Ausnahmesituation“. Dem vom Gericht nach einem Rechtsgespräch vorgeschlagenen Strafrahmen mit einer Untergrenze von drei Jahren und acht Monaten und einer Obergrenze von vier Jahren und acht Monaten haben der Angeklagte und die Staatsanwältin zugestimmt. Der Prozess wird fortgesetzt.