Auf Gefühlssuche – Politik – SZ.de | ABC-Z

Politik ist eine Sache des Wortes. Man formuliert Anträge und Parteiprogramme, hält Reden und eröffnet Volksfeste, tauscht Positionen, Argumente und Schmutzeleien aus, um Kompromisse zu schmieden oder dem politischen Gegner einen linken Haken zu verpassen. Worte sind das wichtigste Werkzeug eines Politikers, ohne Worte keine Politik.
Hin und wieder allerdings ist Politik auch eine Sache des Gefühls, und auf solch einer Gefühlsfindungsmission war Lars Klingbeil am Montag in Washington unterwegs. Wie ticken sie, diese Amerikaner, lautete die vielleicht wichtigste Frage, auf die der Bundesfinanzminister, Vizekanzler und SPD-Chef in Washington nach Antworten suchte. Wovon sind Donald Trump und seine Mannschaft tatsächlich überzeugt, und was ist Propagandagehabe für die eigene Anhängerschaft? Was kann man mit oder trotz ihnen erreichen, etwa in der immer noch laufenden Zolldebatte? Und wer eigentlich ist in der Riege dieses irrlichternden Präsidenten nur Staffage, wer hat umgekehrt tatsächlich Trumps Ohr, dessen Tageslaune gerade Wohl und Wege des gesamten Weltgeschehens bestimmt?
Gewiss ist nur: Ein falscher Tritt kann bei Trump alles zerstören
Der Umgang mit dem de facto mächtigsten Mann der Welt ist und bleibt für die Bundesregierung eine Art Tanz auf rohen Eiern. Zwar hat ausgerechnet der manchmal so steife Kanzler Friedrich Merz (CDU) nach allgemeinem Dafürhalten ein überraschend herzliches Verhältnis zum Mann im Weißen Haus aufgebaut. Was Trump genau denkt, wie ausrechenbar und verlässlich er ist, darüber aber ist man sich im Berlin immer noch im Unklaren. Gewiss ist nur: Ein falscher Tritt kann jederzeit alles zerstören.
Ob Klingbeil am Ende seines nicht einmal 24-stündigen Aufenthalts in der US-Hauptstadt ein besseres Gefühl für das Machbare haben würde, wusste er zunächst selbst nicht. Die Sache erschien ihm jedoch wichtig genug, um die Reise überhaupt anzutreten – und das, obwohl sich außer seinem Amtskollegen Scott Bessent kein maßgeblicher Repräsentant gefunden hatte, der den Gast aus Deutschland empfangen konnte oder wollte: kein Vizepräsident, kein Wirtschaftsberater, kein Handelsbeauftragter, kein Notenbankchef. Es ist Urlaubszeit, auch in den USA, außerdem gibt es für die US-Regierung derzeit wichtigere Gesprächspartner als ausgerechnet die Deutschen. Und was auch zur Wahrheit gehört: Nicht wenige Trump-Berater gelten in Berlin als so verblendet, dass es kaum Sinn ergibt, sie überhaupt zu treffen. Peter Navarro etwa gehört in diese Liga, auch Kevin Hassett.
Also Bessent. Innerhalb der Bundesregierung glaubt man, dass der Ex-Hedgefonds-Manager zu den „Top 3“ in Trumps Umfeld gehört, zu den wenigen also, deren Wort im Ohr des Präsidenten zumindest gelegentlich Nachhall hinterlässt. Auch Außenminister Marco Rubio und Wirtschaftsminister Howard Lutnick zählen zu diesem kleinen Zirkel – wohl wissend, dass der Bauchmensch im Weißen Haus am Ende allein entscheidet und jeder in seiner Gunst ebenso rasch auf- wie auch wieder absteigen kann. Das gilt im Übrigen auch für geschätzte ausländische Amtskollegen wie Merz.
Die Hoffnung ist, dass es eine gute Arbeitsbeziehung gibt
„Das, was ich mir erhoffe, ist, dass es eine gute Arbeitsbeziehung gibt“, sagte Klingbeil vor seinem Treffen mit Bessent im Lafayette-Park vor dem Weißen Haus. „Es ist wichtig, wenn man sich kennt, wenn man sich vertraut, wenn man bei allen Unterschiedlichkeiten, die ja zweifelsohne da sind, auch weiß: Es gibt diesen direkten Draht, und wir können Dinge miteinander klären.“ Gerade in den internationalen Beziehungen sei „ein vernünftiges menschliches Miteinander sehr maßgeblich, und das wollen wir heute vertiefen“, so der Minister.
Bessent ist keiner, mit dem man rasch wirklich warm wird, mit dem man scherzt oder gar albert. Anders als etwa Verteidigungsminister Pete Hegseth aber zählt er nach Berliner Lesart zu den „Vernünftigen“ in Trumps Gefolge, deren Zahl noch kleiner ist als während der ersten Präsidentschaft. Bessent wird beispielsweise auch als möglicher neuer US-Notenbankgouverneur gehandelt, wenn die Amtszeit des ebenso hochseriösen wie von Trump verachteten bisherigen Behördenchefs Jerome Powell im Frühjahr kommenden Jahres abläuft. Es wäre bei allem Unbehagen darüber, dass nun ein Trump-Mann die Geschicke der wichtigsten Zentralbank der Welt lenkt, wohl noch die am wenigsten schlechte unter allen schlechten Lösungen.
Klingbeil hatte Bessent beim Treffen der Finanzminister aus den sieben führenden Industrienationen (G7) im Mai im kanadischen Banff erstmals gesprochen und seither mehrfach mit ihm telefoniert und gesimst. „Auch wenn die Zeiten gerade schwierig sind, glaube ich, dass es wichtig ist, dass wir von deutscher Seite immer wieder das klare Signal senden: Wir wollen eng mit der amerikanischen Regierung zusammenarbeiten“, so Klingbeil am Montag.
Wie schwierig das ist, hatte der Minister beim G-7-Treffen am eigenen Leib erfahren müssen. Noch kurz vor dem Abflug in Banff hatte er im Gespräch mit Bessent den Eindruck gewonnen, die US-Regierung sei im Zollstreit mit der EU gesprächs-, ja, womöglich gar kompromissbereit. Als er wenige Stunden später in Berlin wieder aus dem Flugzeug stieg, erhielt er die Nachricht, Trump habe die angedrohten Zölle auf Importe aus Europa gerade von 20 auf 30 Prozent erhöht. Zwar gibt es mittlerweile bekanntlich einen „Deal“ im Zollstreit, zufrieden sein könne Europa aber nicht, so Kingbeil jetzt. „Wir waren zu schwach.“
Was soll man nun daraus schlussfolgern? Dass es gar keinen Sinn hat, sich mit Bessent, Rubio oder Lutnick zu treffen, weil Trump am Ende sowieso macht, was er will? Klingbeil glaubt nicht, dass Schweigen die bessere Alternative wäre. Sein Ansatz lautet eher: ausloten, reinfühlen, genau hinschauen, was möglich sein könnte. Klingt tatsächlich eher leise und gefühlig und gar nicht nach großen Worten. Vielleicht ist es aber im Moment der einzige Weg, mit diesem Präsidenten umzugehen.