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Landkreis Ebersberg: Neues Wiki für Geschichte und Kultur geplant – Ebersberg | ABC-Z

Papier ist geduldig, ja. Aber auch hinfällig. Der Zahn der Zeit, Feuchtigkeit, Hitze, vieles setzt ihm zu. Außerdem können an einem Papier nicht mehrere Menschen an verschiedenen Orten gleichzeitig arbeiten. Die Vorteile von Geschichtsforschung mittels digitaler Dokumente liegen also auf der Hand. Und einer, der diese nun im Landkreis Ebersberg unbedingt voranbringen will, ist Albert Weber, Historiker, Wikipedia-Autor und der neue Leiter des Vaterstettener Gemeindearchivs. Der 41-Jährige sagt: „Nach der Wissensexplosion der Postmoderne gibt es einen unglaublichen Bedarf an Erfassung, Speicherung, Vernetzung und Aktualisierung von Informationen.“

Deswegen wird Weber jetzt bei einer Veranstaltung des Historischen Vereins für den Landkreis Ebersberg über Wikipedia referieren. Die freie Internet-Enzyklopädie mit ihren 60 Millionen Artikeln in über 330 Sprachen ist inzwischen das weltweit am häufigsten genutzte Nachschlagewerk und auch für Geschichtsforscher eine schier unermessliche Fundgrube. Doch Weber wird nicht über die Nutzung, sondern über das „Mitmachen bei Wikipedia“ sprechen – und hofft, dafür viele Menschen begeistern zu können. „Es gibt nämlich, was den Landkreis Ebersberg angeht, erhebliche Lücken, die wir gemeinsam schließen könnten und sollten.“

Immer wieder stelle er fest, sagt Weber, dass es in Wikipedia vieles neu aufzunehmen und Bestehendes zu verbessern oder vertiefen gäbe. Wer zum Beispiel die Liste aller Orte im Landkreis aufrufe, der sehe sehr schnell, dass zu zahlreichen Dörfern, Weilern und Einöden gar keine eigenen Einträge existierten. Und tatsächlich, von Angelbrechting bis Zinneberg: Fehlanzeige. Dabei ist es ja nicht so, dass es keine historischen Informationen dazu gebe, der Landkreis Ebersberg ist reich an Chroniken und Publikationen zu seinen vielen Ortschaften. Nur ist das meiste davon im Internet eben bisher nicht zu finden.

Doch geht das so einfach, mitzuschreiben am gesammelten Wissen von Wikipedia? Ja, sagt Weber, jeder könne Mitautor werden, völlig unkompliziert, per Anmeldung via E-Mail-Adresse. Er selbst ist seit einigen Jahren dabei, hat bereits rund 120 Artikel verfasst und lobt die freie Enzyklopädie in den höchsten Tönen. Das Online-Lexikon sei kostenlos zugänglich und sehr umfangreich, technisch ausgereift, jederzeit offen für neue Beiträge, transparent und absolut verlässlich.

„Das liegt vor allem an einer sehr engagierten, moderierenden Community, die sofort einschreitet, wenn sich ein Autor nicht an die Regeln hält. Und die sind da knallhart.“ Zum Beispiel müssten alle Informationen mit seriösen, überprüfbaren Quellen versehen sein, Reklame oder eigennützige Darstellungen seien verboten.

Den Landkreis Ebersberg in der Wikipedia besser abzubilden, ist erst der Anfang von Webers Plan. Denn dieses Projekt werde bald an seine Grenzen stoßen, sagt der Historiker, eben weil diese Enzyklopädie nun mal eine globale sei. „Es gibt hier ganz strenge Relevanzkriterien, die viele unserer regionalen Themen nicht erfüllen, ich schätze, zu 90 Prozent.“

Er selbst zum Beispiel habe jüngst einen Artikel geschrieben über den früheren Vaterstettener Bürgermeister Hermann Bichlmaier, der 1988 bei einem Autounfall starb. „Aber dieser Artikel wurde dann wieder gelöscht, weil die Gemeinde erst kurz nach Bichlmaiers Tod mehr als 20 000 Einwohner hatte“, berichtet Weber. „Diese Marke aber ist für Bürgermeister das Relevanzkriterium, ohne Diskussion.“

Deswegen plant Weber jetzt zusammen mit dem Historischen Verein die Einrichtung eines landkreiseigenen Wikis mit einer sehr viel niedrigeren Relevanzschwelle. Hier sollen alle Interessierten vielfältige Informationen zu Geschichte, Kunst und Kultur im Landkreis Ebersberg auf dem aktuellen Stand der Forschung finden. „Wer einen Eindruck haben möchte, wie das ungefähr aussehen soll, kann sich das Onlinelexikon der Stadt Wasserburg anschauen“, sagt Weber, „das ist unser Vorbild.“

Der Historiker beschreibt das Projekt als „sehr gut sichtbare, professionelle und sehr einfach zu bearbeitende Plattform für die digitale Vermittlung der Geschichte im Landkreis“ – die gemeinsam sukzessive befüllt werden soll. Die Koordination und die Redaktionsleitung werde beim Historischen Verein liegen, ehrenamtliche Autorinnen und Autoren könnten dann Artikel samt Fotos zu Themen ihrer Wahl veröffentlichen. Verpflichtend wären laut Weber lediglich die generellen Leitlinien des neuen Historischen Lexikons – enzyklopädischer Stil, Mindestlänge, Belege – sowie eine kurze Online-Schulung vorab.

Geplant seien 70 Autorenkonten: zwei pro Kommune sowie weitere für ausgewählte Heimatforscher, Kultur- und Bildungseinrichtungen. Damit Redaktion und Autoren sich möglichst wenig mit technischen Fragen beschäftigen müssen, plädiert Weber dafür, Installation und Betrieb der Plattform in die Hände eines bewährten Dienstleisters zu legen. „Grundlage wäre Mediawiki, die frei verfügbare Software der Wikipedia.“ Weber veranschlagt die Kosten für das Projekt mit einmalig 4000 Euro für die Anschaffung und etwa 1000 Euro jährlich für den Betrieb.

Geplant sei eine Portalstruktur wie in Wikipedia, erklärt Weber: Für jede Kommune werde eine Überblickseite eingerichtet. Mögliche Themen seien öffentlichkeitswirksame Personen und Familien, geschichtsträchtige Häuser und Höfe, Denkmäler, Kapellen und Marterl, Unternehmen und Vereine mit jeweils langer Historie, archäologische Funde, Volkskunde, Forschungsdebatten, Chroniken und andere Publikationen, Bibliografien oder Quellenführer. „Gerade solche Listen und Übersichten sind sehr nützlich“, sagt Weber, und genau das sei auch das Ziel: die historische Forschung im Landkreis durch gute Grundlagen attraktiver zu machen und zu fördern.

Hat keine Angst vor vielen Akten: Historiker Albert Weber im Keller des Vaterstettener Archivs.
Hat keine Angst vor vielen Akten: Historiker Albert Weber im Keller des Vaterstettener Archivs. (Foto: Anja Blum)

Wissen verfügbar zu machen und zu vermitteln, zu forschen und zu diskutieren: Dafür brennt der neue Vaterstettener Archivar. Er habe sich unglaublich gefreut, als er die Ausschreibung einer Vollzeitstelle durch die Gemeinde entdeckt habe, erzählt der 41-Jährige. Erstens, weil er in den vergangenen Jahren zwar inhaltlich spannende, aber stets nur befristete Anstellungen gehabt habe. Und zweitens, weil er in Haar aufgewachsen sei. „Und jetzt bin ich sofort wieder hierhergezogen.“

Albert Weber ist Deutsch-Rumäne, hat an der LMU in München Geschichte Ost- und Südosteuropas sowie Rumänistik studiert und in Gießen über Vlad den Pfähler promoviert – besser bekannt als Graf Dracula. Allerdings ging es dem Historiker genau darum, sich vom kommerziellen Bild dieses mittelalterlichen Herrschers zu emanzipieren und ihn einer zeitgemäßen Erforschung zu erschließen. Zuletzt war Weber am Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg beschäftigt.

Das nächste Projekt hat Weber auch schon in Planung: ein Online-Portal für historische Materialien aus dem Landkreis

Was nun das Ebersberger Wiki angeht, ist Weber sehr optimistisch: Diese Plattform werde es geben – auch wenn derzeit noch ein paar organisatorische Fragen offen seien, zum Beispiel die Kosten. Möglich sei eine Finanzierung über den Historischen Verein und/oder die Kommunen, erklärt der Archivar, doch auch ein Spendenprojekt sei denkbar. „Aber egal wie: Das sollte schon klappen, denn allzu hoch ist die Summe ja nicht.“

Und wenn das digitale Lexikon dann mal in Arbeit ist, wird Weber schon das nächste Projekt planen: ein Online-Portal für historische Materialien aus dem Landkreis Ebersberg, denn das sei ebenfalls dringend notwendig. „Die Gemeindearchive haben bislang nämlich keine auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Möglichkeit, der Öffentlichkeit ihre Digitalisate zur Verfügung zu stellen.“ Bücher, Chroniken, Karten, Fotos, Urkunden, jeweils mitsamt Metadaten: All das könnte auf diesem Portal hochgeladen werden, sagt der Historiker. Und das Glänzen in seinen Augen verrät, dass auch dieses vermutlich nicht lange auf sich warten lassen wird.

„Historischen Runde“ des Historischen Vereins für den Landkreis Ebersberg mit Alfred Weber als Referent: Montag, 4. August, um 19.30 Uhr im Gasthaus Alte Post in Ebersberg. Alle Interessierten sind eingeladen, der Eintritt ist frei.

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