Wirtschaft

“Made for Germany”: Ein unglaublich großes Versprechen | ABC-Z

An große Zahlen hat man sich seit der neuen Regierung in Deutschland gewöhnt. Allein 500 Milliarden Euro für marode Brücken und andere Infrastruktur. Aber die Privatwirtschaft des Landes scheint das noch mal zu toppen: 631 Milliarden Euro! Für Deutschlands Zukunft!

Diese Riesenzahl bleibt von einem bemerkenswerten Termin am Montag vergangener Woche. Mehrere Dutzend Führungsmenschen von Oliver Blume (VW) bis Christian Sewing (Deutsche Bank) hatten sich da mittags im Kanzleramt in Berlin versammelt und versicherten der Regierungsspitze ihre Mithilfe bei Reformen. “Wir haben heute mit einer neuen Form der Zusammenarbeit begonnen”, sagte Siemens-Chef Busch. “Das Gespräch hat gezeigt, Politik und Wirtschaft ziehen am gleichen Strang.” Kernbestandteil: 631 Milliarden Euro. So viel jedenfalls haben die 61 Unternehmen, die sich in der Initiative namens “Made for Germany” (M4G) zusammengetan haben, zugesagt zu investieren. Mindestens 100 Milliarden davon seien sogar “Neuinvestitionen”. Was man nur so verstehen kann: Mindestens 100 Milliarden sind eigens für diese Initiative freigemacht worden. Der Rest stand ohnehin fest.

Es ist ein Versprechen, das Hoffnung machen kann für den Standort, weil die Wirtschaft vor sich hin stagniert. Es ist aber auch ein Versprechen, das einige Menschen ziemlich irritiert.

“Diese Initiative wirft mehr Fragen auf, als dass sie hilft”, sagt etwa Christoph Ahlhaus, CDU, der einst Erster Bürgermeister in Hamburg war und mittlerweile Geschäftsführer des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft ist. Das Land stehe vor schwierigen Reformen, von denen viele Menschen direkt betroffen sein werden. “Da braucht es vielleicht auch mehr Unterstützung durch die Wirtschaft”, sagt Ahlhaus. “Aber sicher nicht so einseitig auf Großkonzerne ausgerichtet und auch nicht so organisiert, dass das mit Recht bei vielen ein Störgefühl auslöst: Wieso gerade diese Unternehmen, und wieso wird das von einer Kommunikationsagentur gesteuert? Wieso haben das nicht die Bundesregierung und das Kanzleramt selbst organisiert? Und wie kommt man eigentlich auf diese 631 Milliarden?”

Die ZEIT hat bei allen beteiligten 61 Unternehmen nachgefragt. Von den deutschen Firmen antworteten alle bis auf sieben. Von den zudem geladenen acht internationalen Investmentfirmen, darunter KKR, BlackRock und Blackstone, antworteten fünf. Alle Antworten gleichen sich dahingehend, dass sie die Initiative selbst erst einmal loben. Sie erhöhe “die Sichtbarkeit und Attraktivität von Deutschland als Wirtschaftsstandort”, sagt etwa Rolf Buch, Vorstandschef des Immobilienkonzerns Vonovia. Die Ankündigungen der Unternehmen und das Interesse internationaler Geldgeber zeige eine steigende Investitionsbereitschaft.

Doch bei der Frage, wie es nun zu der Zahl kommt und wie realistisch sie ist, rätseln selbst Teilnehmer der Initiative. Sie kennen die Liste nicht, die zu den 631 Milliarden Euro führte. Zur Zahl kam es folgendermaßen: Die Unternehmensberatung McKinsey diente als Sammelstelle, an die die 61 Firmen ihre Investitionen meldeten. Das sollte Vertraulichkeit sichern, denn oftmals machen Firmen das nicht öffentlich. Die Konkurrenz muss ja nicht alles wissen. Von dieser Praxis wollte auch kaum ein Unternehmen auf Nachfrage der ZEIT abrücken.

Man kann versuchen, sich der Zahl anzunähern, um zu prüfen, wie plausibel sie ist. Siemens teilte etwa mit, man setze die 2023 angekündigte Investitionsoffensive über zwei Milliarden Euro konsequent um. “Die Hälfte des Geldes – eine Milliarde Euro – investieren wir in Deutschland.” Viel Geld, aber gemessen am Riesenversprechen könnte man auch sagen: eigentlich nicht so viel für einen der größten Konzerne. Und neu ist von den genannten Siemens-Versprechen keines. Allerdings hatte die Initiative dazu aufgefordert, Forschungsausgaben einzureichen, da kommen etwa bei Siemens noch einmal einige Milliarden dazu.

Hinter vorgehaltener Hand sagen in der Initiative etliche, dass viele der Investitionen bereits zu Zeiten der Ampel beschlossen worden seien. Mehr als einmal fällt der Begriff “Luftnummer”. Wie realistisch die Zusagen über 631 Milliarden nun sind, wie sehr sie Folge der Regierung Merz sind? Niemand außer McKinsey hat die Liste. Und McKinsey sagt dazu nichts.

Die ZEIT hat auch gefragt, welche der Investitionen eigens für die Initiative in die Welt kommen. Kein einziges Unternehmen gab dazu eine positive Rückmeldung, die annähernd erklären würde, woher die mehr als 100 Milliarden Euro an neuen Investitionen stammen könnten. Die Firmen meldeten lediglich ein paar Logistikhallen hier, eine Firmenerweiterung dort. Stattdessen Verweise darauf, dass solide Kaufleute offenbar anders planen: “Bei den von uns für die ›Made for Germany‹-Initiative gemeldeten Investitionen handelt es sich um bereits geplante Investitionen – diese sind bei Bosch grundsätzlich langfristig angelegt”, heißt es etwa von dem Stuttgarter Autozulieferer.

Neuer Anlauf: Die Regierung muss doch Bescheid wissen, wenn der Kanzler eigens zur Verkündung mit aufs Foto kommt. Sie wird die Aussagen doch geprüft haben! Aber selbst hier: “Der Bundesregierung ist nicht bekannt, wie sich die von den beteiligten Unternehmen angekündigten Investitionen bis zum Jahr 2028 im Einzelnen zusammensetzen”, teilt ein Regierungssprecher auf ZEIT-Anfrage mit. “Bitte wenden Sie sich hierzu an die Initiative.”

Back to top button