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100 Jahre Faltboot-Werft in Tölz: Ein Bootsbauer in den Stromschnellen der Zeit – Bad Tölz-Wolfratshausen | ABC-Z

Die beiden Chefs der Werft, Direktor Hans Hoeflmayr und Ingenieur Hermann Locher, gefielen der Autorin aus Übersee. In ihren „bavarian knee breeches“ waren sie „zwei ansehnliche Exemplare bayerischer Männlichkeit, die auf eine Art gekleidet waren, das Herz zu erfreuen“, schrieb sie.  Von ihnen kaufte sie für 75 Dollar ein Zweier-Faltboot für sich und ihre Tochter June. Damit starteten beide in den „German Summer“, wie das Buch heißt, das Parker ein Jahr später veröffentlichte.

100 Jahre ist es her, dass die Werft in Bad Tölz gegründet wurde. Faltboote waren damals groß in Mode. Das zerlegbare Holzgerüst und die flexible Bootshaut passten bequem in ein Bootswägelchen, das man hinter sich herziehen konnte, die Reichsbahn brachte die Paddler an Flüsse und Seen. Zum Beispiel an die Isar. Dort war der Architekturstudent Alfred Heurich schon 1905 mit dem ersten modernen Faltboot, das er selbst entwickelte hatte, von Bad Tölz nach München geschippert.

Die Tölzer Werft wurde von drei Münchnern aus der Taufe gehoben: dem Flugzeug-Ingenieur und Tüftler Hermann Locher, dem Offizier und Kaufmann Hans Hoeflmayr und von seiner Schwester Marianne Reichlin von Meldegg. Den Namen „Pionier“ gab Hoeflmayr dem Unternehmen, weil er als Pionier im Militär gedient und dabei mit Faltbooten zu tun hatte.

Die Faltboot-Regatta im Jahr 1923 führte von Bad Tölz nach München. Die Premiere hatte zwei Jahre vorher stattgefunden. (Foto: Stadtarchiv Bad Tölz)

Das erste Boot, das Locher in Tölz baute, war die „Mosella“. Ein Jahrhundert später gibt es dieses Exemplar noch immer: Es gehört zu den Exponaten einer Sonderausstellung, die Elisabeth Hinterstocker für die dreitägige Jubiläumsveranstaltung „100 Jahre Pionier-Faltboot-Werft“ zusammenstellt. Sonderlich vertrauenerweckend schaut die Mosella nicht mehr aus. Aber, so die Leiterin des Tölzer Stadtmuseums: „Das Skelett funktioniert noch, es wäre perfekt, wenn man eine neue Haut drüberziehen würde.“

Neben diesem „Wandereiner E“, wie die Modellbezeichnung lautete, gab es zum Einstieg auch noch den „Großen Reisezweier R“. Später kamen vier andere Bootstypen hinzu. Und Formen. Die in Bad Tölz entwickelte Schweden-Form, sagt Hinterstocker, habe sich von der Konkurrenz abgehoben. „Da hat die Faltboot-Werft die elegantesten Boote gebaut, und die qualitativ besten.“

Sie waren beliebt an Rhein und Ruhr, aber auch in Spanien. „El Bote del deportista“, lautete der Werbeslogan – das Boot der Sportler. Ansonsten aber war der Unternehmer Johann Klepper aus Rosenheim der unantastbare Marktführer, wenn es um Faltboote ging. Bis 1939 verkaufte er mehr als 90 000 Stück, Bad Tölz hatte in den Dreißigerjahren lediglich eine Jahresproduktion von rund 500 Booten.

Der Betrieb der Werft in den 1930-er Jahren. Dort wurden 500 Boote pro Jahr gefertigt.
Der Betrieb der Werft in den 1930-er Jahren. Dort wurden 500 Boote pro Jahr gefertigt. (Foto: Stadtarchiv Bad Tölz)

Als die Nazis an die Macht kamen, ging es der Pionier-Faltboot-Werft wirtschaftlich schlecht – man steckte tief in Schulden. Während Ingenieur Locher weiter Boote baute, zeigte sich Hoeflmayr als rätselhaft-widersprüchliche Figur. „Aus ihm wird man nicht hundertprozentig schlau“, sagt Museumsleiterin Hinterstocker.

Einer, der schon früh zur SA gehörte, von 1933 an Zweiter Bürgermeister von Tölz war und 1935 zum SA-Brigadeführer ernannt wird; einer aber auch, der mit einer Frau aus jüdischer Familie verheiratet war. Einer, der seinen Betrieb als arisch angab und als kriegswichtig einstufen ließ, um daraufhin wasserabweisende Mäntel für die Wehrmacht, Schutzabdeckungen für Flugzeuge und Tornister herzustellen; einer aber auch, der als Leiter des Volkssturms verhinderte, dass in Bad Tölz gegen die Alliierten gekämpft wurde.

Und schließlich einer, der die Frau des Elsässers und Nazi-Gegners Henri Eberhardt bei sich versteckte. Der Franzose gilt als ein Wegweiser des Kajaksports in seinem Land und war treuer Pionier-Kunde. 1936 errang er die Silbermedaille über die Zehn-Kilometer-Strecke.  Als er 1944 erfuhr, dass er als Elsässer auf der Liste der Zwangsrekrutierten für die Wehrmacht stand, flüchtete er mit dem Fahrrad von Mülhausen in die Schweiz, wobei er den Rhein nachts bei Birsfelden durchquerte – mit dem Rad auf den Schultern, 400 Meter durchwatend.  Seine Frau Marguerite-Léonie, der die Sippenhaft drohte, fand geheimen Unterschlupf in der Tölzer Faltboot-Werft.

Die Zwangsarbeiter der Faltboot-Werft lebten in zwei Baracken mit Betten und Waschräumen

Dort waren nicht nur Einheimische angestellt. Für den kriegswichtigen Betrieb mussten auch Zwangsarbeiter malochen, oftmals aus dem Raum Kamianets-Podilskyi in der Westukraine. Ihnen ging es noch vergleichsweise gut, da für sie zwei Baracken in der Osterleite 26 errichtet wurden, mit Federbetten und Waschräumen. Sie durften dort heiraten, die Frauen auch gebären, es gab einen Priester und eine Hebamme.

Hoeflmayr habe sich um die sogenannten Ostarbeiter gekümmert, sagt Hinterstocker: „Wenn jemand unter ihnen Angehörige hatte, denen es nicht so gut ging, hat er versucht, sie in seine Werft zu holen.“ Das war in Bad Tölz mit seiner SS-Junkerschule keineswegs immer so, andere Zwangsarbeiter lebten unter erbärmlichen Bedingungen. In einem Kleinlager in der Klammergasse habe es geheißen, die Leute bräuchten nur Wolldecken und Kübel für ihre Notdurft, erzählt die Museumsleiterin.

Nach Kriegsende kam Hoeflmayr für drei Jahre in ein US-Internierungslager. Im Entnazifizierungsverfahren gelang es Anwalt Angelo Mößlang – ihm hatte Golo Mann, der Sohn von Thomas Mann, seinen Vornamen zu verdanken –, dass der ehemalige SA-Mann vom Belasteten zum Mitläufer herabgestuft wurde.

Unterdessen versuchte Kompagnon Locher, den zunächst von einem Treuhänder geführten Betrieb in seinen alleinigen Besitz zu bekommen. Vor der Spruchkammer habe Locher „böse Aussagen“ gegen Hoeflmayr gemacht, so Hinterstocker: „Er warf ihm die schlechte Behandlung von Zwangsarbeitern vor, die aber aussagten, gut behandelt worden zu sein.“ Von den 1950-er Jahren an arbeiteten beide zwar wieder Bürotür an Bürotür in der Werft, verkehrten aber mitunter nur noch schriftlich miteinander. „Das Tischtuch war völlig zerschnitten.“

Außer Booten produzierte die Tölzer Pionier-Werft auch Camping-Artikel.
Außer Booten produzierte die Tölzer Pionier-Werft auch Camping-Artikel. (Foto: Manfred Neubauer)

Der große Hype um die Faltboote war vorbei. In den Fünfzigerjahren konnten sich viele ein Auto oder Hotelübernachtungen jedoch nicht leisten, weshalb ein Urlaub mit Boot und Zelt zunächst noch attraktiv war – auch wenn ein neues Faltboot leicht ein bis zwei Monatsgehälter kostete.

Die Pionier-Werft brachte zwar immer neue Modelle heraus, produzierte aber auch Sportbekleidung, Campingausrüstung – und vor allem Zelte, die auch Stürme im Hochgebirge aushalten. 1975 war damit allerdings Schluss. Es gab Kunststoff- oder Plastikboote, die billiger waren. Und das Wasserwandern war in den Siebzigerjahren auch kein Vergnügen mehr: schmutzige Flüsse, Gestank, fortschreitende Verbauung.

Es bleiben Erinnerungen. Die Pionier-Zelte nahm der Bergsteiger Karl Maria Herrligkoffer in den Sechzigerjahren mit auf seine Expeditionen im Himalaja und im Karakorum. Und auch Reinhold Messner war 1970 mit Pionier-Zelten aus Bad Tölz am Nanga Parbat unterwegs, als sein Bruder Günther tödlich verunglückte. Hinterstocker hat im Messner-Mountain-Museum nachgefragt, ob dort noch ein solches Zelt aufbewahrt werde, bekam aber zur Antwort, dass man nichts gefunden habe. „Aber auf einem Foto sieht man, wie Messner in einem Pionier-Zelt sitzt“, erzählt die Leiterin des Stadtmuseums.

Für die Sonderausstellung legt Elisabeth Hinterstocker, Leiterin des Tölzer Stadtmuseums, selbst Hand an.
Für die Sonderausstellung legt Elisabeth Hinterstocker, Leiterin des Tölzer Stadtmuseums, selbst Hand an. (Foto: Manfred Neubauer)

In der Sonderausstellung erzählen manche Faltboote noch weitere Geschichten. Zum Beispiel von Oskar Walter Speck, der 1932 in einem Tölzer „Reise-Zweier“ von Ulm aus sieben Jahre lang bis nach Australien paddelte – eine Strecke von mehr als 30 000 Kilometern. Oder von Rudolf Schallmoser, der 1949 in einem „Pionier MW 45“ durch die Partnachklamm bei Garmisch fuhr.

Die US-Schriftstellerin Cornelia Stratton Parker mochte es nicht ganz so abenteuerlich. Sie nahm am 9. Juli 1931 mit ihrer Tochter und zwei jungen Männern der Werft den Bus nach Fall, um von dort im Zweisitzer loszupaddeln.  Später schrieb sie: „Und was für ein Fluss ist diese Isar, selbst dann, wenn man sie einfach nur kontemplativ betrachten will. Man wähnt sich fern der Zivilisation, vergleichbar unserem amerikanischen Westen.“

Das Jubiläum „100 Jahre Pionier-Faltboot-Werft“ wird in Bad Tölz von 1. bis 3. August gefeiert. Im Zentrum steht eine Neuauflage der Isarregatta am Samstag, 2. August, die vom Deutschen-Touring-Kajak-Club (DTKC) München veranstaltet wird. Dabei gehe es nicht wie bei Premiere im Jahr 1921 um Zeiten, sondern „um Naturgenuss, um hilfsbereites Miteinander auf dem Wasser und um zufriedenes Ankommen“, so der DTKC. Start ist um 10.30 Uhr an der Isarbrücke neben dem Wohnmobil-Parkplatz. Es gibt zwei Strecken: Die eine führt bis Schäftlarn (32 Kilometer), die andere nach München-Thalkirchen (48 Kilometer).  Zuvor findet bereits eine kleine Isarregatta von Arzbach nach Bad Tölz statt. Beginn ist um 9 Uhr in Arzbach.

Allerdings wird zum Jubiläum nicht nur gepaddelt. Ein Fluss-Film-Festival mit Dokumentationen und Expeditionsfilmen läuft von 1. bis 3. August. Pro Abend läuft ein Film, der Eintritt kostet insgesamt fünf Euro. Der Verein „Freunde historischer Faltboote“ baut ein Faltboot-Camp auf der Wiese nahe der Isarbrücke auf.  Zusammen mit dem DTKC lädt er auch zu einer Nostalgiefahrt am Sonntag, 3. August, 10 Uhr, ein. Die Strecke führt von Lenggries nach Tölz. Und im Stadtmuseum in der Marktstraße ist die Sonderausstellung „100 Jahre Pionier-Faltboot-Werft Bad Tölz“ zu sehen, die bis 28. September läuft. Weitere Auskünfte unter www.bad-toelz.de/stadtmuseum, www.freunde-historischer-faltboote.de und www.isarregatta.de

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