Kultur

Festspielbiedermeier: Die neuen Bayreuther “Meistersinger” – die AZ-Kritik | ABC-Z

Ein Schuster ist als Schreiner ein Pfuscher: Diese Botschaft nimmt man aus Wagners Handwerkeroper mit. Denn Hans Sachs leimt im dritten Akt einen bei der Prügelei zu Bruch gegangenen Schemel nachlässig zusammen. Stolzing setzt sich nur beinahe drauf, Beckmesser nach einer ehernen Lehre des Slapsticks zuletzt doch. Worauf der Stuhl irreparabel zerbricht. 

Die neuen Bayreuther „Meistersinger“ des Regisseurs Matthias Davids geben sich dezidiert unernst und problemfrei. Nach dem Kunstdiskurs der Inszenierung von Katharina Wagner (2008) und der Barrie Koskys dichter Reflexion über Wagners Antisemitismus (2017) wirkt das allzu harmlos, vielleicht sogar reaktionär, wenn nicht restaurativ.

Aber die Inszenierung ist handwerklich sauber gearbeitet und im besten Sinn traditionell. Und sie hält niemanden davon ab, sich selbst über das Stück und seinen bisweilen bösen Humor eigene Gedanken zu machen.

Flaues Vorspiel, starke Schmerzen

Das Komödiantische der Bühne passt nur bedingt zum Dirigenten im Graben. Daniele Gatti hat starke Momente, wenn es im Umfeld des Wahn-Monologs finstere Schmerzensmusik auszuloten gilt und die Musik schwelgt. Aber alles Heitere wirkt flach wie das Vorspiel.

Georg Zeppenfeld (Hans Sachs) und Christina Nilsson (Eva) im zweiten Akt.
Georg Zeppenfeld (Hans Sachs) und Christina Nilsson (Eva) im zweiten Akt.
Georg Zeppenfeld (Hans Sachs) und Christina Nilsson (Eva) im zweiten Akt.
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Auf der Festwiese stören dezidiert langsame Tempi ohne Binnenspannung. Auch die schwache Balance zwischen den wie gleichsam hinter einem Vorhang spielenden Bläsern und den sehr präsenten Streichern wirkt unausgewogen, zumindest aus der 11. Reihe gehört. Und das überrascht bei einem Dirigenten, der am gleichen Ort bereits mit großem Erfolg „Parsifal“ dirigiert hat.

Beckmesser toppt alles

Georg Zeppenfeld ist ein grantiger Sachs, der sich überwinden muss, Stolzing Eva zuliebe sympathisch zu finden. Die Inszenierung stellt, psychologisch klug, Sachs’ fast verzweifelte Liebe zu seiner verlorenen Familie heraus. Leider hat der Sänger seine Deutung seit seinem Rollendebüt bei den Osterfestspielen Salzburg von 2019 musikalisch kaum weiterentwickelt. Sein Bass mit guter Höhe ist nach wie vor ideal, der Fliedermonolog von unglaublicher Zartheit. Aber die Stimme wirkt heute flacher. Im dritten Akt gehen die Sänger die Farben aus, der Text wird schlechter verständlich und es scheint, als sei Zeppenfeld vor allem bestrebt, sich über das Ende zu retten.

Georg Zeppenfeld (Hans Sachs) und Christina Nilsson (Eva).
Georg Zeppenfeld (Hans Sachs) und Christina Nilsson (Eva).
Georg Zeppenfeld (Hans Sachs) und Christina Nilsson (Eva).
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Fast mit einer (lyrischen) Sachs-Stimme  interpretiert Michael Nagy den Beckmesser. Der ist in der Inszenierung ein Mensch mit pedantischen Zügen, der sich in etwas verrennt und mit einer E-Gitarre in Herzform sein Lied performt. Das ist gerade deshalb komisch, weil Nagy die Rolle mit vollem Ernst spielt und musikalisch genau singt: mit einem Minimum an Gezappel und ohne jedes Gekeife. Das ist ein erstaunliches Rollenporträt, der beste Bayreuther Beckmesser seit dem späten Hermann Prey.

Michael Nagy (Sixtus Beckmesser) mit Christina Nilsson (Eva) auf der Festwiese.
Michael Nagy (Sixtus Beckmesser) mit Christina Nilsson (Eva) auf der Festwiese.
© Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
Michael Nagy (Sixtus Beckmesser) mit Christina Nilsson (Eva) auf der Festwiese.

von Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

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Ein Stolzing mit Stimmkultur

Ähnlich herausragend ist Michael Spyres als Stolzing.  Müheloser hat diese anspruchsvolle Partie schon lange nicht niemand mehr gesungen. Die Stimmkultur  des Amerikaners ist enorm, die Gestaltung subtil und die Ausdauer unermüdlich. Wenn Stolzing im zweiten Akt Sachs zitiert, führt der Sänger ganz nebenbei seinen enormen Stimmumfang vor. Spyres’ Tenor fehlt es zwar etwas an Glanz, aber das passt zu der etwas schluffig gespielten Figur.

Die zum Objekt gemachte Eva (Christine Nilsson) mit Stolzing (Michael Spyres) auf der Festwiese.
Die zum Objekt gemachte Eva (Christine Nilsson) mit Stolzing (Michael Spyres) auf der Festwiese.
© Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
Die zum Objekt gemachte Eva (Christine Nilsson) mit Stolzing (Michael Spyres) auf der Festwiese.

von Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

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Die Inszenierung zeigt auf der Festwiese erstaunlich lässig, dass Eva von den Meistern als Objekt behandelt wird. Christina Nilsson singt etwas scharf. Die Szenen mit Sachs  haben einen herben Charme, das Quintett wirkt unerlöst. Jongmin Park führt als Pogner vor allem sein nicht perfekt geschliffenes Bass-Material vor, Mattias Stier ist ein lyrischer, mehr als ordentlicher David, die Meister sind insgesamt jung besetzt,

Genug vom deutschen C-Dur

Der von Thomas Eitler-de Lint neu formierte Festspielchor trumpfte beim „Wach auf“ mit einer nicht zum musikalischen Gesamtkonzept passenden Ewigkeitfermate sehr demonstrativ im Thielemann-Stil auf. Der Klang wirkt etwas frischer, ein Qualitätsverlust scheint nicht erkennbar. Aber dazu ließe sich erst nach allen Wiederaufnahmen Abschließendes sagen.

Die Sitzung der Meistersinger im ersten Akt: Vorne: Michael Spyres (Walter von Stolzing). Hinten: Tijl Faveyts (Hans Schwarz), Daniel Jenz (Balthasar Zorn), Matthew Newlin (Ulrich Eisslinger), Michael Nagy (Sixtus Beckmesser), Gideon Poppe (Augustin Moser), Georg Zeppenfeld (Hans Sachs), Jordan Shanahan (Fritz Kothner), Jongmin Park (Veit Pogner), Patrick Zielke (Hans Foltz), Werner Van Mechelen (Konrad Nachtigal), Alexander Grassauer (Hermann Ortel), Martin Koch (Kunz Vogelgesang).
Die Sitzung der Meistersinger im ersten Akt: Vorne: Michael Spyres (Walter von Stolzing). Hinten: Tijl Faveyts (Hans Schwarz), Daniel Jenz (Balthasar Zorn), Matthew Newlin (Ulrich Eisslinger), Michael Nagy (Sixtus Beckmesser), Gideon Poppe (Augustin Moser), Georg Zeppenfeld (Hans Sachs), Jordan Shanahan (Fritz Kothner), Jongmin Park (Veit Pogner), Patrick Zielke (Hans Foltz), Werner Van Mechelen (Konrad Nachtigal), Alexander Grassauer (Hermann Ortel), Martin Koch (Kunz Vogelgesang).
© Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
Die Sitzung der Meistersinger im ersten Akt: Vorne: Michael Spyres (Walter von Stolzing). Hinten: Tijl Faveyts (Hans Schwarz), Daniel Jenz (Balthasar Zorn), Matthew Newlin (Ulrich Eisslinger), Michael Nagy (Sixtus Beckmesser), Gideon Poppe (Augustin Moser), Georg Zeppenfeld (Hans Sachs), Jordan Shanahan (Fritz Kothner), Jongmin Park (Veit Pogner), Patrick Zielke (Hans Foltz), Werner Van Mechelen (Konrad Nachtigal), Alexander Grassauer (Hermann Ortel), Martin Koch (Kunz Vogelgesang).

von Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

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Das Bühnenbild überrascht anfangs mit einer steilen Treppe zu einem Bergkirchlein, die Meistersinger tagen in Elementen des Festspielhauses. Der zweite Akt und die Schusterstube schauen wie üblich aus, die Festwiese erinnert mit einer großen, aufblasbaren Kuh (Bühne: Andrew D. Edwards) an eine alpine Landwirtschaftsmesse.  

Ganz vorn an der Rampe hat ganz zuletzt jemand genug vom deutschen Patriotismus und Wagners Fortissimo in C-Dur: Er hält sich die Ohren zu. Beckmesser versucht zuletzt noch maßvoll wütend das Fest zu sabotieren und geht zuletzt streitend mit Sachs hinaus.

Die zum Objekt gemachte Eva (Christine Nilsson) mit Stolzing (Michael Spyres) auf der Festwiese.
Die zum Objekt gemachte Eva (Christine Nilsson) mit Stolzing (Michael Spyres) auf der Festwiese.
© Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
Die zum Objekt gemachte Eva (Christine Nilsson) mit Stolzing (Michael Spyres) auf der Festwiese.

von Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

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Das sind aber schon alle Brüche, die diese Inszenierung mit ihrem Stadttheatercharme zulässt. Das Publikum der Premiere genoss  die „Meistersinger von Nürnberg“ als ungetrübte Wagnerfeier ohne Probleme. Was es ja auch mal geben darf, und wer’s nicht mag, kann zu Hause seinen Adorno oder Nietzsche aus dem Regal holen.

Alle Vorstellungen sind ausverkauft, ein Stream der Premiere in der ARD-Mediathek

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