Politik

Gegen ein reaktionäres Verhältnis zu Körper und Sexualität | ABC-Z

Im Jahr 1993 hatte „Dykes to Watch Out For“, jener Comic-Strip, der Alison Bechdel in den USA berühmt (und für manche berüchtigt) gemacht hatte, bereits zehn Jahre Laufzeit hinter sich, und seine ­Autorin war der dauernden Gleichsetzung ihrer selbst mit dem Inhalt der Zeitungsserie aus dem feministischen Blatt „Womennews“ müde. Deshalb zeichnete Bechdel für die neunzehnte Ausgabe des Magazins „Gay Comics“, dem sie einen Beitrag zugesagt hatte, gleich auch noch ein Titelbild, auf dem in riesigen Buchstaben zu lesen war: „Alison Bechdel, featuring absolutely NO Dykes to Watch Out For“. Und in der Tat erzählte Bechdel hier einmal nicht von ihren üblichen Protagonistinnen, die auf dem Papier in damals noch höchst ungewöhnlicher Offenheit ihre Homosexualität auslebten (­dykes ist die amerikanische Bezeichnung für Lesbierinnen), sondern im selben Kontext von sich selbst: zwölf Seiten lang, unter dem Titel „Coming Out“.

Diese Geschichte machte Epoche, weil Bechdels eigene sexuelle Identität nun nicht mehr nur in den Lebensentwürfen ihrer Figuren gespiegelt, sondern autobiographisch vorgeführt wurde. Diesem Prinzip blieb sie danach treu, und heute gilt die 1960 in Pennsylvania geborene Autorin als die wichtigste queere Comic-Künstlerin – weil nun endlich auch eine Frau jene Rolle ausfüllte, die in der schwulen Zeichnerszene schon seit langem fest besetzt war: in Amerika etwa durch Howard Cruse oder in Deutschland durch Ralf König. Bechdel sprach und spricht mit offenem Visier über sich selbst als Homosexuelle. Zudem höchst selbstironisch, ohne es an gesellschaftspolitischer Ernsthaftigkeit fehlen zu lassen.

Doppelseite aus „Are You My Mother?“, 2012Alison Bechdel

Die zwölf Seiten von „Coming Out“ hängen jetzt im Cartoonmuseum Basel an der Wand. Zusammen mit gut hundert weiteren Comicseiten, die Bechdel gezeichnet hat. Und ergänzt durch Vitrinen mit Lebenszeugnissen der Autorin. Schon „Dykes“ hätte ihr einen Platz in den Geschichtsbüchern der Erzählform Comic gesichert, aber in den letzten zwanzig Jahren hat Bechdel sich noch darüber hinausgezeichnet: durch vier große Graphic Novels, die den zarten autobiographischen Spross von 1993 kräftig aufblühen ließen: „Fun Home“ von 2006 über den Vater, der seine eigene Homo­sexualität kaschierte und damit für die lesbische Tochter zum zwiespältigen Vorbild wurde, „Are You My Mother“ von 2012 über die nicht minder heikle Beziehung Bechdels zu ihrer Mutter, „The Se­cret to Superhuman Strength“ von 2021 über das Leben der Autorin als Berühmtheit und nun, gerade erst in den Vereinigten Staaten erschienen, „Spent“ über privates lesbisches Leben in der Zeit von Covid – natürlich ist ein solches Privat­leben politisch, auch im Vorgriff auf die erst nach Abschluss des Buchs erfolgte Wiederwahl von Donald Trump.

Die Zeichnerin versinkt: Panel aus dem Band „Are You My Mother?“ von 2012
Die Zeichnerin versinkt: Panel aus dem Band „Are You My Mother?“ von 2012Alison Bechdel

Die Autorin trifft auf ihre eigenen Figuren

Trumps erste Wahl zum US-Präsidenten hatte Bechdel schon 2016 dazu gebracht, ihre Figuren aus „Dykes to Watch Out For“, die sie nach einem Vierteljahrhundert 2008 eigentlich beerdigt hatte, wieder aufleben zu lassen: in einer Erntedankfest-Episode (auch sie in Basel gezeigt), die programmatisch mit „Pièce de Résistance“ betitelt war: Auf diese Lesben musste man nicht mehr achtgeben, diese Lesben waren selbst gefordert, dem reaktionären amerikanischen Denken etwas entgegenzusetzen – was ihre Autorin zuletzt mit den drei dezidiert autobiographischen Büchern getan hatte. In „Spent“ wird jetzt erstmals beides zusammengeführt: Alison Bechdel tritt dort als Figur in die fiktionale Welt ihrer „Dykes“ ein, die dadurch noch mehr Berührung mit der US-Realität bekommt. Zugleich erzählt der Band ironisch sein eigenes Entstehen, denn die Bechdel-Figur im Buch arbeitet heftig prokrastinierend an einem Comic namens „$um“, in dem die marxistische Theorie auf die aktuelle Erscheinungsform des amerikanischen Kapitalismus angewendet werden soll. Mit seinen Kapitelüberschriften (etwa „Der Prozess der Kapitalakkumulation“, „Die Ware“ oder „Die Expropriation der Agrarbevölkerung bezüglich Grund und Boden“) setzt „Spent“ diese Idee um. Wobei der Comic eine ebenso wilde wie witzige Geschichte erzählt, die ganz im Mikrokosmos des Freundes- und Familienkreises der Dykes bleibt.

Autobiographie als Stilprinzip: 2012 zeichnete Alison Bechdel für den „New Yorker“ das Titelbild „Drawn from Life“.
Autobiographie als Stilprinzip: 2012 zeichnete Alison Bechdel für den „New Yorker“ das Titelbild „Drawn from Life“.Alison Bechdel

Aus diesem jüngsten Band gibt es selbstverständlich besonders viel zu sehen in Basel, wobei Bechdel mittendrin ihre bisherige Arbeitsweise aufgab und Feder und Tusche durch ein Tablet ersetzte. Folglich gibt es auch einen Bruch zum Finale des Ausstellungsparcours, denn wo zuvor noch diverse skizzierte Vorstufen zu schließlich reingezeichneten Seiten (und auch diese selbst) zu sehen sind, gibt es nun nur noch makel- und arbeitsspurlose Ausdrucke. Andererseits ist Bechdels Mut zu bewundern angesichts dessen, was sie alles zu Präsentation freigegeben hat: nie gesehene Skizzenbuchzeichnungen aus den frühen Jahren etwa, die deutlicher als die damaligen Comics selbst dokumentieren, wie sich da eine Frau an ihre seinerzeit auch noch selbst als „queer“ (also „seltsam abweichend“) betrachtete Sexualität herantastete.

Diese Zeiten sind längst vorbei, aber die Alison Bechdel unserer Tage erweist sich nicht nur als Figur in „Spent“ immer noch als eine Suchende: nach der Selbstverständlichkeit, die eine heteronormative Welt vorlebt, wobei sie allerdings allem Abweichenden vorschreiben will, sich anzupassen. Bechdel lebt und zeichnet einen anderen Daseinsentwurf vor, und damit hat sie vor allem unter jüngeren Generationen als ihrer eigenen ein Publikum gewonnen, dass sich auch im äußerst regen Besuch der Baseler Ausstellung zeigt. In deren Rahmen läuft der fast achtzigminütige Mitschnitt einer Diskussionsveranstaltung mit Bechdel an der Yale University, aufgenommen 2024, noch vor Trumps Rückkehr an die Macht. Heute wäre eine solche Veranstaltung dort wohl kaum mehr opportun, geschweige denn sonstwo in den USA eine Ausstellung wie die aus Basel. Man kann sich das Thema von Bechdels nächstem Buch schon ausmalen. Zeichnen muss sie es allerdings noch selbst.

Alison Bechdel – The Essential. Im Cartoonmuseum Basel – Zentrum für narrative Kunst; bis zum 26. Oktober. Kein Katalog.

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