Sahra Wagenknecht: Die Kalkstein-Queen | ZEIT ONLINE | ABC-Z
An dem Tag, als 1912 die Büste der Nofretete aus dem tiefen Wüstensand Ägyptens geborgen wurde, war zufällig eine Delegation des sächsischen Herrscherhauses vor Ort – und drängelte sich schnell zu ihr vor, um ihr so nahe wie möglich zu kommen. An dem Tag, als 2024 die Büste der Sahra Wagenknecht lächelnd aus der verwüsteten politischen Landschaft Deutschlands aufstieg, suchte wiederum das aktuelle Herrscherhaus in Sachsen, die Christdemokraten, einen ganzen Wahlabend lang in jedem Fernsehstudio ihre unmittelbare Nähe.
Man hatte ja bislang immer das Gefühl, seit Jahrhunderten säße Wagenknecht mindestens einmal die Woche in einer deutschen Talkshow, um mit starrem Blick in eine Gegenwart und Zukunft zu schauen, die niemand außer ihr erkennen konnte. Wenn sie nicht sprach, verwandelte sie sich in eine unbewegliche Statue, ihre Gesichtszüge erinnerten in ihrer Feinheit und Strenge an die berühmte Büste der Nofretete – und ihr Dutt hatte, wohlwollend betrachtet, etwas von einer Königskrone. Die antiken ägyptischen Bildhauer haben so gut wie nie in den Gesichtern ihrer Königinnendarstellungen irgendeine Gemütsbewegung zum Ausdruck gebracht, weshalb sich Wagenknecht eben auch phänotypisch von ihrem einstigen Vorbild Rosa Luxemburg irgendwann ganz in Richtung des ägyptischen vorchristlichen 14. Jahrhunderts umorientiere. Selbst wenn sie von Fanatikern mit Farbe bespritzt wird, entgleiten ihr, wie es sich für eine Königin aus Kalkstein gehört, nie die Gesichtszüge.