Regierung rüffelt Ebersbergs Landrat wegen Alleingängen – Ebersberg | ABC-Z

Eindeutiger hätte das Schreiben nicht ausfallen können: Der Ebersberger Landrat habe seine Kompetenzen in zwei Fällen ganz klar überschritten, urteilt die Regierung von Oberbayern. Beide Entscheidungen sind mit hohen Ausgaben verbunden und laut der Regierung von so „grundsätzlicher Bedeutung“ gewesen, dass Robert Niedergesäß (CSU) und die Kreisverwaltung nicht allein hätten entscheiden dürfen. „Eine Beschlussfassung des Kreistags wäre zwingend erforderlich gewesen“, schreibt die Aufsichtsbehörde. Und weiter: „Die Auftragserteilungen in eigener Verantwortung stellen somit einen Verstoß gegen die kommunalverfassungsrechtlich verankerte Zuständigkeitsverteilung dar.“
Bereits seit einiger Zeit ist bekannt, dass der Ebersberger Landrat diverse umstrittene Entscheidungen gefällt hat, die den Landkreis sehr viel Geld kosten. Die eine Entscheidung ist die Kündigung eines Vertrags mit einem Privatunternehmen über Bau und Betrieb des Gymnasiums in Kirchseeon, einschließlich eines verlorenen Rechtsstreits. Aus dieser Causa ist dem Landkreis ein Schaden von 350 000 Euro entstanden. Die zweite Entscheidung ist der Abschluss von Lizenzverträgen für eine digitale Coachingplattform, ein Tool für die Belegschaft des Landratsamts, das sich bei einer Umfrage nach fünf Jahren als ziemlich unbrauchbar herausstellte. Dafür wurden insgesamt 1,4 Millionen Euro ausgegeben.
Es geht also um eine erhebliche Verschwendung von Steuergeld – die möglicherweise hätte verhindert werden können. Laut der Geschäftsordnung des Kreistags nämlich müssen Projekte oder Anschaffungen des Landratsamts, die mehr als 75 000 Euro im Jahr kosten, vom Kreistag genehmigt werden. Die Grünen sind der Meinung, dass dann in beiden Fällen andere, weniger kostspielige Ergebnisse erzielt worden wären. „Bei der Software hätten wir auf eine viel frühere Evaluation bestanden, und beim PPP-Vertrag hätten wir uns dagegen ausgesprochen, auch noch in Berufung zu gehen“, erklärt der stellvertretende Sprecher und Finanzexperte der Fraktion, Benedikt Mayer.
Nicht zuletzt auf Drängen der Grünen hat der Landrat nun die Regierung von Oberbayern um eine Einschätzung zu den beiden Vorgängen sowie um eine Empfehlung zum weiteren Vorgehen gebeten. Und auch hier wird die Aufsichtsbehörde ziemlich deutlich: Ohne eine Zustimmung des Kreistags seien die fraglichen Rechtsgeschäfte als von Anfang an als unwirksam zu behandeln. Und dies wiederum hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Prüfung und gegebenenfalls auch Durchsetzung von Regressansprüchen für bereits geleistete Zahlungen zur Folge. Sprich: Der Landkreis Ebersberg müsste – dem Grundsatz der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung folgend – seinen Landrat verklagen, um ihn in Haftung zu nehmen für den angerichteten finanziellen Schaden.
Ohne nachträgliche Zustimmung könnte es zu Regressansprüchen gegen den Landrat kommen
Daher, so die Regierung von Oberbayern, rege man „dringend an, die erforderlichen Genehmigungen nachträglich einzuholen“. Eine verspätete Zustimmung des Kreistags nämlich würde „nicht nur die schwebende Unwirksamkeit einzelner Verträge heilen, sondern auch etwaige Regressansprüche gegen Sie persönlich ausschließen“, heißt es in dem Schreiben an Niedergesäß.
Die ganze Angelegenheit ist also nicht nur politisch starker Tobak, sondern könnte für Niedergesäß existenziell bedrohlich sein. In einer Sitzung des Strategieausschusses wurde nämlich bekannt, dass der Ebersberger Landrat zur Zeit der fraglichen Entscheidungen noch keine Amtshaftpflichtversicherung abgeschlossen hatte. Das heißt: Käme es hart auf hart, müsste der dreifache Vater mit seinem Privatvermögen haften. „Auch diese fehlende Absicherung ist eine unfassbare Nachlässigkeit“, sagt Grünen-Kreisrat Mayer.
Der Landrat verweist auf eine Überlastung der Verwaltung
Klar ist, dass gravierende Fehler passiert sind. Das räumt auch der Landrat ein, der sich bereits mehrfach entschuldigt hat und erneut sein Bedauern ausdrückt. Nichts von all dem sei in böser Absicht geschehen oder versäumt worden, so Niedergesäß, auch habe man den Kreistag nicht mutwillig außen vor gelassen. „Es war falsch, hier keine formalen Beschlüsse einzuholen.“ Doch die Kreisverwaltung sei damals wegen Corona und Ukraine-Krieg eben sehr mit der Krisenbewältigung beschäftigt gewesen, sodass das ein oder andere Alltagsgeschäft nicht so gründlich habe erledigt werden können. „Aber es hilft ja alles nichts, am Ende liegt die Verantwortung beim Landrat.“
Nun aber sei ein Mechanismus eingeführt worden, um vergleichbare Fehler künftig zu vermeiden. „Inzwischen wird die Einhaltung der Geschäftsordnung bei jedem Vorgang überprüft“, so Niedergesäß. Außerdem sei sein neuer Büroleiter Jurist, in rechtlichen Fragen gebe es mehr Kompetenz.
Im Ausschuss bekommt Niedergesäß Rückendeckung, entscheiden aber muss der Kreistag
Im Strategieausschuss führte die ganze Causa zu einer langen, emotionalen Debatte. Im Zentrum stand die Frage, ob der Kreistag den Landrat mit einer nachträglichen Zustimmung aus der persönlichen Haftung entlassen sollte oder eben nicht. „Da gab es zwei Lager – aber keinem ging’s gut“, fasst Mayer die „unangenehme Situation“ zusammen. Die Abstimmung über den gekündigten PPP-Vertrag endete mit acht zu fünf Stimmen für Niedergesäß. Die CSU/FDP-Fraktion, die Freien Wähler und die SPD sprachen sich für die Entlastung des Landrats aus, Grüne, Linke und AfD dagegen.
Allerdings ist damit das letzte Wort nicht gesprochen: Der Ausschuss sendet nur eine Empfehlung an den Kreistag, der in seiner Sitzung am Montag, 28. Juli, endgültig entscheiden soll. Der Beschluss zu dem umstrittenen Coaching-Tool wurde indessen vertagt, weil der Rechnungsprüfungsausschuss damit noch befasst ist: Er durchleuchtet, wie es 2018 überhaupt zu dieser Vergabe gekommen ist.
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Er sei erleichtert über das Signal im Ausschuss, „dass die Kreisräte mich nicht persönlich in Haftung nehmen wollen“, sagt der Landrat. Insofern sehe er der entscheidenden Sitzung „einigermaßen zuversichtlich, aber doch auch mit gewisser Spannung“ entgegen. Mayer sagt mit Blick auf die Kräfteverhältnisse im Kreistag: „Der Landrat bekommt dort auf jeden Fall einen Persilschein.“ Es sei ja auch niemandem daran gelegen, Robert Niedergesäß persönlich zu ruinieren – doch einen ordentlichen Denkzettel habe man dem Landrat eben schon verpassen wollen. „Diese Vorgänge sind Belege für eine Kultur in der Amtsspitze, dass der Kreistag nicht ernst genommen wird“, so der Grünen-Sprecher. Und das sei empörend.