Irans Abschiebungen stürzen Afghanistan ins Chaos | ABC-Z

Essen/Herat. Die Mullahs vertreiben die Afghanen. Zu Tausenden kommen sie täglich an den Grenzübergängen an. Die Taliban formulieren einen kühnen Plan.
Erschöpft kauern die Menschen auf ihren Habseligkeiten. Ein kräftiger Wind weht den Staub auf, kühle Linderung bringt er nicht. Es ist drückend heiß an diesem Juli-Tag am Grenzübergang Islam Qala in der westafghanischen Provinz Herat. Mohib Rahman Sahbani wusste, dass ihn hier schwierige Szenen erwarten würden. „Aber es ist schlimmer, als ich gedacht habe“, berichtet er erschüttert. Das notleidende Afghanistan steht vor einer neuen Herausforderung: Hunderttausende afghanische Flüchtlinge und Arbeitsmigranten werden derzeit aus dem Iran massenhaft die alte Heimat gedrängt. Es ist eine Folge des Zwölftage-Krieges mit Israel.
Mohib Rahman Sahbani arbeitet ehrenamtlich für die deutsche Hilfsorganisation „Friedensdorf International“, die seit fast vierzig Jahren in Afghanistan Unterstützung leistet. Nach dem Sturz der vom Westen unterstützten Regierung und der erneuten Machtübernahme der Taliban vor fast vier Jahren ist die Sicherheitslage im Land deutlich besser geworden. Die Not aber hat drastisch zugenommen, auch, weil viele ausländische Hilfsorganisationen das Land verlassen haben und die finanzielle Unterstützung für Afghanistan deutlich zurückgegangen ist.
Lesen Sie auch: Die Angst vor den Taliban trieb Khaleqs Familie in den Ruin
Fast 12 Millionen Menschen haben nicht genug zu essen
Viele Krisen machen dem Land am Hindukusch zu schaffen. Es ist, als laste ein Fluch auf Afghanistan. Als Folgen des Klimawandels suchen Dürren und Sturzfluten das Land heim. Im Oktober 2023 erschüttert ein schweres Erdbeben die Region Herat, fast 1500 Menschen sterben. Die Wirtschaft liegt am Boden. Etwa ein Viertel der Bevölkerung, rund 12 Millionen Menschen, leidet nach Einschätzung der Vereinten Nationen unter Nahrungsmittelknappheit. Und jetzt kommen Hunderttausende zusätzliche Notleidende in das Land.
Ende 2023 entscheidet die Regierung in Pakistan, einen großen Teil der etwa vier Millionen afghanischen Flüchtlinge abzuschieben, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in das Nachbarland gekommen sind. Am Grenzübergang Torkham in der ostafghanischen Provinz Dschalalabad berichten im November 2023 Rückkehrer, wie die pakistanischen Behörden sie misshandeln, dass sie Männer verhaften, um die Ausreise zu erzwingen, dass sie den Familien Geld und Schmuck entwenden.
Auch interessant
Für die Taliban sind die vielen Rückkehrer ein großes Problem
Bis Mitte 2025 verlassen nach Angaben des Afghanischen Roten Halbmonds über zwei Millionen Afghanen das Nachbarland. Sie kommen in eine Heimat, die viele von ihnen noch nie gesehen haben.
Für die Taliban-Regierung ist bereits dieser Strom an Rückkehrern ein großes Problem. Bei Torkham entsteht zwar ein großes Auffanglager samt medizinischem Hilfszentrum. Dort können die Rückkehrer aber nur wenige Tage bleiben. Im Juni berichten Mediziner im Lager von Torkham davon, dass etwa ein Drittel der ankommenden Kinder unter schwerer Unterernährung leide, sie berichten von Infektionskrankheiten wie Dengue-Fieber oder Tuberkulose.
Medizin und Aufbaunahrung für Kinder sind knapp. Die größte Herausforderung aber ist, die Rückkehrer wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren. Oft sind vor Jahrzehnten Ehepaare geflohen. In der dritten Generation sind daraus Großfamilien geworden, die jetzt in den Dörfern, aus denen sie stammen, ihren Platz finden müssen.

Iran: Brutale Videos kursieren in den sozialen Netzwerken
Mit dem Ausbruch des Zwölftage-Krieges zwischen dem Iran und Israel am 13. Juni eskaliert die Lage in Afghanistan. Schon vor dem Krieg gab es immer wieder Berichte über die schlechte Behandlung afghanischer Flüchtlinge und Migranten im Iran. Auf Videos, die in den sozialen Netzwerken kursierten, waren brutale Szenen zu sehen: iranische Grenzbeamte und Polizisten, die Afghanen verprügeln, beschimpfen, demütigen.
Der Krieg mit Israel wird zum Katalysator für den ohnehin schwellenden Hass gegen die afghanischen Flüchtlinge. Während des Kriegs werden Afghanen im Iran unter dem Vorwurf festgenommen, für Israel spioniert zu haben. Dann beginnen die Deportationen. In Reisebussen werden die Afghanen über die Grenze gebracht.

Am Grenzübergang Islam Qala treffen auch Tausende Kinder ein.
© Mohib Sahbani | Mohib Sahbani
„Die Menschen, die aus Pakistan gekommen sind, haben oft noch ihren Hausrat mitnehmen können. Diejenigen, die jetzt aus dem Iran kommen, haben meist nur die Kleidung mit, die sie tragen“, berichtet Mohib Rahman Sahbani. Seit Mitte Juni sollen bereits allein über den Grenzübergang Islam Qala fast 600.000 Menschen eingereist sein. Über den Übergang Pul-e-Abrisham in der südlicher gelegenen Provinz Nimruz sollen es fast 70.000 sein.
Mehr zum Thema: Warum sich ein Kämpfer entsetzt von den Taliban abwendet
Afghanischer Vize-Premier räumt schwierige Lage für Flüchtlinge ein
Geordnete Strukturen wie an der Grenze zu Pakistan gibt es noch nicht. Viele Menschen müssen auf dem Boden unter freiem Himmel schlafen, beobachtet Sahbani. Die Taliban-Regierung stattet die Rückkehrer nach ihrer Ankunft mit 2000 Afghani, umgerechnet etwa 25 Euro, aus, gibt ihnen Wasser und Lebensmittel. Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein.
„Die Lage der Menschen, die dort ankommen, ist sehr schwierig“, räumt der stellvertretende Premierminister Abdul Salam Hanafi im TV-Sender Tolo News ein. Er kritisiert, dass die Rechte der Afghanen im Iran missachtet würden. Die Übergangsregierung will jetzt nach seinen Angaben in 25 Provinzen insgesamt 35 Städte für die Rückkehrer aus dem Boden stampfen.
Auch interessant

Afghanistan: Jeden Tag kommen Zehntausende an der Grenze an
Ein Team von 21 Ärztinnen und Ärzten, Pflegerinnen und Pflegern des Afghanischen Roten Halbmondes hat in den vergangenen zwei Wochen am Grenzübergang Islam Qala fast 20.000 Patienten, darunter etwa 8500 Kinder, versorgt. Das Friedensdorf International hat Medikamente für 50.000 Menschen organisiert.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
Hinter den Kulissen der Politik – meinungsstark, exklusiv, relevant.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der
Werbevereinbarung
zu.
Jeden Tag aber strömen Zehntausende Menschen zurück nach Afghanistan. „Die Menschen brauchen dringend Unterstützung“, sagt Moabit Rahman Sahbani. „Sie brauchen mehr Medizin, Kleidung, Decken, Nahrung. Es ist eine sehr besorgniserregende Situation.“