Warum hatten die Turbinen kein Kerosin mehr? | ABC-Z

Einen Monat nach dem verheerenden Crash einer Boeing 787 der Air India mit 260 Todesopfern an Bord und am Boden arbeiten Ermittler unter Hochdruck, um die Absturzursache herauszufinden. Nachdem sowohl die Flugdatenschreiber als auch die Stimmenrekorder gefunden wurden, hat deren vorläufige Auswertung laut den indischen Flugunfallermittlern jetzt ein ungewöhnliches Geschehen offenbart: Beide Turbinen hatten unmittelbar nach dem Abheben kein Kerosin mehr, trotz voller Tanks. Laut dem vorläufigen Bericht waren zwei geschützte Schalter im Cockpit der 787, mit denen die Piloten die Turbinen von der Treibstoffversorgung abkoppeln können, innerhalb einer Sekunde von der Funktion „run“ auf „cut off“ geschaltet.
Ob einer der Piloten die Schalter manuell betätigt hat oder ob dieses Kappen der Treibstoffzufuhr möglicherweise durch einen elektrischen oder mechanischen Defekt passiert ist, lässt der Bericht offen. Die beiden Schalter für die Treibstoffzufuhr sind durch die Art, wie sie bedient werden müssen, eigentlich vor einem unabsichtlichen Betätigen geschützt. Deshalb können anscheinend derzeit auch ein möglicherweise absichtliches manuelles Betätigen und damit ein erweiterter Suizid zumindest nicht völlig ausgeschlossen werden, auch wenn dies in dem vorläufigen Report nicht thematisiert wird.
Beide Schalter wurden wieder auf „run“ gesetzt – jedoch zu spät
Laut dem Bericht fragte einer der 787-Piloten den anderen kurz nach dem Abheben, warum er „abgestellt“ habe. Dieser antwortete laut dem Report, dass er dies nicht getan habe. Von wem der beiden Crewmitglieder – Kapitän und Copilot – welche Aussage stammt, ist nicht bekannt. Der Copilot war dem Bericht nach beim Start der 787 „Pilot flying“, also der steuernde Pilot, während der Kapitän in dieser Phase der „Pilot monitoring“ war, der also den Flug überwachte, aber nicht selbst ans Steuer griff.
Demnach wurden beide Schalter Sekunden später wieder in eine „run“-Position versetzt. Mindestens eine der beiden Turbinen lief wohl auch schon wieder hoch. Es ging aber nicht schnell genug, um genügend Schub aufzubauen und den Absturz zu verhindern.
Ein Notfallsystem war bereits ausgefahren
Fachleute waren anhand der Videos schon früh überzeugt, dass beide Triebwerke gleichzeitig kurz nach dem Abheben keinen Schub mehr lieferten. Das ist extrem selten in der Zivilluftfahrt und kam so wohl höchstens ein Dutzend Mal vor. Es scheint sicher zu sein, dass die sogenannte Ram-Air-Turbine kurz vor dem Aufschlag bereits ausgefahren war. Diese klappt bei komplettem Turbinenausfall der 787 automatisch aus dem Rumpf aus. Durch den Fahrtwind dreht sich deren Propeller, dadurch wird in der 787 sowohl Strom als auch teilweise Hydraulikdruck erzeugt, vergleichbar einem Dynamo beim Fahrrad. So können die elektrischen Displays mit den Anzeigen für die Piloten im Cockpit weiterarbeiten. Zudem stellt die Ram-Air-Turbine genügend Strom bereit, damit in einem Fly-by-wire-Flugzeug wie der Boeing 787 die elektrisch per Stellmotoren betriebenen Ruder weiter funktionieren. Es handelt sich um ein reines Notsystem, um die Steuerung des Flugzeugs bei komplettem Triebwerksausfall aufrechtzuerhalten.
Ausschließen können die Ermittler bereits, dass Vogelschlag wie bei dem berühmten Fall eines im Hudson-River notgewasserten Airbus A320 eine Rolle spielte.
Es war der bislang erste Crash einer Boeing 787. Von ihr wurden bisher etwa 1100 Exemplare gebaut. Bei der Absturzuntersuchung sind Spezialisten des Aircraft Accident Investigation Bureau des indischen Ministeriums für Zivilluftfahrt federführend, dazu kommen britische Flugunfallermittler, weil viele Briten unter den Toten sind. Zudem sind Fachleute der amerikanischen Verkehrssicherheitsbehörde NTSB beteiligt, weil es um ein in den USA gebautes Flugzeug geht. Ebenfalls unterstützen Experten von Boeing, dem Triebwerks-Hersteller General Electric sowie der Airline Air India die Untersuchung.