Riskantes Torwart-Spiel bei Fußball-EM der Frauen | ABC-Z

In den Katakomben des Baseler Stadions, mit Baseball-Cap auf dem Kopf und einem verschmitzten Lächeln im Gesicht, wirkte Ann-Katrin Berger, als könne sie die ganze Aufregung nicht recht ernst nehmen. Sie fand, an ihrem wagemutigen Spiel gegen Dänemark könne es eigentlich nichts auszusetzen geben.
Bundestrainer Christian Wück sah es anders und hatte wenige Minuten zuvor in scherzhaftem Ton, aber mit ernstem Hintergedanken gesagt, dass er „nicht alt“ werde, wenn die Torhüterin des Fußball-Nationalteams so weitermache. Berger registrierte es gelassen. Sie ist davon überzeugt, dass sie weiß, was sie tut, zumal sie sich als erste Spielerin im Aufbau versteht und nicht als letzte Verteidigerin.
Berger stand wiederholt mit dem Rücken zur Wand, fand aber immer einen Weg, der sie positiv nach vorne blicken ließ. Zweimal wurde bei ihr Schilddrüsenkrebs diagnostiziert, erstmals 2017, dann abermals während der EM-Zeit 2022, als sie in Absprache mit Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg entschied, die Diagnose vor dem Rest des Teams geheim zu halten, um nicht für Aufregung zu sorgen.
„Ich entscheide, wann ich aufhöre“
Berger nahm das Schicksal mit einem unbeirrbaren Pragmatismus an, der Behauptungskräfte freisetzte und half, die hohe Hürde, die ihr das Leben in den Weg gestellt hatte, mithilfe der Mediziner zu überspringen. Deren Therapiekonzept arbeitete sie ab wie einen Trainingsplan: „Ich habe versucht, den Krebs wie ein Spiel zu sehen, das ich unbedingt gewinnen muss“, sagte sie vor der EM dem „Stern“.
Wenige Monate später hütete sie jeweils wieder das Tor – zunächst in Birmingham, dann bei Chelsea, schließlich in den Vereinigten Staaten bei New York/New Jersey Gotham FC, wo sie einen Vertrag bis ins Jahr 2026 erhielt. „Ich entscheide, wann ich aufhöre, nicht mein Körper“, lautet ihre Überzeugung. Gleich nach ihrer ersten Saison wurde sie zur „Torhüterin des Jahres“ gewählt.
Bei der EM ist sie, ungeachtet ihrer Unbekümmertheit, die die Nerven Wücks in den ersten beiden Partien gegen Polen (2:0) und Dänemark (2:1) strapazierte, die unangefochtene Nummer eins. „Wir fühlen uns total sicher mit ihr“, sagte Innenverteidigerin Rebecca Knaak, „sie kann Dinge spielerisch lösen, die andere nicht können.“
Vor zwölf Monaten trug Bergers Klasse schon einmal entscheidend zum Vorankommen des Teams bei: Bei den Olympischen Spielen parierte sie im Viertelfinale gegen Kanada zwei Elfmeter, trat selbst zum entscheidenden Strafstoß an und entschied mit ihrem Treffer die Begegnung.
Berger als „Fußballerin des Jahres“
Auch gegen Spanien, im Duell um die Bronzemedaille, glänzte sie als Matchwinnerin: In der Schlussphase parierte sie einen Elfmeter von Alexia Putellas. Ihre Serie hervorstechender Leistungen wurde von der Öffentlichkeit, in der dem Fußball der Frauen die Aufmerksamkeit ansonsten nicht automatisch zufliegt, mit Anerkennung registriert.
Im vergangenen August wurde Berger zur „Fußballerin des Jahres“ gewählt, als erste Torhüterin seit Silke Rottenberg 1998. Laut DFB-Torwartcoach Michael Fuchs denkt Berger längst wie eine Trainerin: „Sie stellt viele Fragen. Sie will wissen, warum man welche Übung macht.“
Aktuell ist sie dabei, den ersten Trainerschein abzulegen. Einen Berufswunsch hat sie darüber hinaus für die Zeit nach der aktiven Laufbahn. Weil es in ihrer Familie einen Fall von Schwerhörigkeit gibt und sie weiß, wie schwer es ist, einen Übersetzer zu finden, möchte sie Gebärdendolmetscherin werden.
Dass ihre schwere Krankheit sie in den vergangenen Jahren tief beeinflusst hat, berichtet Berger immer wieder. Wichtig ist ihr jedoch stets der Hinweis, dass sie dadurch im Alltag auch eine neue Sicht auf das Wesentliche gewonnen hat: „Auf dem Platz passieren Fehler, aber dann sage ich mir: Du stehst noch auf beiden Beinen.“
Selbstverständlich sei es ein schönes Gefühl, für Siege bejubelt zu werden, „aber es gibt größere Dinge da draußen, die wichtiger sind“. Bei der EM, die sich für die DFB-Elf mit dem vorzeitigen Einzug ins Viertelfinale verheißungsvoll anließ, ist sie von der Titelchance überzeugt: „Wir haben es in den letzten Monaten wieder gezeigt, dass wir wirklich Fußball spielen können. Wir haben einen schönen Mix aus alt, jung und mittel. Wir können uns nur selbst schlagen.“
Schon im Frühjahr hatte Wück klargemacht, dass er mit Berger zwischen den Pfosten die EM beginnen wird. Horst Hrubesch, sein Vorgänger, hatte vor den Olympischen Spielen lange offengehalten, wem er auf diesem neuralgischen Posten sein Vertrauen schenkt, und schließlich Berger der langjährigen ersten Torhüterin Merle Frohms vorgezogen.
Wück ließ keine Diskussionen aufkommen. Er schätzt an Berger unter anderem die Handlungsschnelligkeit, mit der sie nach Paraden umgehend auf Attacke schaltet und die Offensive durch lange Bälle in Szene setzt. Was seinen Puls jedoch rasen lässt: wenn sie sich bei Rückpässen mit dem Ball am Fuß in Dribblings mit den Angreiferinnen einlässt.
Das ging gegen Dänemark zwar stets gut, doch dieses Risiko, für das es wenig plausible Argumente gibt, will Wück dringend unterbinden. Vor dem Spiel an diesem Samstag (21.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Fußball-EM der Frauen, im ZDF und bei DAZN) gegen Schweden hatte er Redebedarf angemeldet, am Freitagabend dann erklärt, dass er mit Berger „ein ganz normales Gespräch“ geführt habe, „so wie mit anderen Spielerinnen auch“.
„Eine Torwartdebatte“, sagte Wück, habe es nie gegeben. Nach allem, was hinter ihr liegt, ist es Berger ohne Weiteres zuzutrauen, dass sie auf ihre Art auch dieses Turnier prägt. Nüchtern betrachtet, ist sie derzeit schlicht die beste Option im deutschen Tor. Und das allein ist schon bemerkenswert genug.