Sport

Gleichberechtigung im Fußball: Das Männerfußball-Experiment | ABC-Z

In
unserer Kolumne “Grünfläche” schreiben abwechselnd Oliver Fritsch,
Christof Siemes und Stephan Reich über die Fußballwelt und die Welt des
Fußballs. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 28/2025.

Neulich trudelte folgende Mail in meinem Leserbrief-Postfach
ein (Rechtschreibung im Original):

guten tag,
anlässlich ihres
interviews mit frau gwinn möchte ich mal
die frage stellen, warum sich ihre zeitung noch nie mit dem thema
frauenfussball auseinandergesetzt hat, wo es da doch viel aufzuarbeiten und
nachzufragen gäbe, schließlich ist diese, man muß es so drastisch sagen, auf
kreisliganiveau agierende sportart in irgendeiner nacht und nebel aktion
zwischen dem dfb und den öffentlich-rechtlichen sendern ins programm gehievt
worden und müllt seitdem unter dem vorwand der gleichberechtigung die
sendeplätze mit ihren minderwertigen darbietungen voll.

Nun, dem Schreiber kann geholfen
werden, diese Kolumne setzt sich mit dem Thema Frauenfußball auseinander und
blickt dazu, unter dem Vorwand der Gleichberechtigung, auf den Männerfußball.

In ihrer Studie mit dem Titel Ein
gerechterer Vergleich von Männer- und Frauenfußball
 haben zwei Forscherinnen und ein Forscher von der Universität im
norwegischen Trondheim versucht, dem ewigen Genöle über den
Qualitätsunterschied zwischen den kickenden Geschlechtern mit etwas zu
begegnen, das in der Debatte bislang kaum eine Rolle spielte: verlässliche
Daten. “Der Frauenfußball wird häufig negativ mit dem Männerfußball
verglichen, und zwar ohne jegliche Datengrundlage und ohne Berücksichtigung der
anthropometrischen und physiologischen Unterschiede zwischen den
Geschlechtern”, schreiben die drei. Dies trage zu einem “unverdientermaßen
negativen Image des Frauenfußballs” bei.

Um zu veranschaulichen, was Frauen auf dem für Männer
entwickelten Feld leisten, haben sie das Spiel quasi auf den Kopf gestellt: Sie
haben hochgerechnet, wie spielentscheidende Faktoren aussehen würden, wenn
Männer in Korrelation zu ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit unter wirklich
vergleichbaren Bedingungen wie Frauen spielen müssten. Das Spielfeld wäre nicht
nur 105 Meter, sondern 132 Meter lang und 17 Meter breiter. Das Tor wäre nicht
nur 7,32 Meter breit, sondern fast 8 Meter und zudem 20 Zentimeter höher. Den
“unfairen Platz” nennen die Forscher dieses XXL-Spielfeld. Darauf wäre selbst
ein Elfmeter der Frauen für Männer plötzlich ein Zwölfmeter.

Aber damit nicht genug. Die Forscher haben auch andere
Parameter hochgerechnet: Für wirkliche Vergleichbarkeit müsste ein Männerspiel
keine 90, sondern 113 Minuten dauern und eine Verlängerung keine 30, sondern 38
Minuten. Sogar das Spielgerät wäre ein anderes: 200 Gramm schwerer und mit 10 Zentimetern mehr Umfang. Und sage keiner, das sei doch alles Quatsch: Im Hand-
und Basketball zum Beispiel sind die Bälle für die Männer eine Nummer größer
und auch schwerer als für Frauen.

So weit, so gut, ein schönes Gedankenspiel an einem
Forschungsinstitut irgendwo hoch im Norden, das kaum über Fachkreise hinaus
bekannt geworden wäre. Dann aber hatte das Wissenschaftsmagazin Einstein des
Schweizer Fernsehens die geniale Idee, für
eine Folge zur Frauen-Europameisterschaft
den “unfairen Platz” einfach mal
Wirklichkeit werden zu lassen. Auf einem Poloplatz bei Winterthur wurden die
notwendigen Linien gezogen und zwei eigens angefertigte Monstertore
aufgestellt. Sogar ein Exemplar des größeren und schwereren Balls haben die
Schweizer Fernsehmacher nähen lassen. Als Probanden in diesem “einzigartigen
Fußball-Experiment” stellten sich die U19-/U17-Fußballer der Schweizer
Erstligavereine FC Thun und FC Winterthur zur Verfügung.

So cool, als seien sie schon große Stars, steigen die
jungen Männer Kaugummi kauend und Kopfhörer tragend aus ihrem Mannschaftsbus und
mustern skeptisch das Geläuf, auf dem sie im Dienste der Wissenschaft und zur
Ehrenrettung des Frauenfußballs ackern sollen. Besonders pikant wird die
Versuchsanordnung dadurch, dass die Schweizer Nationalspielerinnen ein
Testspiel gegen eine ähnliche Nachwuchstruppe vor der EM haushoch verloren
haben. Wie werden sich die Jungs nun schlagen, da sie an ihre Grenzen und
darüber hinaus gebracht werden?

“Das ist so schlimm, Bro!”, sagt der erste, der nach 56
Minuten ausgewechselt wird – da ist gerade erst Halbzeit. Riesig sei der Platz,
stöhnt der junge Mann, “schon schlimm, was die Frauen machen müssen”. Zu groß
sei das Tor, sagt der schlaksige Torwart schon bei der Platzbesichtigung, “das
wird eine Herausforderung”. Und prompt schlägt im Spiel ein Fernschuss direkt
über ihm ein – ein klassisches “Frauenfußballtor” eigentlich, oft belächelt,
nun in eine neue Relation gebracht. Der Regisseur, der das Spiel für Einstein aufzeichnet, ist normalerweise für Champions-League-Spiele der Männer
zuständig. Er beobachtet bei den Probanden extreme Probleme mit dem schweren
Ball; selbst eine Ecke bringen sie auf einmal nicht mal mehr bis in die Mitte
des Strafraums. Und alles sieht so langsam aus, als laufe die Übertragung in
Zeitlupe ab. Dabei geben beide Mannschaften alles und laufen am Ende auf der
allerletzten Rille; ein Zwölfmeterschießen bringt schließlich die Entscheidung.
Nie mehr wolle er sich so was antun, nicht für alles Geld der Welt, sagt einer,
“Respekt für den Frauenfußball!”

Und was folgt aus dem Super-Size-Experiment? Zunächst ist
es ein Augenöffner. Die Frau an meiner Seite bricht fast in Tränen aus, als wir
zusammen den Einstein-Beitrag anschauen, so eindrücklich findet sie die
Visualisierung der Kraft, mit der Fußballerinnen bei jedem Spiel den Gendergap
schließen müssen. Für sie ist es weit über den Fußball hinaus ein Sinnbild
dafür, wie Frauen in einer für Männer gemachten Welt klarkommen. Und jetzt
erfahren die Kerle endlich mal am eigenen Leib, was das eigentlich bedeutet.
Das strukturelle Problem des Patriarchats werde hier so einfach wie zwingend
vorgeführt, findet sie.

Eine mitunter schon diskutierte Lösung wäre, die
Dimensionen des Spiels für Frauen zu verkleinern. Die Trondheimer Forscher
haben auch dafür die Zahlen hochgerechnet. So “unfair” der Monsterplatz für
Männer ist, so “fair” wäre für Frauen ein Spielfeld von 84 mal 54 Metern sowie
ein 6,76 Meter breites und 2,25 Meter hohes Tor. Der Ball wöge 150 Gramm
weniger als bei den Männern, ein Spiel dauerte 72 Minuten, und wenn es nach 24
Minuten Verlängerung keine Siegerinnen gäbe, käme es zum Zehnmeterschießen. Das
Spiel würde schneller, präziser, intensiver aussehen – eben wie Männerfußball.
Allerdings wollen das die wenigsten der aktiven Fußballerinnen (und meine Frau
auch nicht). Sie wollen das Spiel spielen, wie es ist. Aber als ihr
Spiel. Und ohne die Kommentare von misogynen Verschwörungstheoretikern, die
Leserbriefe schreiben.

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