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„Erneuerbare Energien geben Europa mehr Sicherheit“ | ABC-Z

In Zeiten von Krieg, kriselnder Industrie und Zöllen gerät der Klimaschutz in den Hintergrund. Dabei müsste das Gegenteil der Fall sein, betont Florian Martin, Co-CEO des Assetmanagers KGAL aus Grünwald bei München. Denn erneuerbare Energien bieten neben sauberem Strom auch Antworten auf die akuten weltpolitischen Herausforderungen.

FOCUS online: Herr Martin, der Klimaschutz hat in der öffentlichen Diskussion an Stellenwert verloren, stattdessen dreht sich viel um Aufrüstung und die drohende Deindustrialisierung Deutschlands. Wie interpretieren Sie diesen Wandel?

Florian Martin: Tatsächlich verschieben sich die Prioritäten. Wir stehen heute drei Anforderungen gegenüber. Erstens: Deutschland braucht günstige Energie für den Erhalt seiner Wettbewerbsfähigkeit. Zweitens: Der Klimaschutz muss weiterhin eine zentrale Rolle spielen, um eine lebenswerte Welt zu bewahren. Drittens und ganz aktuell: Die Energieversorgung Europas sollte so weit wie möglich unabhängig sein, um den aktuellen weltpolitischen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Wenn man es intelligent anstellt, sind erneuerbare Energien der Schlüssel, um diese drei Anforderungen zu erfüllen. Wind und Sonne versorgen uns mit preiswerter und sauberer Energie – die wir autark vor Ort erzeugen können. Erneuerbare Energien geben Europa mehr Sicherheit.

Etwa vor den Folgen von Auseinandersetzungen wie jüngst im Iran?

Martin: Der Iran selbst zählt nicht zu den wichtigen Öllieferanten Europas. Wenn aber wegen Kampfhandlungen, Blockaden von Meeresengen oder anderen Krisensituationen die Rohstoffpreise in die Höhe schießen, bekommen wir das sofort zu spüren. Wir alle erinnern uns an die missliche Lage Europas, als Russland den Angriffskrieg gegen die Ukraine vom Zaun brach. Die EU hat 2024 fossile Rohstoffe im Gegenwert von 375 Milliarden Euro importiert. In einer Weltordnung, die immer mehr von Konflikt statt Kooperation gekennzeichnet ist, sollten wir diese gigantische Menge schleunigst reduzieren.

Haben erneuerbare Energien überhaupt das Potenzial für eine tragende Rolle bei unserer Energieversorgung?

Martin: Absolut. Sehen Sie sich den deutschen Strommarkt an. Im Jahr 2000 hatten erneuerbare Energien einen Anteil von sechs Prozent am Strommix hierzulande. Im Jahr 2024 wurde der Rekordwert von mehr als 60 Prozent erreicht. Jetzt im Mai waren es sogar 67 Prozent! In weiten Teilen Europas verläuft die Entwicklung ähnlich. Erneuerbare Energien sind eine Erfolgsgeschichte, die vor 20 Jahren niemand für möglich gehalten hätte. Wenn es gelingt, neben dem Strommarkt weitere Bereiche in Wirtschaft und Gesellschaft – zum Beispiel auch Verkehr und Wärmegewinnung – zu elektrifizieren, dann lösen wir uns aus der Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen.

Florian Martin ist seit 2024 Co-CEO beim Assetmanager KGAL GmbH & Co. KG aus Grünwald bei München. Die KGAL betreut europaweit ein Investitionsvolumen von mehr als 15 Milliarden Euro in Sachwerten, davon 3,8 Milliarden Euro in erneuerbaren Energien.

Aber die Kritiker der Erneuerbaren sagen, der Strom aus Wind und Sonne sei zu teuer.

Martin: Das ist eines der Vorurteile, die sich wohl aus den Erfahrungen der Anfangsjahre hartnäckig halten. Als die KGAL vor etwa 25 Jahren in die ersten Windparks investiert hat, war die Produktion grünen Stroms sehr teuer und hätte ohne fixe Einspeisevergütung als Starthilfe nicht funktioniert. Seither sind die Aufwände aber wegen technologischer Fortschritte, intensiven Wettbewerbs und der Skalierung der Wind- und Solarparks auf einen Bruchteil gesunken – bei Solarenergie betragen die Kosten nur noch rund ein Zehntel früherer Werte. 

Was heißt das für den Strompreis?

Martin: Das Fraunhofer Institut macht dazu jedes Jahr eine detaillierte Analyse. Laut der aktuellen Auswertung sind Photovoltaik-Freiflächenanlagen und Windenergie an Land mit Stromgestehungskosten von 4,1 bis 9,2 Cent pro Kilowattstunde in Deutschland die kostengünstigsten Technologien, um Strom zu erzeugen. Billiger als Gas, Braunkohle, Steinkohle, was auch immer. 

Martin: Atomkraftwerke haben Stärken. Sie sind grundlastfähig, können also an 365 Tagen im Jahr 24/7 konstant Strom produzieren. Sie sind zudem klimaschonend. Es lässt sich insofern trefflich darüber streiten, ob der vollständige Rückzug aus der Atomenergie richtig war. Nun sind die alten AKWs aber politisch gewollt abgeschaltet worden und die Betreiber werden sie auch keinesfalls wieder anschalten. Das ist Fakt. Neu zu bauende Atomkraftwerke kommen laut Fraunhofer Institut auf Stromgestehungskosten zwischen 13,6 und 49 Cent je Kilowattstunde. Das sind keine wettbewerbsfähigen Werte.

Woher kommt dann die Renaissance der Atomkraft?

Martin: Ist es wirklich eine Renaissance? Die Fakten sprechen eine andere Sprache. 2024 sind sechs neue AKWs ans Netz gegangen – weltweit! Gleichzeitig wurden vier alte Atommeiler abgeschaltet. Trotzdem setzen viele Länder – wie z.B. China – weiterhin auch auf Atomkraft und wegen des Energiehungers der Künstlichen Intelligenz scheint Kerntechnologie wieder „salonfähig“ zu werden. Dabei bleiben alte Probleme ungelöst (Entsorgung, Sicherheit, Uranbezug, hohe Kosten und lange Bauzeiten).  Dennoch könnten neuartige AKWs in einer anderen Funktion eine Daseinsberechtigung bekommen: als ergänzende Grundversorgung zu den Hauptstromlieferanten Wind und Sonne. Insofern sollten wir als Land der Ingenieure und Innovationen die weitere Entwicklung im Blick behalten, vor allem in Bezug auf neue atomare Kraftwerkstypen wie Small Modular Reactors. Für den Moment ist aber die wenig bekannte Dominanz erneuerbarer Energien spannender als das vermeintliche Comeback der Atomkraft.

Dominanz erneuerbarer Energien?

Martin: Ja, im vergangenen Jahr wurde etwa 100-mal mehr Kraftwerkskapazität mit Wind, Solar und Co. geschaffen als mit Atomkraft. In den Industrieländern und sogar China ziehen erneuerbare Energien den Großteil der Investitionen an, weil sie die Zukunft sind. Wir legen bei der KGAL ebenfalls gerade einen weiteren Erneuerbare-Energien-Fonds für institutionelle Investoren mit einem angestrebten Investitionsvolumen von einer Milliarde Euro auf. 

Aber erneuerbare Energien sind eben nicht grundlastfähig. Mal produzieren Wind- und Solarparks zu viel Strom, mal zu wenig oder gar nichts. Wie soll das Stromnetz mit diesen Schwankungen zurechtkommen mit noch mehr erneuerbaren Energien?

Martin: Man muss es intelligent anstellen, es braucht smarte Gesamtkonzepte. Die grüne Stromerzeugung ist quasi vorausgeeilt, jetzt müssen Netzausbau, der Bau von Reservekraftwerken und die Installation von Speichern zügig aufholen. Etwa durch Investitionen in Batteriespeicher. Die Preise für Batterien sind enorm gefallen und Investments rechnen sich. Man speichert Strom, wenn er gerade aufgrund eines Überangebots besonders günstig ist oder nicht ins Netz eingespeist werden kann, und verkauft ihn einige Minuten oder Stunden später bei höherer Nachfrage wieder. Auch Schwankungen der Netzfrequenz innerhalb weniger Sekunden können Batterien ausgleichen. 

Was ist, wenn Strom für mehr als einige Stunden fehlt, Stichwort „Dunkelflaute“?

Martin: Grüner Wasserstoff kann überschüssigen Strom mittel- bis langfristig speichern und auch durch Umwandlung in andere Energieträger dabei helfen, beispielsweise die Chemie- und Stahlindustrie oder die Landwirtschaft zu dekarbonisieren. Microgrids, das sind lokale intelligente Stromnetze, wiederum besitzen Potenzial als überschaubare Insellösungen für Verbraucher vor Ort. Es gibt viele weitere innovative Ansätze, die uns noch dazu bei einer anderen Herausforderung helfen.

Martin: Europa und Deutschland drohen den Anschluss bei Zukunftstechnologien zu verlieren. Greentech ist eine Branche mit viel Potenzial, in der die Europäer gut positioniert sind.

Immer mehr grüner Strom heißt aber auch, das Land wird mit immer mehr Wind- und Solarparks bebaut. Viele Deutsche halten das für keine schönen Aussichten.

Martin: Die landwirtschaftliche Fläche Deutschlands macht 50 Prozent aus, Wälder weitere 30 Prozent. Zum Vergleich: Für erneuerbare Energien sollen zwei Prozent der Landesfläche ausgewiesen werden. Zudem nimmt gerade der Megatrend Repowering richtig Fahrt auf, der sich positiv auf das Landschaftsbild auswirken wird.

Martin: Beim Repowering ersetzt man 15 bis 20 Jahre alte Windkraftanlagen, die an ihr Laufzeitende kommen, durch moderne Turbinen mit einer vier- bis fünffachen Leistung. So erzeugen sie auf einer ähnlichen Fläche mit weniger Windrädern mehr Strom. Repowering passiert jetzt überall in Deutschland.

Was passiert mit den alten Anlagen? Kommt da nicht unheimlich viel Müll zusammen?

Martin: Wer das Recycling ernst nimmt, kann mehr als 90 Prozent wiederverwerten. Eine Windenergieanlage enthält viele wertvolle Bestandteile wie Beton, Stahl, Kupfer, Elektronikkomponenten usw. Funktionsfähige Anlagen können auch im Ganzen verkauft werden.

Der „Expertenrat für Klimafragen“ hält das Erreichen der Klimaziele für 2030 trotz Schritten in die richtige Richtung für unwahrscheinlich. Stimmen Sie zu?

Martin: Ich bin optimistischer und halte sowohl das Klimaziel 2030 als auch eine günstige und weitgehend autarke Energieversorgung für erreichbar. Meine Erfahrung mit erneuerbaren Energien hat mir gezeigt, dass die Möglichkeiten oft unterschätzt werden.

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