Marie Nasemann: Betreuung nach Zyklus – was sagt eine Familientherapeutin dazu? – Panorama | ABC-Z

Getrennt erziehende Eltern haben viel Abstimmungsbedarf: Wer betreut wann die Kinder, wer übernimmt den dringenden Arzttermin, wie teilt man sich beim Schulfest auf? Schauspielerin und Podcasterin Marie Nasemann, 36, hat am Wochenende eine neue Kategorie geschaffen. Auf Instagram teilte sie ihre Überlegung, die Betreuungszeiten der Kinder künftig nach ihrem Zyklus ausrichten zu wollen. Dafür erntete sie einen kleinen Shitstorm – zu Unrecht, wie Alicia Schlender findet. Die Sozialwissenschaftlerin und Paartherapeutin aus Berlin forscht seit Jahren zu Sorgearbeit in Co-Elternschaften. Aktuell untersucht die 34-Jährige für ihre Doktorarbeit die Geschlechterverhältnisse in Stieffamilien. Sie ist selbst Mutter von zwei Kindern in Patchwork-Konstellation.
SZ: Welcher Gedanke ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von dieser Idee hörten: die Betreuungszeiten der Kinder nach dem Zyklus der Mutter auszurichten?
Alicia Schlender: Ich habe mich gefreut. Wenn Mütter die Betreuung ihrer Kinder nach ihren körperlichen Bedürfnissen ausrichten können, ist das doch eine tolle Möglichkeit. Eine Möglichkeit, die allerdings viele nicht haben.
Sie meinen, mit der Lebensrealität der meisten getrennt lebenden Mütter hat das wenig zu tun?
Ich möchte es andersherum formulieren: Ich fände es begrüßenswert, wenn wir alle das könnten. Wenn von staatlicher Seite Entlastungsmechanismen für die Sorgearbeit geschaffen würden, etwa die Möglichkeit zum Menstruationsurlaub. Momentan gibt es nur das Elterngeld und die Elternzeit, nach 14 Monaten hört die Sorgearbeit aber bekanntlich nicht auf. Ich wünschte mir eine Gesellschaft, in der es normal ist, dass wir uns an unsere körperlichen Grenzen anpassen.
In der Realität haben alleinerziehende Mütter andere Sorgen als ihre Periode und ärgern sich einfach nur über solche Luxusprobleme.
Es ist schade, dass das Leid der einen Mütter gegen das der anderen aufgewogen wird und so Konfliktlinien entstehen, wo eigentlich gemeinsame Freude sein könnte: dass überhaupt darüber gesprochen wird. Marie Nasemann ist sicher in einer privilegierten Situation, keine Frage. Aber mal darüber zu diskutieren, an welche Bedürfnisse Kinderbetreuung angepasst werden kann und soll, ist gut. Was in der Kleinfamilie romantisiert und unsichtbar gemacht wird, kommt mit zunehmender Bekanntheit anderer Familienformen ans Tageslicht.
Zur Einordnung: Mit welchen Problemen kämpfen Eltern gewöhnlich bei Trennungen?
Vor allem mit dem Abschied vom Glaubenssatz, dass die Kleinfamilie das Beste für alle ist. Viele haben das Gefühl, gescheitert zu sein. Außerdem ist es oft schwierig, die Elternrollen neu zu definieren. Welcher Vater bin ich, wenn ich mich eine Woche komplett um das Kind kümmere? Und welche Mutter, wenn ich mich eine Woche lang nicht um das Kind kümmere? Das ist mitunter ein sehr schmerzhafter Prozess.
Praktisch geht es auch darum, ob die Kinder im Residenz- oder Wechselmodell betreut werden. Die Kinder von Marie Nasemann und Sebastian Tigges wechseln alle paar Tage die Wohnung. Am meisten verbreitet ist aber noch das Residenzmodell, in dem die Kinder bei einem Elternteil wohnen. Was ist besser?
Das ist immer abhängig von der Elternbeziehung. Hinzu kommt: Das Wechselmodell muss man sich leisten können. Es braucht zwei Wohnungen, zwei Kinderzimmereinrichtungen und beide Elternteile müssen ohne Unterhalt zurechtkommen können. Die Norm war lange, dass die Kinder bei den Müttern im Residenzmodell bleiben. Das ändert sich allmählich, doch damit das Wechselmodell eine realistische Alternative für die Masse wird, braucht es politische Unterstützungsmechanismen, etwa bei der Suche nach Wohnungen in gegenseitiger Nähe.
Welchen Haken hat das Wechselmodell?
Gerade Mental-Load-Themen haben die Tendenz, im Wechselmodell fortzudauern. Den Vorwurf „Er denkt an nichts, ich habe weiter alle Fäden in der Hand“ höre ich oft in meiner Praxis. Auch wenn die Eltern schon jahrelang getrennt leben.
Sie haben lange zu feministischen Perspektiven auf Elternschaft geforscht. Ist es an der Zeit, dass der Zyklus in Familien an Bedeutung gewinnt?
Ich finde es krass, dass wir es – zynisch gesagt – geschafft haben, großflächig zu ignorieren, dass ein sehr großer Teil der Bevölkerung jeden Monat blutet und damit einhergehend teilweise massive Einschränkungen erlebt, unter anderem bei Krankheiten wie Endometriose. Wir orientieren uns an einer männlichen Körpernorm und tun so, als wären immer alle gleich leistungsfähig. Es ist an der Zeit, darüber zu sprechen, wie der weibliche Zyklus den Alltag der Frauen beeinflusst. Eltern könnten einen Ausgleich für die Menstruation finden, wie für andere Arbeiten auch. Die Sozialwissenschaftlerin Sophie Bauer hat jahrelang dazu geforscht und definiert Menstruation als Sorgearbeit – wie Brote schmieren, Kinder trösten und Mental Load.
Andererseits ist der Zyklus für viele Frauen auch einfach nur der Zyklus.
Das kann so sein. Für viele Beziehungen bedeutet es aber eine unterschiedliche Kraftressource.
Warum taucht das Thema im Fall Nasemann dann erst nach der Trennung auf?
In einer Paarbeziehung nimmt man in der Regel Rücksicht aufeinander, gleicht die gegenseitigen Schwächen aus. Wenn man sich von der Paarebene verabschiedet, überträgt sich dieses Wohlwollen idealerweise auf das Elternsystem und beide Partner haben bei der Aufteilung der Betreuung im Blick, was sie schaffen können.
Sehr viele Menschen wollen aber auch möglichst viel schaffen und schrauben die Ansprüche an sich selbst nach oben. Besonders in der Elternrolle. Können Sie das aus Ihrer Praxiserfahrung bestätigen?
Ja, das erlebe ich auch. Vor allem bei Müttern, zunehmend aber auch bei Vätern, die sich am Bild eines präsenten Vaters orientieren. Aber Vereinbarkeit von Erwerbs- und Sorgearbeit ist unmöglich, allein das Wort ist eine Farce. Es gibt nur Unvereinbarkeit. Viele meiner Klientinnen und Klienten versuchen, diesen Systemfehler individuell zu verhandeln: Wenn ich das nicht schaffe, bin ich selber schuld. Denn vermeintlich schaffen es ja alle anderen auch.
Wie ist das eigentlich für die Kinder, wenn Mütter die Betreuung nur noch in Bestform leisten wollen, möglichst nicht während der Periode?
Um die Menstruation zu enttabuisieren, muss sie präsent sein. Mir ist es total wichtig, dass meine Kinder wissen, dass ich blute und dass sie im Badezimmer Tampons und Menstruationstassen sehen. Kinder sollten nicht mit dem Bild einer Mutter aufwachsen, die immer top in Form ist, um schlimmstenfalls mit diesem Bild selbst wieder Mütter zu werden. Viel besser ist es, wenn sie die Verletzlichkeit der Eltern erleben und Mama nicht an allen Tagen gleich viel Kraft hat. Für Kinder mit chronisch kranken Eltern ist das im Übrigen der Alltag.
Also was jetzt: Die eigenen Bedürfnisse durchsetzen und die Kinder während der Periode abgeben oder ihnen zeigen, wie der Alltag mit Blutung nun mal ist?
Beides. Für einen minimalen Teil der Bevölkerung wird es möglich sein, die Kinderbetreuung nach den Bedürfnissen ihres Körpers auszurichten. Alle anderen haben keine Wahl, als stetig über ihre eigenen Grenzen zu gehen.