Die neue Leichtigkeit des Primoz Roglic bekommt gleich einen Dämpfer | ABC-Z

Tourreporter
Gleich auf der ersten Etappe der Tour de France verliert das deutsche Team Red Bull-Bora-hansgrohe Zeit. Dabei ist der Kapitän des Teams, Primož Roglič, diesmal betont gelassen an den Start gegangen.
Als der erste Tag überstanden war und schon mit dem ersten kleinen Rückschlag geendet hatte, verschwand Primož Roglič wortlos im Teambus in Lille. Er werde nur sprechen, wenn er mit dem Ausgang des Rennens etwas zu tun habe, ließ der Slowene mitteilen. 39 Sekunden hatte ihn die erste Etappe der Tour de France schon gekostet im Kampf um das Podium in Paris, auch wenn das “kein Weltuntergang” sei, wie der sichtlich angefressene Teamchef von Red Bull-Bora-hansgrohe, Ralph Denk, zu Protokoll gab.
“Bewusst weniger Risiko genommen”
In der Sportlichen Leitung des Teams war man derweil darum bemüht, den ersten Dämpfer am ersten Tag als Teil der Strategie zu verkaufen. Entstanden war der Rückstand, als das Feld 16 Kilometer vor dem Ziel an einer Windkante zerriss. Alle acht Fahrer des Teams hingen in der hinteren Gruppe fest, in dem sich auch der Vorjahresdritte Remco Evenepoel befand.
“Wir wissen, wie kompliziert, die ersten Etappen sind und deshalb haben wir natürlich schon bewusst weniger Risiko genommen”, sagte der Sportdirektor der deutschen Equipe, Rolf Aldag. “30 Sekunden werden die Tour nicht entscheiden, aber ein schwerer Sturz würde die Tour entscheiden, den versuchen wir um jeden Preis zu verhindern.” Das gelte sowohl für Florian Lipowitz, den neuen deutschen Hoffnungsträger, aber vor allem auch für den Kapitän des Teams: Primož Roglič.
Roglic’ Trauma – die Tour 2020
Denn Roglič und die Tour de France, das ist keine Liebesbeziehung: Sein größtes Trauma erlebte der Slowene 2020 als er am vorletzten Tag im Gelben Trikot an den Start der 20. Etappe ging – ein Bergzeitfahren hinauf auf die Planche des Belles Filles. Roglic sah da schon wie der sichere Gesamtsieger aus. Doch ein desaströser Kampf gegen die Uhr und sein entfesselt fahrender Landsmann Tadej Pogačar beendeten jäh den Traum vom Toursieg.
Seitdem hat Roglic keine der drei folgenden Frankreich-Rundfahrten, bei denen er am Start stand, beendet. 2021 stürzte Roglic früh und musste das Rennen aufgeben. Damals ging der Stern seines Teamkollegen Jonas Vingegaard auf, der hinter Pogačar auf Rang zwei der Gesamtwertung in Paris einfuhr und in den beiden darauf folgenden Jahren die Tour gewann, während Roglič 2022 erneut aus dem Rennen stürzte und ein Jahr später nicht antrat.
Die eigene Geschichte schreiben
Roglič war fortan nicht mehr die Nummer eins seines Teams und verließ die niederländische Mannschaft schließlich zur Saison 2024 In Richtung der deutschen Equipe Bora-hansgrohe, die im Laufe des Jahres von Red Bull übernommen wurde. Das Ziel des Unternehmens: der Toursieg mit Roglič.
Roglič und das Team um ihn herum wirkten angespannt ob der Aufgabe unter Beobachtung des neuen, finanziell potente Teambesitzers. “Wir waren mental angeschlagen, weil wir es überperfektionieren wollten”, sagt Sportdirektor Aldag im Rückblick. Mit dem Ergebnis, dass das Projekt Toursieg auf der zwölften Etappe durch einen unverschuldeter Sturz auf dem Asphalt zerschellte. Roglič ging am nächsten Tag nicht mehr an den Start.
“Jeder schreibt seine eigene Geschichte. Das wichtigste ist ja, es ist meine Geschichte und ich bin der Hauptdarsteller”, sagte Roglic jetzt vor dem Start der Tour de France in Lille. Sein Auftritt dort wirkte schon fast als wolle er sein Vermächtnis als Radprofi hinterlassen, eine Art Bilanz. Es ist ja auch eine bemerkenswerte Geschichte: Ein ehemaliger Junioren-Teamweltmeister im Skispringen, der nach einem schweren Sturz auf der Schanze in Planica zum Radprofi umschulte und zu einem der besten Rundfahrer der Welt geworden ist.
“An die harten Momente, erinnere ich mich”
Denn was man ja gerne vergisst bei all den tragischen Rückschlägen: Roglič hat in den vergangenen neun Jahren in der World Tour auch einige bedeutende Erfolge gefeiert. Vier Mal gewann er die Spanien-Rundfahrt, 2023 den Giro d’Italia. Auch ein Sieg beim ältesten Radklassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich steht in seinen Palmarès.
“Ich muss niemandem etwas beweisen”, sagte Roglič in Lille. “Ich weiß, welche Rennen ich gewonnen habe. Aber Rennen gewinnen oder nicht – wissen Sie, ich bin fast 36 Jahre alt, das hat mein Leben nicht wirklich verändert. Wenn ich ehrlich bin, an viele Siege kann ich mich nicht mehr erinnern, aber an die harten Momente, an die erinnere ich mich.”
Auch in diesem Jahr wieder ein Rückschlag
Harte Momente erlebte Roglič auch im Vorfeld dieser Tour de France. Im Mai wollte er zum zweiten Mal den Giro gewinnen, doch auch diesmal sorgten mehrere Stürze dafür, dass er vorzeitig aufgeben musste. Ein Rückschlag, der sich auch auf die Vorbereitung für den Start in Frankreich auswirkte. “Nach dem Giro war ich fertig, am Ende. Ich habe auch noch Antibiotikum genommen, weil ich mir auch noch Bakterien eingefangen hatte. Alles, was ich tun konnte, war Tag für Tag zu arbeiten”, erzählte Roglič.
Das Team Red Bull-Bora-hansgrohe hat Roglič als Kapitän zur Tour geschickt und hält ihn immer noch für die beste Option. “Wir glauben an ihn, und natürlich denken wir, dass er wieder zurückkommen kann, weil er, wenn etwas schief gegangen ist, immer besser zurückkommt. Das liegt in seiner Natur”, hat Sportdirektor Aldag dem Portal cyclingnews.com vor dem Tourstart erklärt.
Neue Gelassenheit
Roglič selbst dämpft die Erwartungen angesichts der übermächtigen Favoriten allen voran Tadej Pogačar und Jonas Vingegaard sowie Remco Evenepoel, die im vergangenen Jahr das finale Podium der Tour besetzten. Aber er wirkt in den Tagen vor dem Beginn der Frankreich-Rundfahrt außerordentlich gelassen, ganz anders als im vergangenen Jahr.
Die ersten Etappen, auf denen viele mit einem ähnlich hektischen Verlauf rechnen wie auf dem ersten Teilstück rund um Lille, habe er sich gar nicht richtig angesehen. “Das Beispiel vom vergangenen Jahr zeigt, dass man bei der Tour de France einfach überleben muss”, sagte Roglič vor dem Start. Und die vom Wind geprägte, hektische erste Etappe, lieferte gleich den Beweis für diese These.
Dass Roglič sich etwas gelassener auf den Weg nach Paris begeben hat, mag eine bewusste Entscheidung sein. Vielleicht hilft ihm auch, dass er mit Florian Liopwitz einen jungen Radprofi an seiner Seite hat, der zuletzt als Gesamtdritter bei der Dauphiné-Rundfahrt hinter Pogačar und Vingegaard für Furore sorgte. Das zieht einen Teil der Aufmersamkeit ab.
Einfach nur nach Paris kommen
Bei Red Bull-Bora-hansgrohe ist man in diesen Tagen allerdings sehr darum bemüht, Lipowitz aus dem Fokus zu nehmen. Der junge Deutsche bestreitet seine erste Tour. Er sei zum Lernen in Frankreich und eindeutig als Helfer vorgesehen, betonen die Verantwortlichen des Teams. Lipowitz solle nur nach Paris kommen.
Roglič dagegen sieht seinen Teamkollegen durchaus als eine Art Plan B. “Er war bei der Dauphiné auf einem hohen Niveau, richtig stark”, sagte er. “Warum solle er das nicht hier bei der Tour auch sein.” Dann ginge es umgekehrt für ihn nur darum, die Rundfahrt nicht vorzeitig zu beenden: “Ich will einfach nur nach Paris kommen, einen schönen Nachmittag haben und ein Glas Champagner trinken oder ein kaltes Bier.”
Sein Sportdirektor nimmt ihm dieses Understatement nicht ab. “Seine Herangehensweise ist ein bisschen entspannter, aber nicht was das Ergebnis angeht”, glaubt Aldag. “Und wenn er am Ende Champagner trinkt, hat er ja auch einen Grund dafür.”