Wirtschaft

Stromsteuer für Haushalte bleibt: Ökonomen sehen bei Steuersenkungen falsche Prioritäten | ABC-Z

Wirtschaftswissenschaftler begrüßen, dass die Bundesregierung bei Steuersenkungen auf ihren finanziellen Spielraum achtet. Sie würden allerdings an anderer Stelle sparen.

Ökonomen üben scharfe Kritik an der Entscheidung der Bundesregierung, die Stromsteuer nur für das produzierende Gewerbe sowie die Landwirtschaft zu senken – und nicht für alle Branchen sowie private Verbraucher. Lagerübergreifend werfen Wirtschaftswissenschaftler Schwarz-Rot eine falsche Klientelpolitik vor.

Marcel Fratzscher spricht auf ntv.de-Anfrage von einem “schwerwiegenden Fehler”. “Dies ist reine Klientelpolitik, die weder wirtschaftlich noch sozial gerechtfertigt werden kann”, findet der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). “Damit bricht die Bundesregierung ein Versprechen und verspielt Vertrauen.”

Der ebenfalls verteilungsorientierte Ökonom Sebastian Dullien meint: “Es wäre besser, alle Wirtschaftszweige von der Stromsteuer zu entlasten. Für die Haushalte und Unternehmen jenseits des produzierenden Gewerbes wären niedrigere Stromsteuern wünschenswert, damit diese stärkere Anreize zum Umstieg etwa auf Wärmepumpen oder E-Autos bekommen und damit die Dekarbonisierung weiter vorangetrieben wird”, erklärt der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung ntv.de.

“Steuersenkung für Haushalte hätte geringen Wachstumseffekt”

Auch die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, zeigt sich enttäuscht: Es sei “sehr bedauerlich, dass sich die Koalitionspartner nicht auf die Stromsteuersenkung für alle verständigen konnten”, sagte sie der Funke Mediengruppe. “So sehr zu begrüßen ist, eine solche Maßnahme von finanziellen Spielräumen abhängig zu machen, so sehr muss man sich gleichzeitig wundern, wie die Prioritäten von der Regierung gesetzt werden. Denn andere geplante Maßnahmen wie die Erhöhung der Mütterrente und die Senkung der Mehrwertsteuer für die Gastronomie sind ähnlich teuer, aber in Zeiten knapper Kassen sehr viel schlechter begründbar.”

Angesichts der knappen Kassen können hingegen sowohl Ifo-Chef Clemens Fuest als auch Dullien durchaus nachvollziehen, dass die Stromsteuersenkung nicht für alle gelten soll. “Das verarbeitende Gewerbe steht am stärksten im internationalen Wettbewerb und braucht deshalb eine Entlastung bei den Stromkosten am ehesten”, gibt Dullien zu bedenken.

Fuest betont, eine Senkung für Privathaushalte hätte “nur geringe Wachstumseffekte, wäre aber fiskalisch teuer”. Nach Berechnungen des Ifo-Instituts würde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem und im nächsten Jahr um insgesamt 0,1 Prozentpunkte stärker wachsen, wenn die Stromsteuersenkung auch für private Haushalte gelten würde. In der Annahme, dass auch Privatleute entlastet würden, war das Ifo für das laufende Jahr von einem BIP-Wachstum von 0,3 Prozent und für das kommende Jahr 1,5 Prozent ausgegangen. Ohne Stromsteuersenkung für Haushalte fällt das Wachstum demnach jeweils um 0,05 Punkte geringer aus. Auf der anderen Seite würde eine Senkung für private Verbraucher zusätzlich rund 5,4 Milliarden Euro kosten.

“Alle Branchen oder keine”

Auch Gunther Schnabl, Direktor der Denkfabrik Flossbach von Storch Research Institute und wie Fuest dem marktliberalen Lager zuzuordnen, teilt ntv.de mit: “Wenn die Verbraucher weiter hohe Strompreise zahlen, dann leidet der Konsum und damit auch die Wirtschaft, nur indirekt.”

Schnabl hält es jedoch für eine “ungerechte Verzerrung”, nur einzelne Wirtschaftszweige zu entlasten. “Daher sollten alle Wirtschaftszweige entlastet werden, oder keine”. Friederike Welter findet es ebenfalls “ökonomisch problematisch, die Entlastung auf spezielle Gruppen und Branchen zu begrenzen”. Die Chefin des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn erläutert ntv.de, eine solche Beschränkung schaffe immer Abgrenzungsprobleme – und damit zusätzlichen bürokratischen Aufwand.

“Letzteres spüren vor allem kleinere mittelständische Unternehmen, die über deutlich geringere Ressourcen verfügen als größere Unternehmen”, sagt Welter. Häufig sei beispielsweise die Zuordnung zu einer bestimmten Branche nicht eindeutig, weil die unternehmerische Tätigkeit verschiedene Bereiche umfasse.

Gastro-Entlastung soll weg

Das Kernproblem der hohen Strompreise ist in den Augen von Schnabl “eine verfehlte Klima- und Energiepolitik, deren Kosten am Ende die Bürgerinnen und Bürger immer bezahlen müssen”. Hier sei eine Verbesserung “einschließlich realistischer Klimaziele” gefragt.

Unabhängig von der Stromsteuersenkung sieht auch Fuest falsche Prioritäten. Der Ifo-Chef fordert, auf die Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie zu verzichten. “Denn diese Steuersenkung ist noch deutlich schlechter begründbar als die Stromsteuersenkung.” Fuest pocht zudem auf Kürzungen auf der Ausgabenseite. “Es liegt auf der Hand, dass Subventionsabbau und Reformen der sozialen Sicherungssysteme einbezogen werden müssten.”

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