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Darum gibt es beim Tennisklassiker keine Linienrichter mehr | ABC-Z

Endlich wieder Wimbledon. Der Rasen so grün, die Erdbeeren so rot und die Tenniskleidung vornehmlich weiß. Die Blütenpracht auf der Anlage an der Church Road ist so grün, lila und weiß wie gewohnt, und Funktionäre des All England Club wie der „Ballverteilungsmanager“, der die Tennisprofis zwei Wochen lang mit 58.752 Filzkugeln versorgt, tragen typisch englischen Schick: Hemd. Krawatte, Jackett.

Traditionsgemäß wird der Titelverteidiger des Herren-Wettbewerbs am ersten Turniertag um 13.30 Uhr (live bei Prime Video) mittags den Centre Court eröffnen. Doch Tradition hin, Geschichtsbewusstsein her: Wenn sich Carlos Alcaraz mit dem Italo-Oldie Fabio Fognini zum Erstrundenduell trifft, werden sich auf dem Platz neun Personen weniger aufhalten als bei seinem Vorjahresfinale gegen Novak Djokovic. Wimbledon hat nämlich die Linienrichter entsorgt. Zum ersten Mal in seiner 148-jährigen Geschichte.

Dass die Männer und Frauen aus dem Turniergeschehen verschwinden, ist an der Londoner Church Road eine größere Sache als es bei den Australian Open, den US Open oder der ATP Tour war. Schließlich bestachen die Linienrichterinnen und Linienrichter nicht nur mit ihrer honorigen Haltung und den unaufgeregten Armgesten, sondern auch mit ihrer extravaganten Kleidung. Dank ihrer auffälligen Uniformen seien sie „als bestgekleidete Offizielle im gesamten Sport“ angesehen worden, heißt es in einem der Nachrufe, die in den vergangenen Tagen erschienen.

Das menschliche Augen hat ausgedient

Der All England Club macht sich den technischen Fortschritt zu eigen, setzt nun auch auf die elektronische Linienüberwachung (Electronic Line Calling/ELC). Das menschliche Augen hat also ausgedient, außer dei den French Open, wo immer noch Abdrücke im Sand zur Entscheidungsfindung herangezogen werden. Das Hawk-Eye, das in Wimbledon seit 2007 im Einsatz war, gilt nicht mehr als zeitgemäß. Profis verfügen also nicht mehr über „Challenges“, mit denen sie die Einschätzung des Linienrichters überprüfen lassen können, sondern müssen sich mit der Entscheidung in Echtzeit abfinden.

Wer geglaubt hatte, dass dies zu mehr Verlässlichkeit und weniger Meinungsverschiedenheiten führt, hatte die Rechnung ohne Typen wie Alexander Zverev gemacht. In seinem Drittrundenmatch vor Wochen in Madrid hatte er sogar sein Smartphone aus der Tennistasche geholt und einen Abdruck im Sand fotografiert, weil das ELC den Aufsprung falsch oder gar nicht verfolgt hatte. Dennoch ist der Weltranglistendritte Anhänger des neuen Systems, wie er am Samstag in London betonte. „Es gab einige Turniere wie in Madrid, wo es nicht richtig funktionierte“, sagte Zverev: „Aber alles in allem macht es unseren Sport fairer.“

„Leute vergessen, dass ich immer noch die Nummer drei der Welt bin“

Falls es in Zverevs Auftaktmatch an diesem Montag gegen den Franzosen Arthur Rinderknech wider Erwarten doch etwas zu meckern geben sollte, könnte sich der Hamburger an den Schiedsrichter wenden. Oder an einen der 80 sogenannten „Match-Assistenten“, die aus dem Pool der 300 Linienrichter übrig geblieben sind und aufpassen, falls das ELC ausfällt.

Zverev fühlt sich jedenfalls gut gewappnet für die bevorstehenden Aufgabe. Auch die Auslosung hätte schlimmer kommen können. Zöge er in Wimbledon erstmals in die Runde der letzten acht ein, könnte er allerdings auf Taylor Fritz treffen. Dem US-Amerikaner unterlag er zuletzt fünfmal nacheinander, unter anderem im vergangenen Jahr an der Church Road nach 2:0-Satzführung sowie neulich im Endspiel von Stuttgart. Im Halbfinale könnte dann der Titelverteidiger Carlos Alcaraz warten.

Dass sein Name erst spät fällt, wenn die Favoriten aufgezählt werden, ficht Zverev nicht an. „Die Leute vergessen, dass ich immer noch die Nummer drei der Welt bin“, sagte der Achtundzwanzigjährige. Er habe zwar hier und da einige unerwartete Niederlagen erlitten, doch sei seine Form in den vergangenen Wochen zurückgekehrt.

Mit der Finalteilnahme in Stuttgart und dem Halbfinaleinzug in Halle hat Zverev bessere Ergebnisse vorzuweisen als in den vergangenen Jahren vor Wimbledon. Vielleicht bricht der Deutsche ja diesmal mit seiner Tradition, bestenfalls das Achtelfinale zu erreichen.

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