Illusion autofreie Stadt: Berlins Parallelwelten | ABC-Z

Berlin. Ein eigenes Auto gilt in Berlin als umweltschädlicher Luxus – dabei muss man es sich erst mal leisten können, darauf zu verzichten.
Es gibt diese Momente im Berliner Alltag, bei denen ich nicht weiß, ob ich lachen oder schreien soll. Diese Woche jubelten einige Innenstadt-Berliner, weil das Berliner Verfassungsgericht den juristischen Weg frei gemacht hat für einen Volksentscheid, der so irre klingt, dass man, tja: entweder kurz lacht und dann weitergeht, -fährt oder -denkt.
Oder man fasst sich an den Kopf, mit welchen Debatten sich diese Stadt selbst im Wege steht, Probleme gibt es ja an sich genug. Und ich rede hier nicht mal von der absurden Idee, per Gesetz festzulegen, wer wie oft mit wie vielen Personen in seinem Auto in Berlin herumfahren darf, wie es der Volksentscheid fordert. Selbst, wenn man solche Auswüchse weglässt: „Autofrei“ – war diese Idee nicht längst überholt?
Die Fußgängerzonen, stadtplanerische Erfindung der „autogerechten“ Stadt in den 1970er-Jahren, sind vielen noch gut Erinnerung. Erst für Autos abgeriegelt, dann mit unzähligen Sonderregeln belegt, schließlich verödet. Heute sehen das selbst Wissenschaftler kritisch, die der autofreien Idee positiv gegenüberstehen. Etwa das Wissenschaftszentrum Berlins für Sozialforschung (WZB), das eine eigene Forschungsgruppe zur „Digitalen Mobilität und sozialen Differenzierung“ hat. Zwar gebe es in Deutschland über 3000 Städten in Deutschland autofreie Zonen, heißt es dort – klassische Fußgängerzonen wiesen allerdings „häufig mehr Probleme als Erfolge“ auf.
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Der politische Kampf um autofreie „Zukunftskonzepte“ ist nicht mehr als Revierkampf
Wenn Sie jetzt sagen: Darum geht es den Aktivisten ja gar nicht, dann stimme ich zu. Beim Volksentscheid geht es, ebenso wie bei vielen anderen verkehrspolitischen „Projekten“ und „Experimenten“, oft gar nicht darum, wie wir, die echten Menschen, tatsächlich irgendwo ankommen. Sondern es geht um die Herrschaft im „urbanen Raum“. Also: wer wem was wegnehmen darf, am besten per Gesetz. Ob mit grünen Punkten, Blumenbeeten, Stadtmöbeln oder per „Kiezblock“ (bin ich die einzige, die sich allein schon an diesem linksalternativ geprägten Begriff stört?).

„Autofrei“-Initiativen geht es oft nicht um Lösungen für Mobilität, sondern um die Umverteilung des Stadtraums.
© picture alliance/dpa | Wolfram Steinberg
Der politische Kampf um sogenannte „Zukunftskonzepte“ ist aktuell nicht mehr als ein Revierkampf – geführt auf einer intellektuellen Ebene, die mit achtsamen Wortwolken bemäntelt, worum es geht. So wird unterstellt, der immer kleiner werdende Stadtraum müsse „gerettet“ werden. Vor dem „Feind“, den selbstsüchtigen Autofahrern, die mit ihren Blechkisten wertvollen Platz zustellen, der doch „allen“ gehört. Damit „alle“ dort gärtnern, spielen oder einfach herumsitzen können.
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Sicher, auch ich sitze gern draußen, auf ruhigen Plätzen ohne Lärm und Abgas-Gestank. Aber reichen dafür unsere Stadtplätze, Parks und breiten Boulevards nicht eigentlich aus? Okay, vielleicht müsste man sie mal aufräumen. Wie wenig der politische Mutwille gegen Autos tatsächlich bewirkt, konnte man beim gescheiterten Experiment auf der Friedrichstraße in Mitte gut beobachten. Der Verkehr staute sich chaotisch um die Fußgängerzone herum.

Bepflanzte ehemalige Parkplätze im Graefekiez in Kreuzberg: Geparkt wird trotzdem, zur Not offensichtlich sogar in den Beeten.
© Berlin | Uta Keseling
Aktuell sieht man im Kreuzberger Graefekiez, was passiert, wenn allein das Auto als „Feind“ bekämpft wird. Hier wurden aus Parkplätzen Beete, die mehr oder weniger gepflegt vor sich hinwuchern. Anwohner, Gäste, Touristen, Rettungswagen, Lieferanten und die allgegenwärtigen Filmteams stauen sich durch komplett zugeparkte und zugestellte Straßen. Selbst in den Beeten wird geparkt, wovon umgefahrene Zäune zeugen.
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Gehören Sie auch zu jenen, die das Auto dringend brauchen?
Was mich an der Autofrei-Debatte stört: Dass sie von Menschen geführt wird, die es sich leisten können, in der Innenstadt „autofrei“ zu arbeiten und auch zu leben. Und die sich in diesem Lebensstil natürlich auch selbst belügen. Carsharing zum Beispiel ist nicht „autofrei“ – es kann sich bei Preisen um die 50 Euro pro Tag oder 80 Cent pro Kilometer aber bei weitem nicht jeder leisten, auch nicht im Graefekiez. Und es ist sicher kein Zufall, dass der Autofrei-Entscheid eine bestimmte Ausnahme duldet: den Lieferverkehr. Ohne Konsum ist so ein autofreies Luxusleben ja auch irgendwie doof. Wenn Sie auch zu jenen gehören, die zwar kein Lieferfahrer sind, das Auto aber trotzdem dringend brauchen, mailen Sie mir gern, warum: stadtflucht@funkemedien.de