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Beim Kunstareal-Fest öffnet ein Ort, der München bisher gefehlt hat – München | ABC-Z

Auf der Hochebene des Flux’ sind die Pinakotheken nah und fern zugleich. „Ich mal wie eine Dreijährige“, sagt eine Frau und schaut verdrossen auf das Blatt vor ihr. „Quatsch, das ist toll, wie du mit dem Lineal die schiefen Linien hinbekommst“, sagt ihr Partner und grinst. Zwischen den beiden stempelt ein kleines Mädchen eifrig auf Papier, unter den schwarzen Abdrücken leuchten bunte Sticker. Um die Familie herum sitzen weitere Erwachsene und Kinder, alle basteln und malen mit konzentrierter Miene.

Wer noch nicht zufrieden ist, kann nächste Woche wiederkommen. „Open4Making!“ heißt der offene Workshop, der von nun an jeden Samstag stattfinden soll. Treffpunkt ist das Flux – ein kostenfrei zugänglicher Ort vor der Neuen Pinakothek, der im Rahmen des Kunstareal-Fests der Stadt München eröffnet hat. Knallbunte Muster und Rutschen schmücken das hölzerne Gebäude, eine Dame wird später das Wort „Kinderbelustigungsmeile“ verwenden.

Das Flux ist jedoch für Jung und Alt gedacht, zwischen den Bastelnden finden sich japanische Touristen und Studierende. Und das Flux ist nur einer von vielen Standorten des Kunstareal-Fests zwischen Königsplatz und Pinakotheken. Unter dem Motto „Freiheit“ öffnen die städtischen Museen dieses Wochenende ihre Pforten, neben freiem Eintritt gibt es feministische Vorträge, Break-Dance-Performances und Musik-Bingo.

Pünktlich zum Start schüttete es wie aus Eimern. „Das war ein Wolkenbruch“, sagt Eva Tillig, „eine richtige Taufe.“ Die Leiterin der Stiftung Pinakothek der Moderne steht auf der Hochebene des Flux, um sie herum wuseln Kinder mit Papierschnipseln in der Hand. Tillig lobt das gesamte Festivalprogramm, doch ihre Augen glänzen, wenn sie auf die neue Begegnungsstätte zu sprechen kommt. Erst heute Morgen habe eine Seniorengruppe hier gefrühstückt, mit Rollator und Rollstuhl seien sie die Rampe empor gegangen. „Genau dafür ist dieser Raum hier gedacht“, schwärmt Tillig. Ein überdachter, barrierefreier Ort in der Stadt, der nichts kostet und jedem offenstehe.

Wer möchte, darf hier immer samstags basteln, stempeln und malen. (Foto: Florian Peljak)
Eva Tillig leitet die Stiftung Pinakothek der Moderne.
Eva Tillig leitet die Stiftung Pinakothek der Moderne. (Foto: Florian Peljak)

Gerade diese Überdachung findet unter den Besuchern des Festes großen Anklang, die Sonne brennt an diesem Samstag vom Himmel. Die Tischtennisplatten sind verwaist, auch auf der verdorrten Wiese zwischen Museum Brandhorst und Neuer Pinakothek trauen sich nur wenige Platz zu nehmen. Die meisten Anwesenden rücken ihre Liegestühle in den schmalen Schattenstreifen, den die Museumswand auf die Wiese wirft. Die Blicke richten sich auf eine kleine Bühne, auf der ein Kontrabassquartett der Hochschule für Musik und Theater schwitzend die Saiten zupft. Die dumpfen Töne wehen durch die Luft und untermalen die schläfrige Stimmung.

Auch auf der anderen Seite der Neuen Pinakothek gibt es Musik von DJs, Bands oder Solokünstlern wie Chriz Rappel alias Saguru. Soeben hat er mit Sonnenbrille in der knallenden Hitze gesungen, nun hocken er und ein paar Freunde bei alkoholfreien Cocktails auf dem Boden. Seit Beginn des Kunstarealfestes ist der 29-Jährige bereits dreimal auf der Bühne gegenüber vom Flux aufgetreten, generell mache er „halbprofessionell“ Musik, erzählt Rappel. „Aber ich stecke alles rein, damit es ganz professionell wird“, fügt er lachend hinzu. Für ihn sei das Flux ein crossmedialer Raum für Kunst und Musik. „Eine supertolle Location“, sagt er, „genau das, was die Stadt braucht.“

Wer möchte, bekommt Kunst auf den Körper: Eine Frau hat sich aus den Bildern der Pinakothek die Tänzerin von Oskar Schlemmer ausgewählt.
Wer möchte, bekommt Kunst auf den Körper: Eine Frau hat sich aus den Bildern der Pinakothek die Tänzerin von Oskar Schlemmer ausgewählt. (Foto: Florian Peljak)

Kleine Grüppchen fläzen unter Sonnenschirmen und fächeln sich mit den Programmen Luft zu. An den Essens- und Getränkeständen gibt es Burger und Karamell-Matcha, schwarze Sirup-Fäden ziehen durch die grüne Flüssigkeit. Inmitten der Stände sitzt Christina Green mit ihrer Tochter. „Meinen Mann haben wir in der Alten Pinakothek verloren“, sagt sie. Green kann sich nicht bewegen, eine Frau hält ihren Unterarm fest und bepinselt diesen mit Wasserfarben. Jeder, der mag, darf sich ein Motiv aus dem Katalog der Neuen Pinakothek heraussuchen und es sich auf die Haut malen lassen. Green ist extra ins Museum rein und hat sich für Oskar Schlemmers „Die Tänzerin“ entschieden. „Ich stand nicht unbedingt lange da, aber ich bin auf den Geschmack gekommen“, sagt sie.

Zum Abend hin werden die Schatten länger und die Gesichtsausdrücke entspannter. Gegen 21 Uhr sind im Flux die Bastelsachen weggeräumt, stattdessen sitzen die ersten Veteranen vom Christopher Street Day auf den Bänken, die Parade endete am nahegelegenen Karolinenplatz. An den sonnenverbrannten Gesichtern kleben noch kleine Glitzersteine, in den Mundwinkeln kräuseln sich Eiscremereste. Auf dem Vorplatz herrscht mittlerweile lebhaftes Treiben, Kinder laufen auf Stelzen herum, Damen wippen zu Technobeats.

Auf der Wiese vor der Alten Pinakothek surrt es leise vom Himmel. „Heaven’s Carousel“ heißt die Installation von Konzeptkünstler Tim Otto Roth, die gemeinsam mit der Technischen Universität München (TU) entstanden ist. In drei Kreisen rotieren 36 kugelförmige Lautsprecher über dem Publikum. „Sieht komisch aus“, sagt eine junge Frau und zuckt mit den Schultern, „muss man wahrscheinlich auf die TU gehen, um das zu verstehen.“ Ein paar Schritte weiter hockt ein älteres Ehepaar im Gras. „Ich find’s super“, sagt die Dame, „weil es so sinnfrei ist.“

Die beiden stammen aus Bremen und befinden sich auf der Durchreise nach Österreich. „Mir gefällt es ebenfalls, aber ich habe auch zwei Bier getrunken“, pflichtet der Mann ihr bei. Während der Himmel sich rosa färbt, beginnen die Lautsprecher grünlich zu flackern. Immer mehr Menschen breiten Decken aus, legen sich mit dem Rücken auf den Boden und betrachten die Installation. „Wirklich ein grandioses Fest“, sagt die Bremerin, „ausnahmsweise finde ich München mal schön.“

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